DSGV•OMG!
Ab jetzt ist die europäische Menschheit informationell zivilisiert worden!
Bis zum 25.05. waren wir unbedarfte Wilde, die ein Buch über Datenschutz aus Angst vor dem Unbekannten ins Gefrierfach geworfen hätten, in der Hoffnung, dass nach 48 Stunden alle Unverständlichkeiten zwischen den Buchstaben abgestorben wären.
Ab jetzt sind wir Mündige über unser Datenreich, ehrwürdige Verwalter des Wissenswerten unserer kleinen, engmaschig verdateten Welt.
Ab jetzt wird alles gut!
Früher kreischten die Mädels vor der Konzerthalle des jeweils diensthabenden Mädchenschwarms: "Ich will ein Kind von dir!" — Nun reichen sie ein sauber und ordentlich gefalztes Formular zur Weitergabe an den Künstler bei den Securities ein, auf dem in händischen Druckbuchstaben mit kringelförmigen i-Pünktchen steht: "Ich möchte Deine genetische Information zwecks Fortpflanzung verwenden und bitte daher um Zustimmung durch Autogramm."
Beim nächsten Karneval werden kleine, auf Glückskekspapier gedruckte Model-Release-Verträge aus Konfettikanonen geschossen, die durch Drauftreten in Kraft treten, damit man die Zustimmung — in einem Rutsch — per massendynamischen Bewegungsfluss einholen kann.
"Die ganzen Zustimmungen liegen auf dem Boden;
Du glaubst zu schieben, und du wirst geschoben." - Faust I, Vers 4116 f. / Mephistopheles; in DSGVO-Ära-angepasster Revision.
Oder nehmen wir die klassische Niederlassung eines dieser amerikanischen Hipster-Hotspots, diese Kaffeehauskette mit der Sirene im Logo. Diese Läden, wo es keine obskure Weltfremde, sondern höchste Erleuchtung darstellt, einen »decaf-Soja-Latte Kokos-Mandel mit Berrytopping« in Größe Tall zu bestellen.
Nun kann sich ein mittdreißiger Bart&Dutt&Leinen-Anzug-Träger an den Tresen stellen und fordern: "Ich wünsche Totalauskunft über meine bei euch gespeicherten, personenbezogenen Daten!"
Und der Barista legt gehorsamst den Beutel Kaffeebohnen mit arabica-Migrationshintergrund beiseite und zieht eine Liste unter der Kasse hervor. "Hier steht, also das hat jemand aus der Morgenschicht geschrieben, nich' ich, also hier steht, wir haben dir deinen Namen 'Matt' um 08:37 Uhr auf einen Becher Cappuchino Small geschrieben…"
Und dann entgegnet der informierte Kunde entrüstet: "Laut DSGVO habe ich das Recht auf Korrektur fehlerhafter Daten! Ich heiße nämlich Mark. Mark mit 'C'!"
"Okay!" — und dann schreibt der Barista (den Fehler einsehend) den neuen Namen in die Spalte: "Clark"…
So. Nachdem ich mich jetzt an jeglicher satirischer Überspitzung abgearbeitet habe, kann es auch mal wieder ernst werden.
Die Kanonen-auf-Spatzen-Methode
Unbestritten wurde für das neue Datenschutzgesetz die »Zielscheibe« erstmal vergrößert, um sie besser treffen zu können.
Denn wo früher ein Nicken reichte, muss heute eine Unterschrift geleistet werden, was ja nicht nur jeglichen bürokratischen Aufwand steigert, sondern natürlich auch neue Daten schafft — welche wiederum geschützt werden wollen.
Jeder piepelige Kleinstverein, und wenn es nur der »Freundeskreis für Gliederfüßer-Biometrie e.V.« ist, braucht jetzt seine*n eigene*n Datenschutzbeauftragte*n. Sogar der »Verein zur Förderung des Gendersternchens«!
Gerade Vereine und kleine Betriebe leiden unter dem Mehraufwand: Zeit-, Energie- und nicht zuletzt Geldverlust durch Buchhaltungsmaterial werden Menschen aufgebürdet, deren Absichten so düster sind wie Deckweiß. Und Hobbyfotografen überlegen bereits, ob sie beim fotografieren die Objektivkappe lieber drauflassen sollen, bevor noch einer auf's Foto kommt!
Das ist nicht schön und verdient trotz der narrativen Situationskomik ehrliches Mitgefühl.
Wie konnte es nur so weit kommen? Es hätte nämlich durchaus anders kommen können:
Bereits 1960 erdachte der Informatiker Ted Nelson das Projekt »Xanadu«, womit er eine gedankliche Vorwegnahme des Internets ablieferte: Hypertexte sollten nicht nur miteinander, sondern auch ineinander verknüpft sein, und eine zentrale Rechteverwaltung war genauso vorgesehen, wie eine faire Monetarisierung der Inhalte (— als Bezahlung für Seitenaufrufe waren gerade einmal wenige Bruchteile eines Cents vorgesehen). Bevor Xanadu realisiert werden konnte, trat das eher anarchistische World Wide Web auf den Plan: mal im Gewand eines Content-Kommunismus und mal als persönlichkeitsrechtliche Dampfwalze mit Katzenbaby am Steuer.
Wäre das Internet aus Xanadu hervorgegangen, hätte es systembedingt weniger bis gar keine Werbung zur Selbstfinanzierung benötigt.
Und Werbung bedeutet Auseinandersetzung — wobei »Auseinandersetzung« in diesem Fall nicht das »über eine Sache brütende Nachsinnen« meint, sondern diese Auseinandersetzung versteht sich eher als kriegerischen Konflikt.
Denn moderne Werbung funktioniert wie Krieg. Bei dem einen heißt es "kenne deinen Feind", bei dem anderen "kenne deinen Kunden". Hier die Propaganda, da die Kampagne. Im Krieg sind es die Spione, die durch Informationen einen Vorteil zu erringen suchen, in der Werbung sind es Verhaltensprofile. In beiden Fällen geht es ums Gewinnen; Internetwerbung ist nicht umsonst ein umkämpfter Markt. Die User rüsten
mit Ad-Blockern auf, und die Publisher wiederum mit Trackern, die anhänglicher sind als psychisch destabiliserte Kletten in Klebstsroff-Marinade.
Aber warum ist uns Datenschutz überhaupt so wichtig?
Die Datenanalyse vom Surfverhalten ist eine tiefe Kränkung in Anbetracht des natürlichen Wunsches nach Privatsphäre.
Zu den drei großen Kränkungen der Menschheit kam nun hiermit Nr. 4 dazu. Wir erinnern uns:
Galilei hat uns aus dem Mittelpunkt des Sonnensystems verbannt (1.),
Darwin hat an der Wuzel des menschlichen Stammbaums das Portrait eines Affen aufgeklebt (2.)
und Freud hat den Denkapparat nicht in der Glorie des himmelsnahen Kopfes verortet, sondern in einer geheimen Produktionsstätte für reizverarbeitende Impulse im finsteren Unterbewusstein aufgefunden (3.).
Und heute wird jeder Seitenaufruf protokolliert, die Verweildauer mitgeschrieben, die Schlagworte zu Themenclustern und zu Interessensfeldern konvertiert; Algorithmen lenken nicht mehr nur die Aufmerksamkeit, sie lesen mittlerweile Gedanken.
Die Server der Internet-Riesen sind zu einem strombetriebenen Allsehenden Auge der Vorsehung geworden, das aus Nutzerdaten intimste Verhaltensprofile erstellt. Und genau damit wird die Büchse der Präkognition auf den Werktisch des 21. Jahrhunderts gehievt und geöffnet. Der Nutzer ist durch sein Verhalten erst in Zahlen verwandelt worden, um ihn dann berechnen zu können. Die Menschheit sehnte sich seit jeher nach Transzendenz — nicht nach in Datenpakete verwandelte Transparenz.
Und in der Folge fühlt sich der Mensch verletzt und gekränkt, dem digitalen Determinismus ausgeliefert zu sein.
…Genau das ist die vierte große Kränkung der Menschheit.
Da wurde man dank personalisierter Dienstleistungen (und durch damit einhergehender personalisierter Werbung mit der Nebenwirkung »Profilerstellung«) zum Kunden und zur Ware gleichzeitig. Diese Ambivalenz aus »etwas gewinnen« und »zu Gewinn werden« lässt das Gefühl von Verrat aufkeimen.
Wie sehr ein »Kunde« zur »Ware« selbst werden kann, belegt der Skandal um Cambridge Analytica: Robert Mercer verdiente erst Milliarden durch Hochfrequenzhandel mit Hedgefonds unter dem Einsatz von Wahrscheinlichkeitsrechnung — um dann 2014 der Hauptsponsor von eben jener Firma zu werden, die Millionen Facebookprofile mit einem Skalpell der zahlengewordenen Verhaltenspsychologie filetierte, um sie anschließend an Algoritmen zu verfüttern.
Der gedankliche Sprung von Wertpapier zu Humamkapital ist nun mal ein kleiner.
All dies machte die DSGVO — leider — notwendig. Dass die Regelung so ausgiebig über die gesamte Gesellschaft ausgeschüttet wird, dass auch Kleinst-Daten-Erhebende (ohne unlautete Absichten) in juristische Sippenhaft genommen werden, ist der Preis dieser Zeit.
Einer Zeit, in der Wissen nicht nur Macht ist, sondern auch zur finanziellen Allmacht wird.
Die DSGVO ist der richtige Weg.
Nur die Verkehrsregeln vertragen eine Anpassung:
"Groß vor klein" zum Beispiel.
Autor:Timothy Kampmann aus Wesel |
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