Maikäfer flieg… mein Opa ist im Krieg..
Ob Pommernland wohl Schlesien ist? Und warum habe ich eigentlich keinen Opa?
Ich spiele Ball. Werfe ihn gegen die Hauswand und fange ihn auf. Immer wieder und wieder...
Eigentlich ein doofes Spiel. Aber ich kann dabei so gut nachdenken. Mir ist langweilig. Die anderen sind noch in der Schule, die Eltern arbeiten, die Oma werkelt im Garten und meine Freundin hat auch keine Zeit, weil ihr Opa zu Besuch ist.
Schade, dass ich keinen Opa habe. Andere Kinder haben auch einen Opa – manche sogar zwei. Nur ich hatte noch nie einen. Der Papa von meinem Papa ist gestorben, als ich noch gar nicht auf der Welt war – und der Papa von meiner Mama ist nicht aus dem Krieg zurückgekommen.
Krieg! Das Wort macht mir Angst, obwohl ich gar nicht so recht weiß, was das eigentlich ist: Krieg! Meine Oma sagt immer, dass wohl jede Generation so was erlebt. Aber ich will das nicht erleben, ich will keinen Krieg.
Ich weiß, dass sich Menschen im Krieg gegenseitig totschießen, aber warum sie das tun, das weiß ich nicht. Ich weiß, dass Häuser kaputt gehen, weil Bomben darauf fallen und dass viele Leute nicht in ihrem Zuhause bleiben können und ganz weit fortlaufen müssen. So wie die Oma und die Mama.
Schlesien – so heißt das Land, wo sie herkommen. Manchmal singt die Oma „Hohe Tannen weisen die Sterne….“ und dann sehe ich einen wilden Fluss vor mir, umsäumt von hohen, dunklen Bäumen und ich stelle mir vor, dass ich mit meinem Opa am Ufer sitze und die Füße ins Wasser baumeln lasse. Aber das geht nicht, weil der Opa ja nicht aus dem Krieg zurückgekommen ist. Und nach Schlesien kann man auch nicht mehr fahren, hat die Oma gesagt. Ich verstehe nicht, warum das so ist, aber wahrscheinlich bin ich einfach noch zu klein dafür.
Manchmal frage ich mich, ob die Oma und die Mama nicht großes Heimweh haben. Meine große Schwester war mal in den Ferien bei ihrer Patentante gewesen und nach ein paar Tagen musste sie nach Hause gebracht werden, weil sie solches Heimweh hatte. Wie das wohl ist, wenn man nicht mehr nach Hause zurück kann, auch wenn das Heimweh ganz schlimm ist? Ich kann mir das gar nicht vorstellen! Ich bin froh, dass ich daheim bei Papa und Mama bin.
Vor ein paar Tagen habe ich das alte Fotoalbum angeschaut. Da war ein Bild von Oma und Opa bei ihrer Hochzeit. Komisch haben die Leute damals ausgeschaut, finde ich. Über die Frisur vom Opa musste ich lachen. Und die Oma schaut so ernst, als ob sie sich gar nicht freut, dass sie heiratet.
Aber so war das bestimmt nicht. Denn Omas Stimme hört sich immer ganz anders an, wenn sie vom Opa erzählt. Ganz warm und liebevoll.
Schön finde ich auch das Haus, in dem Oma und Opa gewohnt haben. Davon gibt es ein Bild. Da ist die Mama noch ganz klein und die Oma hat sie auf dem Arm. Und der Opa hält den Ochsen, mit dem er gerade vom Pflügen kommt. Nur schade, dass man die drei kaum erkennen kann. Dafür sieht man aber das Haus ganz deutlich.
Bestimmt hat die Mama oft ganz doll Sehnsucht nach dem Opa, der ja ihr Papa ist. Wenn ich darüber nachdenke, dass mein Papa eines Tages in den Krieg müsste und nicht mehr heimkäme, dann kriege ich einen dicken Kloß im Hals.
Ich glaube, mein Opa war ein guter Mensch. Das merke ich daran, wie die Verwandten über ihn sprechen. Alle erzählen nur Gutes über ihn.
Vor ein paar Tagen habe ich in der Schule eine Geschichte gehört, von einem Jungen, der auf der Straße einem Mann begegnet. Dieser Mann sieht ganz abgerissen und krank aus, eigentlich zum Fürchten. Aber der Junge hat keine Angst, er hat das Gefühl, dass er den Mann kennt. Dann stellt sich heraus, dass es sein Vater ist, der als Spätheimkehrer aus dem Krieg gekommen ist.
Ich wusste nicht, was ein Spätheimkehrer ist. Meine Mama hat es mir dann erklärt und ich hab sie gefragt, ob nicht der Opa auch ein Spätheimkehrer sein könnte. Aber sie sagte, die Geschichte wäre schon älter und der Krieg sei nun schon seit 20 Jahren vorbei. Jetzt kämen keine Spätheimkehrer mehr.
Vielleicht hat er uns ja auch nur nicht gefunden. Es kann ja sein, dass er in Schlesien gesucht hat und dort war doch niemand mehr, der ihm sagen konnte, wohin die Oma gegangen ist. Ich träume manchmal, dass es mir geht, wie dem Jungen aus der Geschichte. Nur, dass es mein Opa ist, der da vor mir steht.
Er hat sich nie erfüllt, dieser Traum aus meinen Kindertagen. Ich habe meinen Opa nie kennen gelernt. Was mir von ihm bleibt, sind ein paar alte Fotos…
….und die Erinnerung an die Wärme in der Stimme meiner Oma und an das Leuchten in ihren Augen, wenn sie von ihm sprach.
In Erinnerung an meine Oma, die heute vor 105 Jahren geboren wurde und meinen Opa, der gestern vor 107 Jahren auf die Welt kam.
Uedem, 02.März 2012
© Siglinde Goertz
Autor:Siglinde Goertz aus Uedem |
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