Lug und Betrug an der Pfarrhaus-Tür
Am späten Samstagnachmittag kurz vor dem 2. Advent klingelt es 'mal wieder an der Dienst-Tür des Pfarrhauses. Ich bin gerade im Garten, um die letzten Blätter auf dem großen Rasenareal wegzurechen, als ich das Schellen durch die geöffnete Terrassentür höre. Wer hat um diese Zeit noch ein besonderes Anliegen? Der Konfirmand, der vielleicht den Verlust seiner Jacke beim letzten Konfirmandenunterricht angesichts des unfreundlichen Wetters bemerkt hat oder die Mitarbeiterin der Gemeinde, die mich um eine Spende für die Sammlung der Diakonie bittet? Nein, ich ahne es: An ungewöhnlichen Zeiten klingeln meist Personen mit ungewöhnlichen Geschichten. Zumeist herzzereissend, ab und an authentisch, häufig aber ohne jedweden Wahrheitsgehalt. Ist Herr oder Frau "Lug und Betrug" wieder 'mal auf Visite? Der Herr, der mir gegenübersteht, ist untersetzt, schätzungsweise um die 60 Jahre alt, mit Jogginghose gekleidet, aber keineswegs verwahrlost. Er spricht akzentfrei deutsch: "Ich muss Sie unbedingt sprechen, Herr Pfarrer! Nur sie können mir noch helfen!" Der typische Satzanfang - wir Pfarrerinnen und Pfarrer werden meist in solchen Situationen gekünzelt mit Schmeicheleien schon eingangs weich geklopft und die Dramaturgie der ersten Ansprache beginnt mit "Alarmstufe rot". Natürlich höre ich zwei Stimmen in mir: Die eine sagt: Lass diesen "deinen geringsten Bruder" hinein und begegne ihm mit der Freundlichkeit eines Christenmenschen, die man von dir insbesondere als Pfarrer erwarten kann. Die andere sagt: Obacht - die Geschichte, die da auf mich wartet, könnte von jetzt an, eine Lügengeschte sein! Ich habe eigentlich keine Lust, mich hereinlegen zu lassen und dabei mir anvertrautes Geld aus der Diakoniekasse an Betrüger zu verschwenden.
Ich lasse Herrn X hinein in das Pfarrbüro, in dem der Schreibtisch in Anbetracht der Advents- und Weihnachtszeit besonders mit Materialien aller Art ausgefüllt ist, stelle einen Stuhl zu Recht und lasse den Gast seine Situation schildern. "Meine Frau ist letzte Nacht verstorben - an Krebs. Sie lag im Uniklinikum Köln. Jetzt möchte ich gleich den Bestatter bestellen, dann erwarte ich noch Verwandte meiner Frau. Aber Herr, Pfarrer - ich war lange arbeitslos, habe jetzt wieder Arbeit. Nur der Lohn ist noch nicht da - und ich muss doch ausreichend Geld für Einkäufe haben, um meine Gäste zu versorgen und die Beerdigung auszurichten!" Und während er so spricht, wirkt der Mann doch außergewöhnlilch gefasst und ruhig.
Ich muss mich ein wenig sammeln angesichts dieser äußerst dramatischen Situation und spreche erst einmal mein Beileid aus, wobei mich schon ein innerer Widerstand begleitet. Wenn die Frau in Köln verstorben ist, ist es zumindest ungewöhnlich, dass sich der Ehemann gleich auf den Weg zum Pfarrer nach Wesel aufmacht, denke ich.
Ich frage freundlich nach den Umständen, wie die letzen Tage gewesen seien, wie sich alles so ergeben hätte und erhalte etwas kurz angebundene Auskünfte. Als mir der Gast bestätigt, dass seine verstorbene Frau evangelisches Gemeindeglied sei, frage ich nach ihrem konkreten Namen, nach Geburtsdatum und nach der Anschrift. Der Name und das Geburtsdatum kommen etwas verzögert, aber durchaus noch im vertretbaren Rahmen aus seinem Munde. Schließlich nennt er mir die konkrete Adresse. Es ist der Name einer Straße gleich um die Ecke.
In diesem Moment schrillen bei mir die Alarmglocken besonders laut. Diese Masche kenne ich nur zu Genüge: Ein Betrüger kommt in der Regel nicht aus dem Gemeindebezirk. Er kundschaftet meist nur die direkte Umgebung aus, erkundigt sich nach den Adressen der Pfarrhäuser und macht sich dann auf die Socken mit seiner Geschichte. Sollte es hier etwa auch so sein?
Als mir Herr X die Hausnummer seiner Wohnung nennt, habe ich ihn schon ohne sein Wissen als Betrüger entlarvt. Denn neben dem Postboten ist es meist der Pfarrer oder die Pfarrerin, die sich besonders gut mit den Hausnummern ihrer Gemeindebezirksstraßen auskennen. Er nennt mir eine "gerade" Haus-Nummer, von der ich mit Sicherheit weiß, dass sie nicht existiert. Ich frage nach: "Also die Hausnummer 4, sagten sie?" Er bestätigt noch einmal.
In diesem Moment schaue ich ihn an und konfrontieren ihn: "Herr X, Sie erzählen mir eine Geschichte, die sie frei erfunden haben und möchten von mir Geld erpressen! Schämen Sie sich nicht?" Der Besucher protestiert: "Nein, nein, das stimmt alles, was ich gesagt habe - ich zeige Ihnen den Mietvertrag!"
Einige Momente später habe ich den unerquicklichen Besuch aus dem Haus entlassen. Herr X braust mit seinem Kleinwagen davon, um Momente später vor anderen Pfarrhaustüren zu stehen und die Geschichte in veränderten Variationen zu erzählen. Vom Kollegen höre ich dann, seine Frau sei in "Essen" verstorben. Auch ist die Adresse dann eine andere.
Schade, dass diese Begnungen mittlerweile kein Einzelfall im Alltag eines Pfarrers darstellen. Als Pfarrerinnen und Pfarrer wollen wir den in Not geratenen eine erste Hilfe anbieten. Aber es ist leider immer wieder nötig konkrete Fragen zu stellen und das Gesagte möglichst zu überprüfen. Dank Herrn X und vielen seiner Nachahmerinnen und Nachahmer.
Aber auch Herr X wird mich nicht daran hindern, demjenigen mit meinen Möglichkeiten zu helfen, der es wirklich nötig hat.
Autor:Albrecht Holthuis aus Wesel |
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