Vor 450 Jahren: Der Weseler Konvent - ein Fake-Ereignis?
Amerikanischer Forscher ist sich sicher: Das epochale Kirchen-Ereignis war eine Erfindung der Tradition.
In diesem Jahr jährt sich das 450.Jubiläum eines kirchengeschichtlichen Ereignisses, das mit dem Namen der Stadt Wesel eng verbunden ist: der Weseler Konvent. Am 3. November 1568 soll hier eine Versammlung von 43 führenden calvinistisch gesonnenen Kirchenleuten holländischer Herkunft unter konspirativen Voraussetzungen stattgefunden haben. Damals sei es bei dieser Versammlung um die Neuordnung der protestantischen Kirche in den Niederlanden gegangen. Man habe ein Papier mit zahreichen Artikeln über die Ordnung der Kirche verabschiedet. Später wurde diese Versammlung als eine Art "Ur-Synode" für die Verfassung von niederländischen und deutschen Landeskirchen (im Rheinland und Westfalen) glorifiziert. Nun behauptet der renommierte amerikanischer Kirchengeschichtler Jesse Spohnholz in seiner excellent geschriebenen und detailreich dargelegten Monographie "The Convent of Wesel" vom November 2017: Diese berühmte Versammlung hat niemals stattgefunden. Es gebe nirgendwo die Belege für einen Aufenthalt einer solchen Anzahl von Personen unter geheimen Umständen in der Hansestadt Wesel. Das entstandene "Protokoll" stamme allein aus der Feder des flämischen Theologen Petrus Dathenus (ca. 1531-1588), dem ersten Unterzeichner dieses Dokuments. Es sei eiin Positionspapier für eine künftige niederländische Staatskirche gewesen. Dathenus habe es in alleiniger Autorschaft im Kontext der Erwartung eines erfolgreichen Feldzugs von Wilhelm von Oranien gegen die verhasste Herrschaft der katholischen Habsburger in den Niederlanden verfasst. Mit diesem Dokument sei er unter anderem nach Wesel, Emden und London gekommen und habe dort jeweils Unterschriften gesammelt. Weil aber der Kriegsverlauf anders war als erhofft, ist das Dokument nach wenigen Monaten in London bei der niederländischen Exilgemeinde offenbar in der Versenkung verschwunden. 50 Jahre später allerdings im Jahr 1618 - also vor genau 400 Jahren - wurde es von dem Prediger Simeon Ruytinck wiederentdeckt und das Dokument als Protokoll einer ersten niederländischen Nationalsynode bezeichnet. So sei es dann in den Folgejahrhunderten dazu gekommen, dass der "Weseler Konvent" eine gewisse Berühmtheit erlangt habe, als wichtige Versammlung zur Entstehung des Siegeszugs der presbyterial-synodalen Verfassung in den reformiert geprägten niederländischen und deutschen Landeskirchen.
Bis zum heutigen Tag gibt es 6 originale Abschriften des Dokuments von Petrus Dathenus. Eine davon befindet sich auch im Archiv der Kirchengemeinde und des Kirchenkreises Wesel. Man darf gespannt sein, wie die neuerliche These von Spohnholz in der Fachwelt diskutiert wird und welche Folgen diese mögliche neue Sicht auf die Geschichte der presbyterial-synodalen Ordnung der evangelisch-reformierten Kirchen haben wird. Auch in den Niederlanden wird dieses Buch lebhaft diskutiert, zumal das Dokument einen besonderen Status in den Archiven besitzt.
Für die Stadt Wesel ist dieses Buch natürlich auch ein Hinweis darauf, dass man die berühmte Rede von dem "gastfreundlichen Wesel" (vesalia hospitalis) nicht mehr in einem Atemzug mit dem "geheimen Konvent der niederländischen Kirchenmänner" von 1568 in Verbindung bringen sollte. Zu stringent und folgerichtig sind die Beschreibungen von Spohnholz, die ein neues Bild der Ereignisse in der für Wesel so bedeutenden Zeitepoche zeigen. Denn möglicherweise handelt es sich am Ende wirklich um ein "Fake-Event", das erst durch die spätere Tradition "entstanden" ist.
Autor:Albrecht Holthuis aus Wesel |
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