Mrs. Greenbird: das Weltschmerz-Antiserum

Zwei Frohe-Laune-Produzenten bei ihrer Arbeit
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Wenn man Erbsen während ihres Wachstums eine Woche lang (täglich) ein bis zwei Stunden Musik vom deutschen Folkduo Mrs. Greenbird zuführt, werden sie zu Zauberbohnen, deren Ranken in ein kuscheliges Königreich hinein wachsen. Um diese Behauptung zu beweisen, braucht es diesmal ausnahmsweise keine empirische Wissenschaft — man braucht nur Ohren.

Das Scala Kulturspielhaus als Veranstaltungsort und Hilmar Schulz als Organisator haben Wesel einen zauberhaften Abend beschert.
Denn dort gab es gestern mal einen richtig guten Grund, die frühlingsgrünen Scheinwerfer aufzudrehen: Mrs. Greenbird war im Haus.

Wer die Band, bestehend aus dem Paar Sarah Nücken und Steffen Brückner, nicht kennt, dem sei zunächst erklärt, dass das erste Aufhorchen von Nückens Stimme initialgezündet wird. Um deren Klang zu beschreiben, bediene ich mich soeben ersonnener Fabel: Eines Tages wollten alle Anwohner eines Elfenwald ein neues Theremin vom Instrumentenbauer haben, und als er die Vorschläge dazu eingereicht bekam, stand da, es solle definitiv zart und fein sein, auf alle Fälle was helles und etwas, was sich gut zur musikalischen Untermalung von Videos eignent, wo Blumen miteinander tanzen würden, und auch etwas zerbrechlich, um die Wertschätzung zu steigern. Da las der Instrumentenbauer die Wünsche, hob die Augenbrauen, ging ans Fenster und rief zu den Leuten: "Das schaffe ich nicht, wir müssen warten, bis diese Stimme auf eine Menschin fällt." Und dann, nach langer Zeit, gewannen Mrs. Greenbird bei der Show X-Factor. So war das. Also in etwa.

Die Klangwelt ist außerhalb des Gesanges pur und einfach gehalten und wird durch ein übersichtliches Instrumentarium bestimmt: sie spielt Korg-Keyboard, Rassel und Tamburin und er die Gitarre. Also die Gitarren, Plural, denn die wechselt er wie Lothar Matthäus die Frauen. Humorig-kumpelig leitet er die Stücke ein, die Beide in formvollendeter Teamarbeit präsentieren: Songs über gefeierte Unterschiedlichkeit, Kaffeeliebeslieder, süß wie honiggefüllter Karamell, Beziehungsbekenntnisse, alles Sachen, die zum weltvergessenen mitwippen einladen.

Beschreiben tut sie vor Allem ein Wort, das sich völlig zu Unrecht gegen die Lesart des infantilen behaupten muss: Liebreiz.

Wenn man böse wäre, könnte man behaupten, die beiden sind harmoniesüchtige Träumerle… Der Punkt ist nur der: sämtliche Bösartigkeit sublimiert bei ihrem Konzert — ist verpufft und ungesehen von leuchtenden Blumengirlanden und um Mikrofonständer umschlungenen Lichterketten absorbiert worden. Darum ist dieser Bericht auch so gefällig. Anders geht's nicht! Letztendlich wäre so eine Einschätzung auch zu kurz gegriffen, weil Mrs. Greenbird ganz bewusst den Kuschelkurs als Fahrplan, in Art des kantischen Imperativs, pratizieren. Und sie tun es ironiefrei, ehrlich und aus vollem Herzen und mit herrlich frohen Melodien. Das macht sie musikalisch und menschlich zu einer gesangsgewordenen, friedlich-täubchenweißen Kampfansage an die allgemeine, ackselzuckende Abgeklärtheit.

Wenn irgendwo in New York ein verkappter Hobbyphilosoph das deutsche Wort »Weltschmerz«* aus dem Miese-Laune-Hut zaubert, sollte man ihm eine CD von den Beiden in die Hand drücken und augenzwinkernd beratschlagen: "Here, that's german Lebensfreude!"

*German Weltschmerz ist nicht zu verwechseln mit »German Angst« — die tritt nur dann auf, wenn Dioxin in Eiern an den Grenzwerten kratzt.

Autor:

Timothy Kampmann aus Wesel

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