Volkszählung in Entenhausen

Scheuer Watvogel im Tarnkleid - Die Bekassine | Foto: Biologische Station im Kreis Wesel
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Biologische Station erfasst Wasservögel

„334 Stock, 13 Tafel, 4 Löffel, … “ Was entfernt nach Inventur im Baumarkt klingt, ist praktische Vogelkunde: Wissenschaft für den Naturschutz. Über mir erstreckt sich ein heiterer Himmel, vor mir liegt breit der Lippemündungsraum. Ich genieße die Aussicht vom neuen Radweg. Ein Auge am Teleskop, das andere zugekniffen, blicke ich aufs Wasser hinab, versuche den Wind auszublenden, der mir frostig um die Ohren pfeift. Meine ganze Aufmerksamkeit gilt dem quakenden Federvolk vor meiner Nase: Enten, Schwäne, Rallen, Reiher und andere haben sich hier zu einer bunten Gesellschaft zusammengefunden und meine Aufgabe ist es, sie zu zählen.

Ich bin allein und doch nicht der einzige. In ganz Europa und darüber hinaus stehen in diesen Tagen Frauen und Männer mit Fernglas und „Spektiv“ (Teleskop) am Ufer und starren konzentriert in dichte Entenschwärme. Es ist Wasservogelzählung. Auch der Untere Niederrhein macht dabei mit, schon seit den 1970er-Jahren. Das Vogelschutzgebiet ist nicht nur ein Dorado für Wildgänse, sondern beherbergt auch bedeutende Vorkommen z. B. an Schnatter- und Löffelenten. Um ihre Entwicklung im Auge zu halten, werden im Winterhalbjahr in über 60 Gebieten zwischen Duisburg und Emmerich Zahlen erhoben. Zahlreiche Freiwillige unterstützen diese Arbeit. Ich selbst zähle beruflich für die Biologische Station im Kreis Wesel. Sie sammelt fast alle Zahlen im Kreisgebiet und leitet sie an die Zentrale weiter.

Über zwanzig Wasservogelarten schmücken heute die Lippemündung: Hunderte Enten und Blässhühner tummeln sich auf den Wasserflächen, dazwischen tauchen Hauben- und Zwergtaucher. Ein paar Grau- und Silberreiher säumen die Ufer, irgendwo hocken drei Kormorane und eine große Gruppe Möwen ist auf der fernen Sandbank unterwegs. Es ist immer wieder erstaunlich, wie leicht man den Eisvogel übersieht: Klein und regungslos späht er von einem Ast nach Fischen, aber als ich ihn finde, strahlt mir ein sattes Hellblau entgegen, das in der heimischen Vogelwelt kein zweites Mal vorkommt.

Nur die Gänse werden heute nicht gezählt, für sie gibt es eine eigene Erfassung (RP Berichtete im Januar 2015). Doch der Rest reicht allemal, um Ornithologen ins Schwitzen zu bringen. Allein bei den Enten stehen acht Arten zur Auswahl, die natürlich nicht vorschriftsmäßig sitzen bleiben, sondern munter durcheinander schwimmen, während ich sie zählen will. Zu vermeiden dass sie auffliegen, ist schwer genug. Wer einfach mit dem Spektiv über der Schulter daherspaziert kommt, braucht gar nicht erst loszuzählen, zu sehr ähnelt das Teleskop einer Waffe: Die gründelnden und dösenden Enten schrecken auf und stieben frenetisch schnatternd davon. Manche verschwinden auf nimmer Wiedersehen am Horizont oder in sichtgeschützten Buchten, andere landen 300 Meter weiter mitten in einem Schwarm, mit dem man längst fertig war. Nur ein Bruchteil kommt zurück. So verliert die Zählung ihre Genauigkeit und damit ihren Sinn. Je langsamer und beiläufiger man sich bewegt, je kleiner man sich macht, desto größer die Chancen, dass die wachsamen Vögel sitzen bleiben – gesetzt der Fall nichts Anderes jagt sie davon, etwa ein freilaufender Hund oder ein tieffliegender Heißluftballon. Die Lippemündung macht dem Zähler auch durch die vielen Seitenarme und Sandbänke das Leben schwer. Es gibt keinen Ort, von dem man den Überblick hat. So muss ich immer wieder neu anhalten, immer ohne die Vögel zu stören.

Ich habe einen guten Tag erwischt: Es ist trocken und klar – bei Starkregen beschlägt das Teleskop und man sieht nur noch neblige Gestalten. Die meisten Enten bleiben an Ort und Stelle, ich kann aufatmen. Das Abenteuer Zählung gelingt und ich fahre mit einer langen Liste nach Hause: „334 Stockenten, 13 Tafelenten, 4 Löffelenten … “. Ein kleines Puzzlestück aus der großen Vogelwelt Europas.

Autor:

Biostation Kreis Wesel und Krefeld (Thomas Traill) aus Wesel

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