Blumengrüße

„Da – für dich, Mama! Stellst du sie gleich in die Vase?“
Aus der kleinen sonnengebräunten Kinderfaust, die du mir entgegen streckst, lugen ganz verzagt ein paar Gänseblümchen. Schon mehr tot als lebendig sehen sie aus. Doch die braunen Kinderaugen, die mich strahlend anschauen, sehen einen wunderschönen Strauß. Und, ehrlich gesagt, auch ich finde ihn wunderschön. Die strahlenden Augen und das fröhliche Lächeln – das ist es, was diesen Strauß so besonders macht.

Eine passende Vase haben wir leider nicht gefunden. Aber eine hübsche Glasschale. Die haben wir mit Wasser gefüllt und die Gänseblümchen als rosa-weißen Teppich darauf schwimmen lassen. Sie haben sich tatsächlich wieder erholt.

Du hast mir oft etwas mitgebracht. Mal einen schönen Stein, mal ein Bild, das du im Kindergarten gemalt hast. Natürlich auch den obligatorischen Handabdruck in Gips. Und immer wieder Blumen. Leuchtend gelbe Butterblumen und roten Klatschmohn, der meist schon fast alle Blütenblätter verloren hatte, bis du mit ihm zuhause warst. Manchmal hast du Vergissmeinnicht aus Omas Garten gemopst und manchmal waren es auch nur ein paar Gräser, die du am Straßenrand gepflückt hattest.

Eines Tages kamst du beinahe eine Stunde zu spät aus der Schule. Gerade als ich mit dir schimpfen wollte, überreichtest du mir einen kleinen Strauß Moosröschen. Hübsch mit Farn und Schleierkraut gebunden. Das Taschengeld für eine Woche hattest du dafür geopfert – und es hätte nicht mal gereicht, wenn nicht die Tochter des Blumenhändlers mit dir in eine Klasse gegangen wäre.

Als du älter wurdest, wurden die selbstgepflückten Gänseblümchen seltener, blieben schließlich ganz aus. Natürlich gab es den obligatorischen Blumenstrauß zum Geburtstag, immer hübsch anzusehen und immer liebevoll ausgesucht. Und dennoch blieben die armen kleinen Gänseblümchen immer etwas Besonderes.

Aber so ist es eben, wenn die Jahre vergehen und die Kinder erwachsen werden. Dann erinnert man sich oft mit Wehmut an Gänseblümchen und Vergissmeinnicht.

Auch an den letzten Strauß von dir denke ich oft. Mehr als sechseinhalb Jahre ist das jetzt her, doch es kommt mir vor, als sei es gestern gewesen. Einfach so, ohne besonderen Anlass. Nur weil du das Gefühl hattest, es ginge mir nicht gut. Ein leuchtend bunter Strauß war es, einer von der Sorte, die das Zimmer gleich fröhlicher macht. „Ich dachte, du könntest eine Aufheiterung gebrauchen!“ sagtest du, als du meinen erstaunten Blick sahst. Es war zwar keine Kinderfaust mehr, die mir diesen Strauß entgegenstreckte – aber genau wie damals hattest du deine mehr als spärlichen Kröten zusammenkratzt, um mir eine Freude zu machen. Das machte auch diesen Strauß wieder zu einem ganz Besonderen. Wie besonders er war, dass wusste ich noch nicht - damals.

Jetzt bringe ich dir Blumen. Leuchtend bunte, damit das kleine Stückchen Erde etwas fröhlicher aussieht. Nicht wegen der Leute, sondern weil ich es möchte. Weil es mir das Gefühl gibt, dass du von deinem Regenbogen auf mich herabsiehst und dich darüber freust.

Und wer weiß: Vielleicht, eines Tages, wenn ich die Regenbogenstraße zu Ende gegangen bin, kommst du mir ja entgegengelaufen, streckst mir deine Faust entgegen, aus der viele rosa-weiße Gänseblümchen lugen, ich sehe deine strahlenden braunen Augen und dein fröhliches Lächeln – und ich höre dich wieder sagen:

„Da – für dich, Mama!“

© Siglinde Goertz

Autor:

Siglinde Goertz aus Uedem

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