Wie eine Kirchengemeinde klarkommt, wenn sie den Gemeindebrief gegen das Anzeigenblatt tauscht
"Die Online-Angebote (...) - (...) ein wichtiges Signal der Aufmunterung und Hoffnung auf Besserung"

Albrecht Holthuis war der Mann in der Schaltzentrale zwischen der Kirchengemeinde und dem Weseler. | Foto: privat
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  • Albrecht Holthuis war der Mann in der Schaltzentrale zwischen der Kirchengemeinde und dem Weseler.
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Mehr als zwei Monate sind seit dem Beginn des Lockdowns vergangen. Eine lange Zeit, die auch der evangelischen Kirchengemeinde spezielle Entscheidungen abverlangte. Wir baten Pfarrer Albrecht Holthuis um eine rückblickende Betrachtung. (Für den Abdruck dieses vollständigen Interviews ist im aktuellen Weseler leider nicht genügend Platz).

dibo: Wie haben Sie persönlich diese Zeit ohne Kontakt zu Ihren "Schäfchen" empfunden?
Holthuis: Bei meinen Gemeindegliedern denke ich in erster Linie nicht an "meine Schäfchen" - dieses Bild nehme ich als Pastor nur ungern in Anspruch, weil ich mich eher als einer unter vielen - aber mit besonderem Auftrag ausgestattet - betrachte. Aber ihre Frage spielt darauf an, dass ich eventuell in den letzten Monaten keinen Kontakt zu den Gemeindegliedern gehabt haben könnte. Nun die Antwort ist kompliziert. Ich hatte zu vielen Kontakt wie sonst auch - zu manchen sogar mehr, - allerdings fast nur über Medien. D.h. meine Telefonnutzung hat sich verdoppelt, mein Email-Postfach ist deutlich voller als sonst, manche Gemeindeglieder habe ich erstmals in Videokonferenzen gesehen und gehört. Vermisst habe ich den Kontakt zu vielen Senioren, die ich sonst besucht hätte oder beim Frühlingsfest in der vollen Kirche begrüßt hätte oder bei Gottesdiensten. Aber trotz allem hat es immer wieder auch Gespräche zu zweit meist im Freien oder in größeren Räumen gegeben.
Es war anders und hier und da komplizierter sich auszutauschen, eine Taufe zu besprechen und zu organisieren, mit den Konfirmanden über einen Chat Kontakt zu halten, Seelsorger und Gemeindeleiter zu sein. Aber es war nicht nur eine Zeit, in der viele Sorgen geteilt wurden, sondern auch eine, wo viele neue Ideen aufkamen

dibo: Was glauben Sie, hat den meisten Menschen gefehlt (und kann die Kirche dies mit Online-Angeboten auffangen?
Holthuis: Seelsorgerliche und religiöse Bedürfnisse mögen für viele heutzutage nicht an erster Stelle stehen (wenn sie auch wichtig bleiben), die Defizite im Sozialleben, bei dem die Kirchengemeinde ja auch einen wesentlichen Beitrag leistet, allerdings schmerzen schon gewaltig. Vielen Menschen, die ich gesprochen habe, hat vieles gefehlt, was wir sonst anbieten: der Gottesdienst, der normalerweise real miteinander in einem kirchlichen Raum gefeiert wird, weil die Erfahrung von Gemeinschaft sehr zentral ist und das nicht nur der Sonn- und Festtagsgottesdienstes. Man denke an die nicht stattgefundenen Gottesdienste in Altenheimen, Krankenhäusern, bei Trauungen und Taufen, anlässlich der Konfirmationen etc. Natürlich fehlt den Senioren der Besuch des Kirchencafés, des Kreativkreises, des Kirchenchores etc. Die Konfirmanden hätten sich auch gerne getroffen wie auch die Kinder und Jugendlichen, die sich gern in unseren Jugendzentren aufhalten. Es ist ein Jammer, dass ein florierender Kinderchor und ein aktiver Eine-Welt-Jugendkreis nicht zusammenkommen kann. Und das die kirchlichen Kitas nur so eingeschränkt zur Verfügung stehen, schmerzt natürlich auch.
Die Online-Angebote, die wir dann nach und nach publiziert haben, waren - so hoffe ich - ein wichtiges Signal der Aufmunterung und Hoffnung auf Besserung. Es war tröstlich, vertraute Gesichter zu sehen, Menschen zu erleben, die daran glauben, dass diese Situation mit einem gewissen Gottvertrauen bestanden werden kann.
Und diese neuen Formate waren teilweise auch sehr kreativ und sind es noch: Wenn ein Pastor eine Geschichte "im Sandkasten" erzählt oder wenn der "verbotene" Gemeindegesang durch Solisten schon praktiziert und aufgenommen wird und das in Kombination mit rasanten Kamerafahrten durch den Dom - Ein Danke an die Weseler Produktionsfirmen von Flaggschiff und Dießenbacher - ist das zumindest schön anzusehen und anzuhören.

dibo: Warum haben Sie Ihre Nachrichten auf bezahlten Seiten im Weseler veröffentlicht und wie waren Sie zufrieden mit der Umsetzung?
Holthuis: Diese Idee kam mir, als mir bewusst wurde, dass es während der Zeit der Kontaktbeschränkungen keinen Sinn machen würden, einen 48-seitigen Gemeindebrief weiter herauszubringen. Und das aus verschiedenen Gründen. Zum einen konnten wir den zumeist älteren Gemeindegliedern den ehrenamtlichen Verteildienst für die 10000 Gemeindebriefe nicht zumuten und zum anderen war klar, da fast alle Veranstaltungen nicht durchgeführt werden konnten, dass der Gemeindebrief als Werbeformat für Veranstaltungen derzeit nicht gefragt war. Schließlich kommt noch hinzu, dass der Herstellungsprozess für den Gemeindebrief mindestens 4 Wochen benötigt - vom Schreiben der Beiträge bis zur Verteilung. So kam mir die Idee, den WESELER anzufragen. Der wiederum kann Lay-Out und Vertrieb garantieren und deutlich aktueller sein. Das Ergebnis hat uns sehr überzeugt. Wir haben teils in Zusammenarbeit mit anderen Gemeinden eine passende Kommunikationsform mit dem WESELER gefunden. Unsere Wünsche wurden immer berücksichtigt und das Ergebnis kann sich m.E. sehen lassen. Für uns beinhaltet diese Form der Zusammenarbeit auch die Chance eine Zeitlang auch in neue Haushalte zu kommen. Ich glaube, dass auch der WESELER profitieren kann über diese Form der Kooperation in solch besonderen Zeiten.

Autor:

Dirk Bohlen aus Hamminkeln

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