Begegnung mit dem kleinen Messi
Konfirmanden aus Wesel spielen mit Kindern im Friedensdorf Oberhausen
Der spielt ja wie Messi!" ruft plötzlich Felix, einer unserer Konfirmanden während des Fußballspiels im umzäunten Soccer-Field des Friedensdorfs Oberhausen. Dabei ist der kleine Messi mindestens zwei Köpfe kleiner als er und sein ungewöhnlicher Laufstil lässt darauf schließen, dass die Formate seiner Beine wohl aufgrund einer Knochenentzündung ungewöhnlich sind. Er heißt Alejandro und stammt aus den Slums von Luanda, der angolanischen Hauptstadt. Geschickt schirmt er den Ball vor den Zugriffen des schlaksigen deutschen Jugendlichen ab und passt zu Farik. Farik, ein afghanischer Junge aus dem Hinterland von Kabul, ist der unumstrittene Regisseur des Spiels. Er, ausgestattet mit Mundschutz und entschlossenen blitzenden Augen zirkelt gekonnt einem weiteren Mitspieler eine Flanke zu Idris. Und der hat die Gelegenheit freistehend vor dem deutschen Tor abzuziehen, in dem Lars auf den Schuss wartet. Und tatsächlich: Der Schuss sitzt trocken und präzise und passt genau ins linke Eck: 1:0 für die bunte Fußballtruppe aus Afghanistan, Angola, Tadschikistan, Gabun, Kirgistan...! Und mit einem Mal erhebt sich ein ohrenbetäubenden Torjubel, der die deutschen Jugendlichen gleichermaßen lächeln und den Kopf schütteln lässt. Gerade erst vor zwei Minuten haben sie, die sie sich mit der Sprache nur radebrechend mit den Kindern verständigen können, auf ein Spiel geeinigt. Ein Spiel mit offensichtlich ungleichen Gegnern: Hier die großgewachsenen deutschen Jungen und Mädchen, dort die Kinder aus dem Friedensdorfs, vielen ihr Handicap anzusehen: vernarbte Brandwunden, verkürzte Gliedmaße, medizinische Verbände und Hilfsmittel ...
Ein ungleiches Fußballmatch macht viel Spaß
Die Konfirmanden aus Wesel haben es erst einmal schwer, sich ins Spiel zu bringen. Müssen wir nicht zurückhaltender sein, damit wir die Kinder nicht zu sehr bedrängen oder vielleicht verletzen? - dieser Gedanke ist auf mancher Stirn zu lesen. Was die deutschen Jugendlichen an körperlicher Überlegenheit mitbringen, machen die Friedensdorf-Kinder durch unbändigen Kampfgeist und Spielwitz wett. Die internationale Mannschaft im Friedensdorf Oberhausen ist einfach quirliger und auf einer Woge der Begeisterung unterwegs. Ich lasse mich anstecken, vergesse für einen Moment, dass ich eigentlich als Pastor mehr in der Rolle des Betreuers, Beobachters und Schiedsrichters bleiben sollte. Ich spiele mit und unterstütze meine Mannschaft. Irgendwann steht es nach 15 Minuten 2:2. Als ich mich fast beseelt und berauscht fühle, lasse ich mich auswechseln, um anderen den Vortritt zu geben. Neben dem Spielfeld hat sich der elfjährige Walid - ebenfalls aus Afghanistan - eingefunden. Ihm fehlen als Folge einer Minenexplosion beide Arme. Er fordert mich mit Blick auf den Ball auf: "Spielen?" Und dann ist es schon soweit: Er zeigt seine Tricks am Ball und möchte, dass ich versuche, ihm den Ball abzujagen. Mir ist es egal, wie es aussehen mag, wenn ein Erwachsener mit ihm, den schmächtigen und schwer behinderten Jungen aus einem Armenviertel Kabuls, Fussball spielt. Es macht einfach Spaß, ihm und mir.
Statt Smartphone geht der Plumpsack herum
Gleich um die Ecke haben sich hauptsächlich die Mädchen unserer Konfirmandengruppe versammelt. Keines spielt mit seinem Smartphone, scrollt durch die sozialen Netzwerke oder hört über den Ohrstöpsel die Charts rauf und runter. Einige sind umringt von den jüngeren Kindern des Friedensdorfes - es schnattert, lacht und es gibt auch ein paar Tränen. Andere haben einen Kreis gebildet und spielen das alte Spiel vom "Plumpsack". Rollstühle bewegen sich hin und her oder werden mit den Kindern bewegt. Es ist eine fröhliche Stimmung. Als Katharina Schramek, Verantwortliche für die Öffentlichkeitsarbeit im Friedensdorf, wieder zum Aufbruch bittet, fällt es vielen nicht so leicht, Abschied zu nehmen. Dabei war es doch nur eine gute halbe Stunde, in denen sich hier zwei Welten auf dem Dorfplatz begegnen konnten.
Eine Begegnung, die nahe ging
In der anschließenden Fragerunde, ist den Konfirmanden anzumerken, dass die Begegnung vielen nahe ging, sie berührte oder doch zumindest nachdenklich gemacht hat. Warum ist es nötig, dass die Kinder von so weit her mit solch einem Aufwand nach Deutschland gebracht werden? Kann man wirlilch allen kranken und schwer behinderten Kindern helfen? Was passiert, wenn ein Kind trotz aller Mühe stirbt? Können wir nicht einfach 'mal wieder zu Besuch kommen? Was ist mit den Eltern der Kinder? Sehr viele Fragen muss Katharina Schramek beantworten, was sie geduldig und mit hoher Kompetenz und Einfühlungsvermögen tut. Ihre Antworten und der Film runden das Bild ab, das sich nach wenigen Stunden ergibt: Es ist schlimm, was Kinder auch heutzutage - 47 Jahre nach Gründung des Friedensdorfes - an Leid in ihren Heimatländern erleben und auf welch geringe medizinische Hilfe sie rechnen können. Das Friedensdorf Oberhausen aber ist eine großartige Einrichtung, die solchen Kindern in Zusammenarbeit mit deutschen Krankenhäusern, Ärzten und Pflegern hilft. Viel, sehr viel Engagement durch Zeit, Geld und Einsatz ist nötig, um diese Arbeit durchzuführen. Dass sie sich lohnt, kann man schon nach einem gemeinsamen Fußballspiel auf dem Dorfplatz des Friedensdorfes erleben.
(Anmerkung: Alle Kindernamen sind aus Gründen des Personenschutzes geändert.)
Autor:Albrecht Holthuis aus Wesel |
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