Noch vor Düsseldorf beehrt sie Wesel
Sandra Da Vina goes Soloprogramm

Sandra Da Vina hat was zu sagen. Und was vorzulesen. Und was zu reimen. Und noch mehr!
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  • Sandra Da Vina hat was zu sagen. Und was vorzulesen. Und was zu reimen. Und noch mehr!
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Eine Vorpremiere ist ja ungefähr so, wie drei Tage vor dem ersten Schöpfungstag Gott aus seinem Büro murmeln zu hören: „…und die Würfel-Qualle hat keine Augenzahl? Können wir das den Leuten konzeptuell vermitteln?“… Es ist so wahnsinnig spannend und exklusiv ― wie das in Erfahrungbringen von etwas, das bis grad vorher noch Geheimnis war!
Das muss man erst mal gebührend realisieren: Das SCALA Kulturspielhaus in Wesel war quasi Schöpfungstag No1 vom erstem Soloprogramm einer Künstlerin, die schon seit Jahren Literatur in ihrer lebendigsten Form, dem Poetry Slam, präsentiert und auch regelmäßig in der Weseler Ausgabe moderiert: Sandra Da Vina.

Am Anfang war das Wort. Und das Wort wird sehr gern Sandra Da Vina erteilt.

Ihr Programm »Da Vina takes it all« (das kann man nach Sichtung feststellen) ist tatsächlich eine Art Best Of aller dem Menschen bekannten Poetry Slam-Darstellungsformen. Sie nutzt diese Stilmittel wie Farbtöne auf der Leinwand einer Vertextlichung der Welt. Alles ist dabei. Das freie Erzählen, das ablesende Vortragen und auch die rhythmische Reminiszenz an die ursprüngliche Kraft des Sprechgesangs ― sie alle reichen sich die Hände [und Worte!] und formen gemeinsam, authentisch und nachvollziehbar die Welt der Sandra Da Vina. Natürlich bekommt auch das Gedicht ― die Krönung der kunstvoll aufbereiteten Narration ― seinen Platz zugewiesen. Unverkennbar und ungemein auflockernd sind ebenfalls Einflüsse aus der klassischen Stand Up Comedy, zum Beispiel, wenn nach einem gezündeten Gag das Publikum persönlich adressiert und in die Kenntlichmachung der Verrücktheit unserer Welt miteinbezogen wird (meist mit einem inkludierenden „Kennt ihr das?!“); ein astreiner Stand Up-Kunstgriff. Auch besonders spannend ist es zu bemerken, wie Da Vina die Modi wechselt und aus dem Plauderton souverän in das zelebrierende Vorlesen übergeht. Dieses Konglomerat an Spielarten ist, und darauf sollte man an dieser Stelle noch hinweisen, kein Produkt von stilistischer Unsicherheit, sondern vielmehr eines der Freude an künstlerischer Variation.

Um es kurz zu machen (zugegeben: ich mach es viel zu selten wirklich kurz *räusper*)... Der Da Vina'sche Humor ist eine sprachsensible Verquickung aus charmant-ehrlicher Selbsterkenntnis und -ironie und das Ganze in ulkig-spielerischer Sichtweise; verpackt in Superlativen von Gedankenbildern.

Die Pointen sind (und das macht es besonders unterhaltsam) meist mehrschichtig angelegt: eine Übertreibung kriegt ein Topping aus einer weiteren Übertreibung und darüber kommen noch mehr Übertreibungsstreuselchen - so erreicht Sandra Da Vina effektiv eine lineare Nachhaltigkeit, deren Lustgewinn sich direkt aus der Kombination gedanklicher Verweildauer und Aufmerksamkeit der Zuhörer speist. Denn je länger man zuhört und aufpasst, desto mehr Pointen wirken nacheinander und miteinander. Dieses Spielerische hangelt sich an einem Stapel von albern grinsenden Hyperbeln herunter. Und immer wieder bietet sie berührende Geschichten an, die so skurril sind, dass sie im Abgang, als Würdigung ihrer herrlichen Überzeichnung, unter nasalem Glucksen ausgefädelt werden.

Es ist eine feine Dispersion aus bewusster Hinwendung zur Emotionalität und dem (zum Glück immer noch nicht abgeklärten) Hinnehmen allzumenschlicher Unzulänglichkeiten; eine Selbstoffenbarung mit beigelegter existenzieller Welterforschung.
Sie dreht den Alltag so lang in jede erdenkliche Richtung um seine eigene Achse, bis man ihn in seiner Merkwürdigkeit ein Ranking an Abstrusität verpassen möchte. Dabei ist es meist eine bewusst optimistisch ausgesuchte Perspektive, die aus reichhaltig dosierter Nettigkeit Licht in die unerleuchteten Stellen des Lebens streuen möchte. Da ist eine durchaus moralische Komponente dabei.

Es ist eine Alltagsveredelung durch Wortgewalt. Wobei es aber keine Gewalt ist (eine Sandra Da Vina wendet keine Gewalt an) sondern eher eine Kraft, eine Energie. Die Menge Energie, die es braucht, um sich aus Fragezeichen Smileys zu biegen.

All diese Spielarten zusammen machen aus dieser One-Woman-Show ein Tutorial, die Welt wahrzunehmen, ohne sie dabei zu ernst zu nehmen; ihren Wahnsinn zu erkennen, und trotzdem weiter fleißig einen Sinn darin zu suchen.

Und ganz nebenbei und unter uns: Niemand entlarvt Floskeln besser, als eine sich über sinnlosen Smalltalk ereifernde Da Vina.

Wer Sprache mag, wird das Programm »Da Vina takes it all« lieben. Und Kunden, die diesen Text mochten, interessieren sich auch für Veranstaltungskarten. Also, werden sich interessieren, wenn das Programm offiziell an den Start geht. Ganz bald also.

Das Schlusswort bildet ein Ausblick in die Zukunft:
In einhundert Jahren werden Germanistikstudent*innen nachdenklich an ihrem Ananasleder-Armbändchen (es wird aller Voraussicht nach nur noch Veganer geben) zupfen, an dem kleine leuchtende Buchstaben hängen: WWSDVS.
Was würde Sandra da Vina schreiben/sagen?

Und warum? Weil sie eine linguistische Lichterscheinung ist. Deswegen.

Autor:

Timothy Kampmann aus Wesel

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