Als vor 20 Jahren die Mauer fiel ...
(Artikel von Stefan Stolle) „Im Herbst 1989 hatten wir die wahrscheinlich einzige Gelegenheit in unserem Leben, Geschichte live zu erleben und sind nach Berlin gefahren. Aber ehrlich gesagt, waren wir uns dessen natürlich überhaupt nicht bewusst.“
So beginnt Stefan Stolle aus Wesel, 45 Jahre jung, seinen Erlebnisbericht vom 9. November 1989. Der Weseler bringt das Ding exklusiv. Stolle schreibt ....
Also der Reihe nach: Karsten und ich, Stefan, haben miteinander telefoniert und binnen weniger Minuten war klar In Berlin brennt die Luft und die Ereignisse dort müssen wir mit unserem Erscheinen unbedingt beschleunigen.
Vorher mussten wir noch unsern Kumpel Holger überzeugen mitzufahren. Wir sind alle Baujahr ´64, waren also 1989 mit 25 sowas von in der Blüte unseres Lebens und immer voller Tatendrang. Karsten war Gastwirt, Holger Banker und ich hab studiert.
Nach lebhaften Debatten packten wir den Reiseproviant für unsere Exkursion, der vermutlich bis nach Tibet gereicht hätte. Dann endlich – Abfahrt! Mensch hatten wir ’n Spaß. Aber auch Diskussionen: Ein Gelb-, ein Rot- und ein Schwarz-Wähler. Der ewige Helmut, Genschman und (für uns) Willy Brand - die Emotionen kochten hoch auf der Transitstrecke zwischen Grenze und Berlin.
Hab’ ich schon erwähnt, dass wir uns alle Drei nicht in Berlin auskennen? Zum Beispiel mit den Straßenbahnen! Keiner von uns hatte die aktuellen Entwicklungen in Berlin mitgekriegt, von wegen Verspätungen, Ausfälle etc. Das klappte damals nicht so gut wie heute. Fragen Sie mich nicht, wo wir eingestiegen sind und wo wieder aus: Der Aufgeregtheit und der knisternden Atmosphäre konnte man sich hier überhaupt nicht mehr entziehen.
Irgendwann in der Nacht sind wir dann einfach nur noch gelaufen, inmitten all der Leute. Menschenmassen waren ja genügend unterwegs, nur verstehen konnten wir sie nicht so richtig: Zu ganzen Sätze schien niemand mehr in der Lage zu sein.
Später am Brandenburger Tor: Unglaublich Szenen! Sie erinnern sich an die Fußball-WM 2006, das Public Viewing?! Genau so war’s da auch, nur noch größer, noch emotionaler und unterm Strich ja auch noch erfolgreicher.
Völlig erschlagen und übermüdet haben wir uns dann zur Mauer vis à vis des Brandenburger Tors durchgekämpft und es tatsächlich auch alle an dieser historischen Stelle auf die Mauer geschafft. Ich weiß nicht mehr genau, was wir so gerufen haben, aber es war wie im Rausch. So 200 Meter entfernt, auf der anderen Seite, standen Soldaten mit Maschinenpistolen.
Und irgendwann stand ich dann unten auf der Ostseite, völlig euphorisiert und schreiend, doch als die Soldaten dann auf einmal in unsere Richtung liefen, wollte ich nur wieder hoch. Ich hatte echt Schiss. Die Drohgebärde war eindeutig und verfehlte ihre Wirkung nicht.
Ich krieg heute noch ’ne Gänsehaut, wenn ich daran zurück denke. Wir sind dann so um 5 Uhr morgens Richtung Ku´damm gelaufen und wollten mal was frühstücken. Sowas hab’ ich noch nicht gesehen: Vor den Banken bildeten sich Schlangen, die gingen ums Gebäude rum bis Gott weiß wo. Egal: die neuen Schwestern und Brüder wollten Ihr Begrüßungsgeld, und Sie waren es scheinbar gewohnt zu warten. Die Banken machten ja erst um 8.30 Uhr auf …
Nach dem Frühstück haben uns einfach so treiben lassen von der Unbeschwertheit, die dort herrschte. Im KaDeWe wollten wir uns ein paar neue Shirts kaufen. Und einer von uns, modisch nicht auf der Höhe der Zeit, wurde von der Verkäuferin darauf hinweisen, er solle sich doch erst mal das Begrüßungsgeld abholen bevor er die teuren Waren hier berührt! So sind Sie halt, die Berliner.
Und weiter ging es, ab zum Checkpoint Charlie. In meiner Vorstellung irgendetwas geheimnisvolles, ein unglaublich großer hellerleuchteter Platz oder so ähnlich, in Wirklichkeit ’ne ganz normale Straße. Trabis rollen über die Grenze, wir klopfen wie blöde aufs Dach und machen Witze darüber, wer es schafft zuerst ein Loch in ein Autodach zu hauen.
Am Ende des verrückten Tages mussten wir noch weit nach Mitternacht in die berühmte Disco am Bahnhof Zoo. Hurra, eine Mixtur aus Freakshow und Realsatire und zwar Ost und West, wir mitten drin, auch mal schlafend an die Box gelehnt, aber immer noch neugierig. Und damit endete das Berlin-Abenteuer für uns, schließlich mussten wir ja am Montag arbeiten ….
Die Rückfahrt. Raus aus Berlin ging gut – unser Auto stand ja in der Nähe der Avus also für die Rückreise sehr verkehrsgünstig. Es rollte so ungefähr 100 Kilometer ganz ordentlich bis Magdeburg, dann auf der A2 Stau bis zur Grenze also noch 60 bis 70 Kilometer. Und das nicht umgeben vom Wohlgeruch des Ottomotors, nein: Wilder Osten! Zwei-Takt-Trabis vor uns, neben uns, hinter uns, überall, wirklich weit und breit haben wir kein West Fahrzeug gesehen…
Noch ganz geprägt von den Ereignissen sind wir dann kurzentschlossen runter von der Transitstrecke, unter ungläubigen Augen der Trabifahrer, um uns unseren Weg durch die ostdeutsche Pampa zu bahnen. Was wir sahen, war eine wunderschöne Gegend, viele kleine Dörfer in denen Lange nicht mehr an den Häusern irgendwas repariert wurde und Fabriken, die mich spontan an alte schwarz/weiß Fotos meiner Ma aus den Fünzigern erinnerten. Naja jedenfalls war hier die Luft viel besser ...
Irgendwann dann wieder auf die Transitstrecke, Grenzkontrolle hieß Stempelkontrolle… Ups, da stand er also der treue Grenzsoldat mit voller Montur und Waffe und der Frage, wie wir es denn bei dem Stau in weniger als drei Stunden von Kontrollpunkt Berlin zu ihm schaffen konnten, ob wir etwa abseits der Transitstrecke gereist waren?
Hallo? Und glauben Sie mir, damals haben sich alle schön brav angestellt bei der Kontrolle, egal ob Ost oder West und brav Männchen gemacht vor dem Ausweiskontrolleur, und so war es trotz aller Geschehnisse an diesem Tag noch immer. Also fing Karsten an, irgendwas zu erzählen von ja wir sind immer rechts vorbei am Randstreifen, alle Trabis haben Platz gemacht und uns hupend und klatschen vorgelassen. Kaum zu glauben: Das ist gutgegangen. Hi-hi, Frechheit siegt - und schon waren wir durch. Zurück in Wesel, haben wir alle diese Erlebnisse bestimmt schon Tausend mal zum Besten gegeben und wahrscheinlich auch hier und da frisiert.
Aber alles in allem war es so oder so ähnlich im Herbst ´89, als drei Weseler Jungs „maßgeblich“ daran beteiligt waren, die Mauer zum Einstürzen zu bringen.
Autor:Dirk Bohlen aus Hamminkeln |
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