Atomdiskussion - Von Taktiken, Scharaden, und dem kurzen Bürgergedächtnis

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Wesel | 18.03.2011 | Was ist von der neuen Linie der Regierung in Punkto Atompolitik zu halten? Ist das überhaupt wirklich eine neue Linie? Das ist wohl eine Frage, die sich derzeit sehr viele Menschen in Deutschland stellen.

Die tiefe Verunsicherung über die Motive von Frau Merkel (CDU), die nun im Hauruck-Verfahren den Ausstieg aus dem Ausstieg vom Ausstieg in der deutschen Atompolitik propagiert , ist höchst verständlich. Schließlich ist diese Taktik nicht neu und oft genug erfolgreich praktiziert worden. Man nutzt hier gerne die bedauerliche Tatsache, dass das politische Erinnerungsvermögen bei viel zu vielen Bürgern maximal 2-3 Monate zurückreicht.

Als Beispiel möchte ich das Vorgehen der CDU zur Vorratsdatenspeicherung nennen. Diese wurde erstmals aus Schäubles Bundesinnenministerium ins Feld geführt, da die VDS (verdachtsunabhängige Speicherung der Telekommunikationsdaten aller Bürger) angeblich unerlässlich zur Terrorismusbekämpfung sei.
Als dies nicht so recht überzeugte, sprang die damalige Familienministerin von der Leyen hinzu, und plötzlich war der Hauptgrund für die VDS - garniert mit technisch völlig nutzlosen Stoppschildern - die verachtenswerte Kinderpornographie. Mit Totschlagargumenten - besonders wenn es um unsere Kleinsten geht - lässt sich eben trefflich Wahlkampf machen. Die Stichhaltigkeit wird da nicht mehr sehr hinterfragt. Die Netzgemeinde jedoch zeigte zum einen die Gefahren und Schwächen der beabsichtigten Überwachung auf, zum anderen verwies man auch auf mögliche Motive der Regierung, mit denen man natürlich keinen Wahlkampf gewinnt: Lobbyinteressen der Contentindustrie. Sony, EMI + Co sitzen diesbezüglich der Kanzlerin schon lange auf dem Schoß.

Und wie ging es weiter?
Bereits kurz nach der Bundestagswahl, bei der sich doch deutlicher Widerstand gegen solche Blenderpolitik zeigte, wurde schon etwas zurück gerudert. Es gingen Klagen beim Bundesverfassungsgerichts ein. Das umstrittene Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung wurde dort dann 2010 wegen deutlicher Verfassungsbedenken an den Gesetzgeber zurück verwiesen, und daraufhin kurzerhand auf Eis gelegt.

Aus den Augen, aus dem Sinn? Nein, keineswegs. Nachdem etwas Gras drüber gewachsen ist, preschen nun - ein Jahr später - immer mehr Unionspolitiker vor, und wollen das nun etwas abgekühlte Thema doch durchboxen.
Niemals in der Geschichte der Bundesrepublik mussten derart viele neue und überarbeitete Gesetze vom Bundesverfassungsgericht gestoppt werden, wie in letzter Zeit. Das sprich Bände über die heutige Gewichtung vom Freiheits- und Bürgerrechten/Interessen beim Vorgehen der Regierung. Und so wird letztlich auch konsequent weiter Vertrauen in die Politik an sich beschädigt.

Und heute?
Die aktuelle Abkehr von der Abkehr vom Atomausstieg wirkt da natürlich nicht sehr überzeugend. Der wache Beobachter kennt das Spiel mittlerweile einfach zu gut. Herr Trittin (Grüne) warf im Bundestag erst gestern Frau Merkel vor, mit den Laufzeitverlängerungen persönlich Geld (die Wirtschaftsinteressen der großen Energiekonzerne) gegen unser aller Sicherheit getauscht zu haben. Und das sehen offensichtlich sehr viele Bürger genauso. Massenproteste Land auf, Land ab [1]. Und das nicht erst seit Fukushima.

Der momentane Aktionismus wird der CDU nicht mehr geglaubt, weil einfach zu oft wahre Beweggründe erst unter Zwang - oder wenn es sich als opportun erwies - zugegeben wurden. Und zu oft diente so ein Vorgehen nur als Beruhigungspille für den Wähler. Es wundert da nun nicht, das ein drei monatiges Moratorium - zeitlich wunderbar passend - nur noch als verzweifelter Rettungsversuch für sehr wichtige Landtagswahlen verstanden wird. Die Regierung hat sich hier Stück für Stück ein echtes Glaubwürdigkeitsproblem geschaffen. CDUler werden jetzt die eigene Chefetage nicht mehr verstehen [2], während die Opposition sich auf ganzer Linie bestätigt sieht. Trotzdem wirft das momentane Handeln mehr Fragen auf als es beantwortet. Zum Beispiel die, ob sich die Regierung nun hierbei abermals Verfassungswidrig verhält. Oder, ob wir alle als Gesellschaft am Ende die Vertragsstrafen an die Energieriesen bezahlen sollen. Denn dort regt sich mittlerweile auch Widerstand gegen Merkel..

Quo vadis, Atompolitik? Diese Frage sollten wir nicht länger verschwiegen in Hinterzimmern abhandeln lassen. Es braucht einen breiten Konsens. Und den gibt es - entgegen Frau Merkels Aussagen - leider nicht in unserem Lande.

Links:
[1]: http://www.ausgestrahlt.de/mitmachen/fukushima.html (Organisation bundeweiter Anti-Atom-Proteste)
[2]: http://www.jukreiswesel.de/moers/?p=202 (JU-Wesel: Atomkraft? ja Bitte!)

Autor:

Andreas Rohde aus Wesel

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