Pension Schneeflocke – Inh. Martha Holle

Entsetzt schlug Frau Holle die Hände über dem Kopf zusammen Wie sahen nur die Zimmer aus? Diese Band, die heute abend auf dem Ball ihres Schwiegersohnes musizieren würde, hatte gehaust, wie die Vandalen. Musiker! Was für ein Gesocks!

Wenn es wenigstens vernünftiges Personal gäbe! Aber das letzte Zimmermädchen war wirklich das Letzte gewesen! Sie könnte sich heute noch ein Monogramm in den Allerwertesten beißen, dass sie das Mädel überhaupt genommen hatte! So was von stinkend faul – nicht zu fassen! Alles konnte sie selbst machen: kochen, putzen, Betten beziehen – während das gnädige Fräulein nicht in die Puschen kam. Bis in die Puppen schlafen, und dann im Menschenfernsehen irgendwelche dämlichen Gerichtsshows ansehen! Super!

Na, die Gerichtsshow hatte Martha jetzt live und in Farbe! Dieses dumme kleine Luder hatte sie doch tatsächlich verklagt! Wegen Körperverletzung! Okay, das Pech, das sie ihr über den Balg gekippt hatte, klebte immer noch an ihr. Aber wenn man ehrlich sein wollte: Es verschönerte sie ungemein! Eigentlich konnte sie Frau Holle dankbar sein! Außerdem war sie ja auch selbst schuld. Hätte sie den Arsch hochgekriegt und gearbeitet, wie sich das gehört, dann wäre gar nix passiert. Aber frech, faul, gefräßig – und obendrein noch dumm, da konnte auch der sanftmütigste Mensch zum Amokläufer werden!

Ach, wenn sie da an ihr Goldmariechen dachte! So ein fleißiges Mädchen! Eigentlich war sie ja nicht ihre leibliche Tochter, sondern die Stiefschwester von der faulen Socke. Was hatte sie malocht, vor keiner Arbeit schreckte sie zurück. Martha hatte sie dann so liebgewonnen, dass sie die Kleine adoptierte. Leider wollte Mariechen nicht bleiben. Sie hatte ein Stellenangebot bei einem König, als Gesellschafterin für seine Tochter. So eine verwöhnte kleine Zicke, die den ganzen Tag am Brunnen saß und eine goldene Kugel in die Luft warf. Als ihr eines Tages das Ding ins Wasser plumpste, kam ein Frosch und bot ihr an, die Kugel wieder heraufzuholen. Gott und die Welt hatte sie ihm dafür versprochen – und nix eingehalten. Der Frosch wollte sich das natürlich nicht bieten lassen und bestand auf Erfüllung des mündlichen Vertrages. Da hatte diese Zimtzicke nichts besseres zu tun, als das arme Tier in das Zimmer ihrer Gesellschafterin zu schmuggeln. Mariechen war so erschrocken, dass sie die Amphibie mit aller Kraft an die Wand klatschte. Tja.. und nun war sie schon über 20 Jahre glücklich mit ihm verheiratet.

Seufzend machte sich Martha an die Aufräumarbeiten. Die Jüngste war sie ja auch nicht mehr! Früher hatte sie immer noch dafür gesorgt, dass es im Menschenreich schneite. Aber das war ihr zu anstrengend geworden. Ihre Nachfolgerin war zwar nicht so besonders zuverlässig - entweder schneite es gar nicht, oder die Menschen versanken im Schnee. Aber das konnte ihr ja wurscht sein. Ob die Menschen nun Skilaufen konnten oder nicht... das interessierte sie nicht die Bohne. Sie war zufrieden mit ihrem kleinen Hotel. So war sie in Mariechens Nähe und wenn mal wieder ein Fest im Schloss stattfand, dann schickte Erdal ihr auch immer Übernachtungsgäste. Nun ja – diese Musiker kamen ihr aber nicht mehr über die Schwelle, sollten sie sehen, wo sie bleiben! Erdal musste ihr ein paar von seinen Dienstboten schicken, allein schaffte sie das nicht.

Frau Holle öffnete die letzte Zimmertür. Mal sehen, was sie hier erwartete. Diese schwedische Prinzessin, die dort für die nächsten Tage einquartiert war, war auch mit Vorsicht zu genießen. Die Tussi hatte doch den Knall nicht gehört. Tz tz tz! Zeterte rum, wegen der Matratze. Angeblich hatte sie kein Auge zugetan, weil irgend etwas an ihrem zarten Hinterteil gedrückt hatte. Zartes Hinterteil! Ja klar! Natürlich ist ein Pferdehintern zart – wenn man ihn lange genug als Sauerbraten einlegt.

„Ich bin eine echte Prinzessin!“ keifte sie rum „ Ich spüre eine Erbse, selbst wenn sie unter 20 Matratzen liegt. Und in diesem Bett sind die Sprungfedern kaputt. Das ist die reinste Folter!“ Frau Holle grinste. Das dumme Gesicht der doofen Pute, als sie darüber aufgeklärt wurde, dass in einem Wasserbett nix drücken konnte, würde sie nie vergessen. Da fragte die doch glatt, ob eventuell noch eine Muschel im Wasser wäre. Eine Muschel!!!!! Wo hatte man die denn rausgelassen???? Na ja, es war halt eine Cousine von Schneewittchen. Wahrscheinlich lag das Saufen bei denen in der Familie! Viele graue Zellen konnten da nicht mehr übrig sein.

So, noch schnell Staub saugen und dann war sie fertig! Wurde auch Zeit! Schließlich ging sie heute Abend auch zu dem Ball und bis dahin war noch einiges zu erledigen. In einer Stunde hatte sie einen Termin bei Rapunzel. Da würde sie sich mal so richtig verwöhnen lassen, nicht nur frisieren, sondern auch Maniküre und Make-up. Man gönnt sich ja sonst nix. Zur Feier des Tages hatte sie sich sogar ein Modellkleid von Karlchen Legerfald geleistet. Maßgeschneidert! Weil er normalerweise nichts in ihrer Größe führte. Oh Mann, hatte er sie abschätzend angesehen, als sie zur Anprobe bei ihm war. Am liebsten hätte sie ihm das arrogante Grinsen aus dem Gesicht gehauen! Aber eine Anzeige wegen Körperverletzung reichte ihr. Was der sich einbildete! Dieser Hungerhaken!!

Nun, von ihm würde sie sich die Freude auf den Ball jedenfalls nicht verderben lassen. Erst recht nicht, wo sie gerade frisch verliebt war. Ja ja, auch ein alter Ofen hat noch Hitze! Gut, dass es jetzt ausgerechnet der Stiefvater ihres Schwiegersohnes war, machte die ohnehin schon verzwickten Familienverhältnisse im Märchenland auch nicht unbedingt übersichtlicher. Aber gegen die Liebe ist nun mal kein Kraut gewachsen. So ein stattlicher Mann, der Fischer Joschka! Da musste Frau sich doch verlieben!.

Ihr Mariechen spottete immer: Je oller – je doller! Martha lächelte verträumt. Ach, was wussten denn die jungen Küken von der Leidenschaft des Alters? Es dauerte zwar ein wenig, bis die Lunte brannte.. aber dann.. oh haua haua ha!!!!! In Top-Form war er noch! Mein lieber Scholli! Da flogen die Federn! Gut, dass sie ihren alten Job an den Nagel gehängt hatte, sonst würden die Menschen im Schnee ersticken. Von Januar bis Dezember!

Ups – so spät schon? Sie kam mal wieder vom Hölzken auf's Stöcksken! Jetzt hieß es aber sich sputen. Duschen wollte sie ja auch noch, bevor sie zu Rapunzel ging. Was nützt die schönste Frisur, wenn man stinkt wie ein Iltis? Und sie wollte ja hübsch aussehen und gut riechen, für ihren Joschka. Kam doch seine Ex auch! Ließ sich wohl nicht vermeiden, immerhin war sie ja Erdals Mutter! Was für eine schreckliche Person! Martha schnaubte entrüstet. Eulalia war sonst eine ganz patente Frau – aber wenn sie schon fremdgehen musste, mit diesem starken Hans (den würde wohl keine von der Bettkante schubsen), warum schickt sie dann das Kind ausgerechnet zur Oma?

Hoffentlich kam nicht ausgerechnet heute Abend heraus, was das Kind gesehen hatte.

Sie wollte sich amüsieren – und sonst nix!

© Siglinde Goertz

Autor:

Siglinde Goertz aus Uedem

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