Generalisierte Angststörung
Teil 6 der Angsterkrankung - Arbeitslos

Freitag, der 29. Januar 2021 17.26 Uhr

Teil 6 der Angsterkrankung - Arbeitslos

So lange ich noch keine Ausbildung gehabt hatte, sagte meine Mutter immer wieder zu mir, ich müsse unbedingt eine Ausbildung machen denn ohne eine Ausbildung würden die Arbeitgeber nie Respekt vor mir haben.
Für mich war es also selbstverständlich eine Ausbildung zu machen. Aber auch das erwies sich aufgrund meiner Sozial Phobie als schwierig.
Vier Anläufe habe ich gebraucht und drei mal bin ich gescheitert. Vielleicht erzähle ich demnächst mal von den gescheiterten Versuchen. Da gäbe es nämlich einige Anekdoten zu erzählen.

Erstaunlich erwähnenswert ist der Umstand, dass ich meinen letzten Ausbildungsversuch dem Arbeitsamt zu verdanken habe. Ja, denn damals in den 90er Jahren war das heutige Jobcenter noch ein Amt mit vielen unkündbaren Beamten und einigen Angestellten.
Heute gibt es dort überwiegend Angestellte mit Zeitverträgen die meist auf ein Jahr befristet sind. (Planungssicherheit hat man als Angestellter beim Jobcenter also auch nicht mehr …)
Planungssicherheit ist sowieso ein großes Wort, das ist heute im Jahr 2021 für den kleinen Arbeiter bzw. Angestellten einfach nicht mehr vorgesehen.
Mit den von langer Hand vorbereiteten Hartz-Reformen, der Agenda 2005 eine neoliberale Welle in Kraft die zu einer kontinuierlichen Entrechtung der Bürger Deutschlands geführt hat. Nichts von dem was hart arbeitende Bürger ein Leben lang erwirtschaftet hatten durfte behalten werden. Lebensversicherungen, Private Renten, Bausparverträge, Häuser und Eigentumswohnungen wurden reihenweise verkauft. Und das obwohl das nirgendwo gesetzlich festgeschrieben ist. Da reicht meist schon ein dezenter Hinweis des Sachbearbeiters, das Haus, die Wohnung könne ja verkauft werden und der Sachbearbeiter würde dann einen Budget-Plan erstellen, wie lange man mit dem Geld „auskommen müsse“ und nach Ablauf dieser Frist könne man dann Hartz IV beantragen. Aber wie könne man auch die monatlichen Kosten für ein ganzes Haus vom gesetzlich festgeschriebenen Regelsatz bestreiten?
So begann eine gewaltige Umverteilungswelle von unten nach oben.

Die Gewerkschaften hatte man schon Jahre vorher durch permanentes Wiederholen
von Vorurteilen über den „vom Wirtschaftswunder verwöhnten deutschen Arbeiter“ zu zahnlosen Tigern gemacht. So das diese die Hartz-Reformen für ein probates Mittel gegen Armut in den höchsten Tönen lobten.

Und einer Sache bin ich mir absolut sicher: wenn es die Agenda 2010 und das neoliberale Geschwätz „Der Sozialstaat mache die Menschen nur faul“ nicht gegeben hätte, dann wäre ich niemals so lange Arbeitslos gewesen.
Mit den Beamten und Angestellten des „alten“ Arbeitsamtes konnte sich der Bürger nämlich noch auf Augenhöhe unterhalten und man bekam noch sinnvolle Maßnahmen, Ausbildungen und Umschulungen angeboten.
Auch ich habe in den 90ern davon profitiert, da bot mir das Arbeitsamt nämlich eine überbetriebliche Ausbildung an, bei der wir Auszubildenden wirklich was gelernt haben. Von BWL über VWL bis hin zu Buchhaltung und eine fundierte Unterweisung im Umgang mit dem Computer. Drei Jahre hat diese Ausbildung gedauert und in den Zeiten, wenn ich mal wieder unter Angstzuständen litt konnte ich jederzeit zu einer sehr netten und verständnisvollen Sozialarbeiterin gehen und mir die Sorgen von der Seele reden.
Traurig stelle ich immer wieder fest, das es so was heutzutage überhaupt nicht mehr gibt.

Als ich im Jahr 2005 entlassen worden bin war das für meine diversen Ängste natürlich ein willkommener Anlass wieder vermehrt aus dem dunkel meiner Seele aufzutauchen.
Ich bekam Angst meine Rechnungen nicht mehr bezahlen zu können, meine Wohnung verkaufen zu müssen. Aber die für mich schlimmste Vorstellung war, keinen strukturierten Tagesablauf mehr zu haben. Angst vor Tagen die so leer sind wie eine Schachtel Schokoldenkekse auf einem Kindergeburtstag.
Und der Ärger fing auch gleich mit der Agentur für Arbeit an. Ich überlegte damals mich beruflich weiter zu bilden oder umzuschulen. Zu diesem Zweck bekam ich bald einen Termin für einen Eignungstest. Für dessen Auswertung musste ich dann zu einer Psychologen-Tussi. (Das Wort „Tussi“ benutze ich hier mit voller Überzeugung) denn diese zutiefst unfreundliche Person meinte mir so richtig Bescheid stoßen zu müssen.

„Ich solle mal nicht denken ich mache diesen Test und SIE würde mir raten einen künstlerischen Beruf zu ergreifen!“

Wie sie auf diesen Trichter gekommen ist, ist mir bis heute ein Rätsel, weil ich ihr nichts dergleichen erzählt habe. Sie bot mir stattdessen an, wenn ich mich wirklich beruflich verändern wolle, dann sollte ich mal eine Ausbildung zum Optiker machen. Weitere staatliche Hilfen würde es für mich nicht geben und meine überbetriebliche Ausbildung habe den hart arbeitenden Steuerzahler schon genug Geld gekostet.

Des weiteren bemängelte SIE, dass ich meinen Ordner mit den Zeugnissen mitgebracht hatte. DAS und ein umfangreiches, für mich wenig schmeichelhaftes Persönlichkeitsprofil hat sie dann auch in meiner Akte hinterlegt. Das hat mir einige Wochen später ein anderer Sachbearbeiter der Arbeitsagentur verraten.

„Das steht jetzt für immer da drin.“, sagte er zu mir. „Und jeder Mitarbeiter der ihren Fall in Zukunft bearbeitet kann das lesen!“

Dieser Satz war zwar ziemlich niederschmetternd, aber ich versuchte es nicht zu negativ zu sehen, denn der Kollege verriet mir auch, dass diese „Psycho-Tussi“ bei den Mitarbeitern nicht gerade beliebt war.
Und so beschlich mich das ungute Gefühl, den gesellschaftlichen Anforderungen mal wieder nicht entsprochen zu haben.

Das erste Jahr meiner Arbeitslosigkeit verbrachte ich dann mit einem Rückzug ins Private und einem schlechten Gewissen deswegen. Raus zu gehen fiel mir wieder zusehends schwerer. Ganze Tage verbrachte ich vor dem Computer und spielte stundenlang immer das gleiche Spiel, selbst dann noch wenn es mir schon zum Hals raus hing. Nur um irgendwie beschäftigt zu sein und nicht über meine beschissene Lebenssituation und die Ausweglosigkeit nachdenken zu müssen.

(Fortsetzung folgt)

Autor:

Imke Schüring aus Wesel

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