Zerfall am Berliner Tor
Bei fehlendem Kopf blutet das denkmalgestützte Herz

Sieht traurig aus. Is'es auch.
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Ich liebe das Berliner Tor. Ich liebe es, wie über die Zeit aus diesem taktisch positionierten Befestigungsmittel zum Festungszweck, wuchtigem Verteidigungswall und Abschottungswerkzeug nun das steinerne, freundliche und interessante Stirnseiten-Empfangskomitee für die Hansestadt Wesel wurde. Es ist ein Massiv an alter Ehrwürdigkeit. Und ein riesiges Stück baulicher Geschichte. Und ein wirklich herausstechender Eyecatcher. Man läuft nicht mehr hindurch, weil die Regeln eng sind, sondern läuft daran vorbei, weil die Zeiten frei und friedlich sind. So kann man es aus dem Blickwinkel des Staunens betrachten und toll finden.

Darum schmerzt es verständlicherweise besonders, wenn ich an der mittlerweile (bestimmt schon eine Woche) demolierten Statue von Minerva vorbeigehe. Es ist ein Zerfall an offensichtlichster Stelle — ausgerechnet am Kopf, an der Sollbruchstelle jeglicher Bedeutungsfülle. Ohne Kopf hat diese Figur leider so gar keine Persönlichkeit mehr, sondern ist nur noch ein trauriges Beispiel invalider Denkmäler. Krieg, Erosion und Unwetter sind diejenigen Einflüsse, die für sich geltend machen, dem Menschen seine gewohnte Umgebung zu editieren und für klare Verhältnisse sorgen: Vergangenheit ist nur bedingt zum Aufbewahren geeignet.

Wenn Sie also an der kopflosen Minerva vorbei-hetzen oder -schlendern, und Ihr Blick fällt auf den Halsstumpf, denken Sie daran: Vergangenheit ist nur so langlebig, wie die Erinnerung an sie — und das Verlustgefühl beim Verfall alter Schätze ist eines, das zumindest erdet und als Gradmesser für Wertschätzung taugt.

Nur nicht den Kopf verlieren. Man gewöhnt sich dran. Aber es braucht seine Zeit.

Sieht traurig aus. Is'es auch.
Autor:

Timothy Kampmann aus Wesel

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