"Stillgestanden und Privatsphäre hinter den Kopf"!
Die Beschäftigung mit NRWs geplantem Polizeigesetz führt zu Fragen, die sich nicht bequem beantworten lassen. Der Kommentar legt noch mal nach.
Nordrhein-Westfalens Regierung möchte für seine Polizei mehr Freiheiten — für die sie auch bereit ist, Freiheiten der Bürger einzuschränken.
Das Gesetz sieht vor, dass alle nötigen technischen Ressourcen eingesetzt werden dürfen, um sogar auf eigentlich verschlüsselte digitale Kommunikation zugreifen zu können. Es erlaubt engmaschige Schleierfahndung, das Tragen von Elektroschockwaffen, sowie das verdachtsbegründete Aufschnallen von Fußfesseln und erobert sich mit dem interpretationsbedürftigen Begriff einer Handlungsnotwendigkeit durch "drohende Gefahr" ganz neue Befugnisse. Um das Ganze zusammen zu fassen: dieses vorgesehene Polizeigesetz kommt für mich ein bisschen daher, wie die Curry-Wurst-bekleckerte kleine Schwester des Orwell'schen »Großen Bruders«, die mit großen Augen versichert: "Ich will doch nur mal gucken, eh!".
In dem vorgeschlagenen Gesetzestext münden die gebetsmühlenartig wiederholten Beteuerungen von vielen Jahren, dass Freiheit und Sicherheit entgegengesetzte Pole wären, die man nur irgendwie unter materialbeanspruchenden Faktoren zusammen bringen müsste.
Die Wechselwirkung zwischen Sicherheit und Freiheit wird übrigens allzu oft dargestellt als ein Ringen von Naturkräften oder das Aufeinanderwirken von elementaren Massen; als etwas, das nur in das richtige Verhältnis zusammen gemengt werden müsste. Doch ist das so einfach?
Eine ungewollte, aber oft auftretende Nebenwirkung der Sicherheit ist die Kontrolle.
Kontrolle jedoch hemmt die Persönlichkeitsentfaltung, und Persönlichkeitsentfaltung ist die Grundbedingung für Freiheit.
Eine ungewollte, selten auftretende Nebenwirkung der Freiheit ist der Terror.
Terror vergiftet Freiheit, Terror pusht den Körper der Menschheit in eine immunologische Überreaktion in Form des fiebrigen Wunsches nach Sicherheit; Sicherheit unter dem Preis der Kontrolle.
Kontrolle ist missbilligend eingestandene Freiheit.
Wer wagt sich an die Beantwortung der sich aufdrängenden Fragen: wie viele Privatleben darf man offenlegen und durchforsten, um wie viele geschätzte potentiell gefährdete Leben zu schützen? Darf man denn die Grundrechte eines Menschen beschneiden, um Leben zu retten? Ja, warum nicht! Darf man auch die Grundrechte von zwei Menschen beschneiden, von denen einer unbeteiligt ist, um… wie ist es mit einem einzigen Verdächtigen, der mit 20 Unverdächtigen verkehrt, die nun auch im überwachten Boot sitzen? …und so weiter. Wie viele aufgebrochene Privatsphären sind wie viel erwarteten Schaden unterzuordnen? Und bedeutet mehr Kontrolle tatsächlich mehr Sicherheit?
Über Anis Amri beispielsweise war bereits vor seinem Breitscheidplatz-Attentat genug bekannt, um aus der Geschichte einen Til-Schweiger-Tatort zu machen, an dessen Ende Amri (wie auch immer er dort hin kam) im NSU-Wohnmobil explodiert wäre, weil Kriminalhauptkommissar Nick Tschiller ein brennendes Fass Hanföl darauf geworfen hätte — und das wäre zur Realität auch der bessere Tausch gewesen…
In Folge jeder neuen Nachricht über den Verlauf der Aufarbeitung des Falls musste man mit erschreckter Ungläubigkeit feststellen, dass ein Mehr an Überwachung niemals zu einer Gleichung mit mehr Sicherheit auf der anderen Seite führt. Rede ich eigentlich noch über Amri oder schon über den NSU? …Ich weiß es nicht mal selbst.
Eines jedoch steht fest, und das übersieht der Gesetzentwurf in seiner herbeigewünschten Erlöserrolle:
Wenn der Krypto-Messenger durchsichtig wird, hält das keinen Psychopathen der Welt von seinem Vorsatz ab. Wenn es nach der Meinung von NRW-Innenminister Reul geht, müsste ja die sprudelnde Quelle islamistisch-terroristischer Ideologien doch aus der Gegend kommen, in der mal die Keilschrift erfunden wurde. Analoge Steinkratzerei, offline. Notfalls besorgt sich der geneigte Massenmörder, um unentdeckt kommunizieren zu können, eben Ziegel und Schlitzschraubenzieher — so kann er sein Unwerk vor jedem Bundestrojaner geschützt organisieren. Wollten wir nun die Baumärkte ins Visier nehmen? Hornbach: "hier überwacht man sich?" Praktiker: "20% mehr Kontrolle auf alles, was keinen Stecker hat?"
Das neue Polizeigesetz ist ein Glanzlack-veredeltes Poster von Fruchteis in Zeiten der Hitzewellen. Es macht die Welt nicht sicherer, es bringt nur mehr Werkzeuge ins Spiel, Kontrolle als Sicherheit zu kaschieren.
Am Ende wird es sich nur für die "Warum?"-Schildchenschreiber-Fraktion zum Vorteil erweisen, dass im Zuge der Tataufklärung herauskommt, dass man es vorher hätte wissen müssen. Wenn sich die Polizei dann dieser Scham aussetzen möchte — bitte sehr. Ich hab's ja gesagt.
Autor:Timothy Kampmann aus Wesel |
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