Weihnachtsnostalgie

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Markt und Straßen stehn verlassen
Still erleuchtet jedes Haus
Sinnend geh ich durch die Gassen
Alles sieht so festlich aus! (Eichendorff)

Ich liebe dieses Gedicht von Eichendorff! Wenn ich abends durch die Straßen gehe, die mehr oder weniger geschmackvoll geschmückten Fenster sehe, kommt es mir immer in den Sinn. Alle Jahre wieder – auch dieses Jahr ist es wieder so. Wenn auch Vorfreude auf Weihnachten bei mir dieses Jahr wieder einmal nicht stattfindet – trotzdem – oder vielleicht gerade deswegen? – schweifen meine Gedanken zurück. Zurück in eine Zeit, als ich noch klein und Weihnachten für mich das Größte war!

Sicherlich verklärt die Erinnerung manches! Aber Kinderaugen sehen eben anders, als die Augen der Erwachsenen. Und manchmal – besonders in der Adventszeit – erlaube ich mir den Luxus, mit Kinderaugen zu sehen und in Erinnerungen zu schwelgen.

Damals fing die Adventszeit, im Gegensatz zu heute, wirklich am 1. Advent an. Feierlich wurde die erste Kerze am Adventskranz angezündet. Oma und Mutter sangen "Macht hoch die Tür" und mein Vater brummte im Hintergrund irgendwas vor sich hin. Anschließend wurde gespielt, meist "Mensch-ärgere-dich-nicht" und wenn wir Kinder uns dabei nicht zankten, dann spätestens, wenn es darum ging, wer die Kerze auspusten durfte.

Am 1. Dezember wurde neugierig das erste Türchen am Adventskalender geöffnet. Was mochte sich bloß für ein Bildchen dahinter verstecken? Und was für eins, am Heiligen Abend? Nein, die Kalender mit Schokolade gab es damals noch nicht. Falls doch, dann waren sie meiner Mutter mit Sicherheit zu teuer. Aber das machte gar nichts. Wir fanden unsere Kalender wunderschön. Der Weihnachtsmann war darauf abgebildet – mit Engeln und einem Schlitten voller Geschenke. Oder eine kleine verschneite Stadt mit einem geschmückten Tannenbaum. Wir brauchten keine Überraschungseier - allein die Spannung, was es hinter diesen Türchen zu entdecken gab, reichte uns Kindern.

In der 2. Adventswoche fing die Weihnachtsbäckerei an. Keine Plätzchen, wie allgemein üblich. Meine Oma und meine Mutter stammten aus Schlesien. Dort war es Sitte, zu Weihnachten riesige Bleche Kuchen zu backen. Butter-Mohn- Käse- und Streuselkuchen. Überall in unserem winzigen Haus standen Schüsseln, mit abgedecktem Hefeteig. Von den Streuseln naschten wir schon im Rohzustand so viel, bis uns schlecht wurde. Oder bis wir was auf die Finger bekamen, was meist eher geschah. Kindermägen sind ja in der Regel ziemlich robust.

Mit jedem Türchen, das wir am Adventskalender öffnen durften, wurde die Spannung größer. Bis dann endlich der Tag gekommen war, an dem der Baum aufgestellt wurde. Nun ja, für mich war es damals ein Baum.. ich war ja klein. Aus heutiger Sicht betrachtet, war es wohl eher ein Bäumchen. Aber was machte das schon? Wenn er mit bunten Kugeln und Lametta geschmückt war und die Kerzen brannten, war es der schönste Baum der Welt. Echte Kerzen, wohlgemerkt. Elektrische Lichterketten gab es höchstens im Kaufhaus zu bestaunen. Aber elektrische Kerzen kann man nicht ausblasen – und ich liebte es, wenn mein Vater mich auf den Arm nahm, damit auch ich an die Kerzen ganz oben im Baum herankam. Ebenso, wie ich es liebte, wenn wir eine Wunderkerze anzünden durften. Das Knistern und die umhersprühenden Sterne faszinierten mich.

Große, sprich teure, Geschenke gab es bei uns nicht. Auch Wunschzettel haben wir nie geschrieben und trotzdem war immer ein Herzenswunsch erfüllt. Besonders erfreut hat uns Kinder der gut gefüllte Weihnachtsteller. Süßigkeiten satt gab es nun mal nur zwei mal im Jahr: Weihnachten und Ostern. Ich kann mich noch daran erinnern, dass ich der Familie bei manchem Festtagsschmaus den Appetit auf das Dessert dadurch verdorben habe, dass mein Magen der ständigen Überfüllung nicht standhielt. Aber darüber breite ich lieber den Mantel des Vergessens. Manchmal rebelliert eben auch der robusteste Kindermagen.

Ist es Einbildung, dass es mir so vorkommt, als wäre Weihnachten damals noch etwas ganz Besonderes gewesen? Nein, ich glaube nicht. Es war etwas Besonderes. Auch noch, als ich älter wurde und zur Schule ging.

Wenn wir das Krippenspiel am Heiligen Abend in der Kirche aufführten, dann waren die Proben vergessen, zu denen wir nur maulend gingen. Und auch der Ärger darüber, dass es, sozusagen als Generalprobe, immer bei der Adventsfeier der Senioren unserer Gemeinde aufgeführt wurde. Ärger deshalb, weil ich deswegen den 3. Teil des Weihnachtsvierteilers im Fernsehen verpasste. „Die Schatzinsel“ zum Beispiel. Mit jeder Faser meines kindlichen Herzens war ich in Michael Ande verliebt, der den Jim Hawkins spielte. Und zwei Jahre später schwärmte ich für den Darsteller des Huckleberry Finn. Marc di Napoli hieß er, glaube ich. Aber am Heiligen Abend war das alles vergessen Wenn die Kirche festlich geschmückt war und uns das Lampenfieber plagte. Wenn nach dem Gottesdienst zu Hause die Weihnachtskerzen angezündet wurden. Dann spürte man den Zauber, der von diesem Fest ausging.

Ein paar alte Fotos fielen mir vor ein paar Tagen in die Hände: Eines zeigt das erste Weihnachtsfest mit meiner Tochter. Ein halbes Jahr war sie damals alt – verstand noch nichts von Weihnachten und Geschenken. Urahne, Ahne, Mutter und Kind – so könnte man dieses Bild betiteln. Es zeigt meine Oma, meine Mutter, meine Tochter und mich. Das andere ist zwei Jahre später entstanden und auf ihm schaut meine Kleine - mittlerweile zweieinhalb - fasziniert auf eine Wunderkerze, die mein Vater ihr hinhält.

Sie lassen mich lächeln, diese Fotos. Doch gleichzeitig machen sie mich traurig. Lächeln, wegen der schönen Erinnerung. Traurig - weil ich die Einzige bin, die übrig geblieben ist.

Und trotzdem: Auch heute kann ich mich dem Zauber der Weihnachtszeit nicht ganz entziehen. Ich werde, wie in den letzten Jahren schon, den Heiligen Abend und den 1. Weihnachtstag mit einer ganz besonders lieben Freundin verbringen. Und am 2. Weihnachtstag werde ich meine Liebsten besuchen – die Kerzen anzünden und in Gedanken mit ihnen das Lieblingsweihnachtslied meiner Oma und meiner Mutter singen:

Am Weihnachtsbaum, die Lichter brennen
Wie glänzt er festlich, lieb und mild.
Als spräch er: wollt in mir erkennen
Getreuer Hoffnung stilles Bild.

Ja, Mama, ich kann es noch auswendig. Nicht nur diese Strophe.

Ich wünsche allen ein schönes Weihnachtsfest und, trotz aller Hektik, auch mal die Muße, noch etwas von seinem Zauber zu spüren.

Sterne hoch die Kreise schlingen,
Aus des Schnees Einsamkeit
Steigts wie wunderbares Singen –
O du gnadenreiche Zeit

Für meinen Vater (25.09.1929 - 19.12.2006)
und meine Mutter (17.12.1931 - 08.01.2007)

Vor ein paar Tagen habe ich einen Satz gelesen, den ich euch - in etwas veränderter Form - hier widmen möchte:
Mein Weihnachtsgeschenk für euch ist ein sonniger Platz auf der Schatzinsel meiner glücklichen Kindheit! (aus: Denn das Glück ist eine Reise)
Danke für alles!

© Siglinde Goertz

Autor:

Siglinde Goertz aus Uedem

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