„Requiem“ op.9 von Maurice Duruflé oder ein Gemälde in Musik

Plakat zum Duruflé-Requiem am 8.9.2013 in Wesel
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Was ein Chorsänger lernt (Teil 3)

Der Chorsänger lernt schon wieder - der Anlass für das Gedenkkonzert ist die Erinnerung an die in Wesel festgesetzten Genter Seminaristen vor 200 Jahren. Passenderweise enthält das Konzert am 8. September 2013 um 19.30 Uhr in der Kirche St. Mariä Himmelfahrt Wesel ein Meisterwerk des frühen 20. Jahrhunderts: das „Requiem“ op.9 von Maurice Duruflé.
Ein Requiem einüben? Mitten in der sommerlichen Lebenslust? Der Chorsänger wundert sich vielleicht - aber nicht lange, denn er lernte schon bei Bach: "Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit".

Das Collegium Vocale an St. Mariä Himmelfahrt Wesel singt dieses Duruflé-Requiem, weil es in mehrfacher Hinsicht zum Anlass passt. Da ist zunächst die geographische Nähe des Komponisten zu Flandern, sein Werk mit impressionistischen Elementen verbindet Gregorianik mit der Modernen, also der Gegenwart - und schließlich ist Musik auch immer Gegenwartskunst. Das Requiem als Begriff für die liturgische Totenmesse und deren kirchenmusikalische Kompositionen für das Totengedenken zeigt gerade bei Duruflé den Charakter der Seelenmesse: schon in den Eingangsworten "Requiem aeternam dona eis, Domine" kommt das Flehen der Lebenden für das Seelenheil der Verstorbenen zum Ausdruck. Dies ist der inhaltliche Bogen, das Gedenken an die während der Festsetzung in Wesel verstorbenen 35 Genter Seminaristen - ein musikalischer Bogen vom Heute zur Historie vor 200 Jahren zu Napoleons Zeiten.

Genter Seminaristen in Wesel 1813-1814
Der Chorsänger macht nebenbei einen kurzen Ausflug in die Weseler Geschichte. Napoleon hatte den papsttreuen Bischof Broglie von Gent eingekerkert und stattdessen einen kaisertreuen Bischof eingesetzt. 168 Seminaristen widersetzten sich den Anweisungen des neuen Würdenträgers. Napoleon ließ sie in der Weseler Zitadelle festsetzen und trotz Hilfe von Weselanern und dem Pfarrer an Mariä Himmelfahrt überlebten 35 Genter Seminaristen die Kasematte nicht. Sie wurden in Wesel begraben und erhielten ein Denkmal auf dem Friedhof (Caspar-Baur-Straße).

„Requiem“ von Duruflé - das Gemälde in Musik
Wer nun meint, ein Requiem müsse Trauer und Leid zum Ausdruck bringen, der wird besonders in dieser Aufführungsfassung erfahren, dass Duruflés Requiem die Elemente Bitte, Dank, Hoffnung und Trost verbindet in einer Musik, die Tod UND Leben feiert. Zu feiern gibt es die Verheißung des ewigen Lebens, das haben auch die Genter Seminaristen weiterverfolgt - oder ganz einfach formuliert: "Gestorben und geboren wird immer, gelebt nach dem Tod erst recht".

Die Orgel als zentrales Instrument illustriert dabei den gesamten Text vom Anfang bis zum Ende. Der Komponist war ein wahres Orgelimprovisationstalent seiner Zeit und so sind manche Stellen fast plastisch durch die Orgel dargestellt - fast schon ein "Gemälde in Musik". So herrscht beispielsweise im "Agnus Dei" die Gregorianik im Gesang vor, während die Orgel schon auf das Lamm Gottes hinweist. Als Besonderheit des französischen Ritus ist ein "Pie Jesu" (letzter Halbvers des Dies Irae) als eigenständiger Satz hinzugefügt, hier korrespondieren Sopranistin, Orgel und Cello in wundervoller Weise. Im "Lux aeterna" ist die Kerze, die flackert und zu erlöschen droht, als symbolisches Lebenslicht fast sichtbar. Der Chorsänger atmet und lernt: Atem wird nicht verschenkt. Atem ist, was irgendwie fließt bis zur letzten Note und doch noch klingt.

Die Gregorianik wird im Requiem von Duruflé voll zitiert und erfährt impressionistische Züge in den Chorteilen. Das Wort-Ton-Verhältnis hat dabei eine immense Kraft und klingt als eine Musik, die vom Jenseits zu künden scheint. Das zeigt sich im Verlassen der Rhythmik: die ständigen Taktwechsel geben dem Zuhörer das Gefühl, er schwebe schon im Jenseits. Die Gregorianik im mehrstimmigen Chor wird dazu ebenso sphärisch eingesetzt: im "Sanctus" wirken die Frauenstimmen wie ein Engelschor, den man fast an Gottes Thron stehend hört, im "In Paradisum" wird die Seele hörbar durch die Pforte geführt. Letztlich deutlich impressionistisch und somit auf die Gefühlsebene gerichtet ist der stetige Wechsel von verehrungsvoller Ansprache Gottes zu kraftvoller Anrufung, z.B. im "Libera me", der Ruf zur Befreiung aus dem Rachen des Löwen.

Der erste Blick in die Partitur geht zum Dirigenten - wie will er diese vielen Rhythmuswechsel umsetzen? Da hilft nur die alte Regel: immer auf den Chorleiter gucken! Der zweite Blick zeigt stetigen Vorzeichenwechsel, vor lauter "b" und "#" kann einem schwindelig werden. Somit lernt der Chorsänger an diesem Requiem zu intonieren - schließlich klingt es nur dann sphärisch, wenn es bei aller Tonvielfalt stimmig ist.

"Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit" von J.S.Bach
Wenn man bedenkt, dass dieses Werk 1947 in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg komponiert wurde, so kann man die Musik mit dem tröstlichen Gedanken genießen: Wir alle sind in Gottes Zeit gestellt, auch die Genter Seminaristen. Damit passt auch der "Actus tragicus" von Joh. Seb. Bach "Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit" als Teil dieses Gedenkkonzertes. Die Kantate verbindet als "Predigt in Tönen" den alten Bund ("Mensch du musst sterben") mit der Verheißung ("Komm, Herr Jesu, komm"). In Parallele zum Requiem nimmt auch hier die Seele den Tod an und wird in die Glorie des ewigen Lebens aufgenommen: der Choral "Mit Fried und Freud fahr ich dahin" läuft durch die Arie "Heute wirst du mit mir im Paradiese sein".

Der Chorsänger muss also nicht auf "seinen" Bach verzichten und freut sich auf die Aufführung am 8. September 2013 - und auf viele Zuhörer für diese beeindruckende Gedenkkonzert in Wesel.
Besuchen Sie das Collegium-Vocale-Wesel im Web

Plakat zum Duruflé-Requiem am 8.9.2013 in Wesel
Autor:

Dagmar Persing aus Wesel

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