Ich bin von Eseln umgeben! oder: das Hohelied vom Huftier-Image

Sympathiegravitation

Ein gewagter Ausblick in eine ferne Zukunft, in der Killermaschinen an Beschäftigungslosigkeit sterben und spätere Archäologen eine Kultstätte ausgraben. Außerdem erkläre ich, was englische Hundeohren mit meinem Verhältnis zu Wesel haben.

Sind Sie, liebe Leser, vertraut mit den Zukunftsentwürfen der Terminator-Filme? Laut diesen werden wir irgendwann von intelligenten Maschinen nahezu ausgerottet. Allerdings ist eine solche Geschichte nicht ganz zu Ende gedacht: wenn die Maschinen nämlich die Erde übernommen haben, gibt es danach nichts mehr für sie zu tun. Den einen oder anderen Menschen kann man sicherlich mit einem auf jeder Seite handschriftlich verfassten Zettel "Bitte umdrehen" ein paar Minuten beschäftigen — ein Roboter blickt da zu schnell durch und wartet anschließend vergeblich auf neuen Input. Und rostet vor Langeweile. Die Terminatoren werden auch niemals so schöne, wohlklingende, erkenntnistheoretische Sachen sagen, wie: "mein Betriebssystem rechnet, also bin ich" oder "Strom verbrauchen oder nicht Strom verbrauchen? Das ist hier die Frage!". Dementsprechend werden sie — wie es mein Drucker Zuhause macht und mein Opa früher auch immer so tat — bei Nichtbenutzung einfach in den Sleepmodus abdriften.
Und dann werden die letzten verblieben Menschen — vielleicht Nachfahren von Ursula von der Leyen und Donald Trump — eine kinderfreundliche Mauer um den Roboterdistrikt bauen und die Erde neu besiedeln (Gedankenexperiment! Nur ein Gedankenexperiment!)… Und zwar mit dem ganzen Kram, der dazu gehört: Mythen, Kultur, Handel, Perioden des Fort- und Rückschritts, der Erfindung von Cola und der Wissenschaft. Und Lokalzeitungen. Dann werden zukünftige Archäologen eine versunkene Stadt namens Wesel ausgraben und verblüfft feststellen: "…hier musste vor Jahrhunderten ein riesiger Eselskult stattgefunden haben! Denn der Esel als grafisches Leitmotiv tauchte auf Zeitungen, Aufklebern, Getränken und dergleichen auf; es gab einen Proto-Esel aus Bronze und verstreute Ableger aus Glasfaserverbundstoff — überall. Die Stadt war übersät von Eselsikonen! Die Menschen damals mussten ein sehr ehrfürchtiges Verhältnis zum Esel gehabt haben, vielleicht war er eine Lokalgottheit, vielleicht ein Schöpfungsmythos, in dem ein Esel ein Ei legt und vor dem Kochen ansticht (damit es nicht platzt) und aus der Folge des Anstechens aus dem Loch ein Tropfen fällt, der zur flachen Welt von Wesel wurde..." Wer weiß, auf was für Theorien zukünftige Archäologen kommen werden?!
Sollen sie ruhig rätselraten — jeder Epoche ihre Ideen und (Fehl-)schlüsse. Die Zukunft lässt eh auf sich warten.

Ein flüchtiger Blick in die Vergangenheit: Der Esel war einst verschrien als profanes Nutztier, als dumm und störrisch abgekanzelt, das erst durch genetisches Upgrade zum Maulesel gesteigert werden musste. Aber diese Zeit ist vorbei und ihr Ruf verschallen — zu Recht und zum Glück.

Und heute? Die Weseler machen das ganz charmant: auf selbstbewusste, augenzwinkernde Art und Weise erheben sie den Esel zum omnipräsenten Sympathieträger und bodenständigen Identitätsstifter. Während die Marktwirtschaft dafür sorgt, dass alle (ich wiederhole: ALLE) Innenstädte aus fast den gleichen Grundzutaten bestehen (welche von nationalen und internationalen Ketten gestellt werden), stellt Wesel wiederum sein Lieblingstier auf — als heimatliebende Antithese zur globalisierten Beliebigkeit, als Verortung und Marker. Das funktioniert. Wunderbar.

Und dieses Kapitel ist noch nicht mal zu Ende erzählt — neulich las ich von dem Vorschlag einer Eselsampel! (Und die Schlagzeile dazu – sofern diese Idee realisiert wird – schreibt sich ja quasi von selbst: "Grünes Licht für Esel-Ampel"). Wenn in den nächsten Jahrzenten irgendwo eine Brücke gebaut werden soll, dann kann ich mir jetzt schon denken, wie die Brücke heißen würde: "......brücke"! Sehen Sie? Den Namen wird man niemals vergessen, denn man hat ja diese super …Eselsbrücke. — Ach, ich bin mal wieder lustig drauf.

Jedes Buch, das in meinem Regal steht, hat mindestens ein Eselsohr! Aus Prinzip!
[Kleiner Funfact: in England heißt die geknickte Ecke im Papier dagegen "dogear" — wer weiß, ob Wesel nicht hinter der deutschen Version steckt und wir ohne diese schöne Stadt Hundeohren im Nachttischbuch hätten!]

Wesel hat aus einem unverschämt simplen Wortspiel ein freundliches Maskottchen portiert, transformiert, das zum vertrauten Begleiter und Vermittler von Heimatgefühl wurde. Die Idee ist beständig, und sie wird viele weitere gute Ideen anstiften.

Auf die Frage, wie es einem geht, könnte man doch einführen, verklärt lächelnd zu antworten: "Ich fühl' mich wie der Esel in Wesel".
(Honigkuchenpferd war gestern)

Irgendwann werden sich Bremer Historiker erzählen: "Du, weißt Du, woher der Esel von unseren Stadtmusikanten kam? Er kam aus …"
Na, Sie wissen schon.

Ich bin von Eseln umgeben… und ich find's schön so.

TK

Autor:

Timothy Kampmann aus Wesel

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