Fehlende Gänse eingetroffen
Der Zug aus der Arktis hatte Verspätung.
Jetzt sind sie da. Die Zahlen sind ausgewertet und diesmal passen sie auch. Bei der letzten Gänsezählung am 17. Januar stellte die Biologische Station im Kreis Wesel über 110.000 der arktischen Gäste fest: etwa 100.000 Blässgänse, 11.000 Weißwangengänse und rund 1.500 Saatgänse. Das sind Werte, die sich mit denen der letzten Jahre messen können.
Bis zuletzt hatte es bei den Ornithologen vor Ort jedoch eine Menge Stirnfalten gegeben. Auch wenn im Frühherbst immer erst ein Teil der Vögel eintrifft, war die Summe von unter 17.000 Wintergänsen im Oktober doch erstaunlich gering. Im November und Dezember bestätigte sich der magere Eindruck. Zwar waren es zum Jahresende immerhin ca. 67.000, doch um diese Zeit werden in manchen Wintern schon sechsstellige Zahlen erreicht. Erst der Januar brachte jetzt diese Größenordnung.
Woran mag die Verzögerung gelegen haben? Beweise sind natürlich schwierig, doch als erstes steht immer das Wetter im Verdacht. Solange es im Brutgebiet in Nordrussland warm und schneefrei bleibt, gibt es für die Gänse wenig Anlass zum Aufbruch. Erst wenn dichter Schnee sie an der Nahrungssuche hindert, müssen sie ausweichen. In der Regel geht die Reise dann auch schnell: binnen einer Woche, notfalls sogar in nur zwei Tagen, legen die Vögel die 3.000 Kilometer von der arktischen Insel Kolgujew bis an den Niederrhein zurück. Einige kommen auch aus der noch einmal 1.500 Kilometer weiter östlich gelegenen Taimyr-Region. Allerdings hat der Wind bei der Abreise auch ein Wort mitzureden. Genau wie Radfahrer kämpfen Zugvögel ungern über längere Strecken gegen eine steife Brise an. Solange also (meist warmer) Südwestwind herrscht, harren die Tiere oft noch aus, um den ohnehin anstrengenden Flug nicht noch strapaziöser zu machen.
Da die Erderwärmung die Arktis besonders stark aufheizt, dürften die Gänse in Zukunft immer öfter verspätet nach Europa ziehen. Es ist auch möglich, dass sich die Überwinterungsgebiete über kurz der lang wieder von uns weg verlagern. Bis vor einigen Jahrzehnten gab es bei uns kaum Blässgänse. Falls der Brutbestand auf Kolgujew abnimmt oder die Tiere andere Quartiere für sich entdecken, können diese Verhältnisse eines Tages wiederkehren. Zumindest bei manchen Arten wird aus verschiedenen Gründen mit Rückgängen gerechnet. Die Rothalsgans –bei uns ein sehr seltener Wintergast– ist ein Beispiel. Sie nistet gut versteckt in felsigen Lagen in der Nähe von Greifvogelnestern, weil andere Beutegreifer wie der Polarfuchs diese meiden. Es ist denkbar, dass diese Standorte durch das Abschmelzen des Permafrostes verschwinden. Wieder anders sieht es bei der Zwerggans aus, die bei uns noch seltener beobachtet wird. Sie braucht mehr noch als andere Gänse offene, spärlich bewachsene Flächen und ist deshalb empfindlich gegen ein Verbuschen der Tundra. Auch die Einwanderung des Rotfuchses in die Arktis könnte für die am Boden brütenden Gänse zum Problem werden. Offenbar verdrängen Rotfuchs und Polarfuchs einander nicht, also könnten dort unterm Strich bald mehr Füchse nach leckeren Gänseeiern spähen/schnüffeln.
Für den Augenblick sind die Vögel aber direkt nebenan in der Rheinaue und wer sich die faszinierenden Gäste aus dem Norden näher bringen lassen möchte, hat noch einmal Chance, eine Führung der Biologischen Station zu besuchen. Am 5. März fahren wir ein letztes Mal mit Ihnen ins Grüne. Zur Einführung gibt es einen kurzen Filmvortrag zum Thema und einen Gang durch unsere Wildgänse-Ausstellung. Danach kommt mit einer Busfahrt in die Rheinaue der Hauptteil des Programms. Die Anmeldeinfos stehen unten und auf unserer Webseite. Plätze sind noch frei!
Ein paar Wochen später werden die Gänse uns dann für weitere sechs Monate Adieu sagen. Oder – je nach Wind, Wetter und Gans – auch für acht. Darüber dürfen wir bei der Arbeit im Frühjahr und Sommer geduldig rätseln.
Letzte Führung: „Wildgänse am Niederrhein“
Termine: Samstag 05. März 2022, 10:00 Uhr
Dauer: ca. 3 Stunden
Treffpunkt: Biologische Station im Kreis Wesel, Freybergweg 9, 46483 Wesel
Leitung: Thomas Traill
Kosten: 12 Euro pro Person, 6 Euro pro Kind bis 14 Jahre
Anmeldung: Biologische Station im Kreis Wesel, Freybergweg 9, 46483 Wesel
Tel.: 02 81 / 9 62 52 – 0 Fax: 02 81 / 9 62 52 – 22
Email: info@bskw.de
Internet: www.bskw.de oder www.wildgaense-niederrhein.de
Coronaregeln: siehe http://www.bskw.de/termine/gaense.html
Autor:Biostation Kreis Wesel und Krefeld (Thomas Traill) aus Wesel |
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