Dann geh doch! Selbst, wenn ich könnte – ich würde dich nicht aufhalten!

„Ich geh dann mal!“ Du stehst da – die Klinke in der Hand und schaust mich, Zustimmung heischend, an.

Keine Reaktion! „Ich bin jetzt weg! Tschö mit ö!“ Deine Lautstärke hat sich merklich erhöht. Mir ist es wurscht! Von mir aus kannst du so laut brüllen, wie du magst. Ich könnte dich eh nicht aufhalten, selbst, wenn ich es wollte! „Ach! Das heißt wohl, du willst nicht? Ist dir anscheinend sehr recht, dass ich gehe!“ Das ist auch etwas, was mich an dir nervt: Dass du immer weißt, was ich denke. Das brauche ich so nötig, wie ein Loch im Kopf!

Deine Vorgänger waren allerdings genau so – und ich fürchte, dein Nachfolger wird sich auch nicht wesentlich von dir unterscheiden. Bis auf einige kleine Details. Wahrscheinlich. Doch sicher ist das auch nicht.

Wenn ich dich jetzt so anschaue – schon fast auf dem Sprung – da wird mir doch ein wenig komisch zu Mute. „Siehst du! Du würdest mich also doch gern behalten! War ich ja scheinbar gar nicht mal so schlecht!“ Man hört förmlich den Triumph in deiner Stimme und dein selbstgefälliges Grinsen lässt den kleinen Anflug von Wehmut im Nullkommanix vergehen. Er wird abgelöst von dem beinahe unwiderstehlichen Drang, dir dieses Grinsen aus dem Gesicht zu hauen.

Doch ich beherrsche mich – mühsam zwar, aber ich beherrsche mich. Es hätte ja doch keinen Zweck. Wozu soll ich noch einen Aufstand machen? Du bist eh bald weg – und von all meinen Vorwürfen wirst du dir nicht einen einzigen zu Herzen nehmen. Was ich dir wirklich übel nehme – wie auch einigen deiner Vorgänger – ist die Tatsache, dass du nicht alleine gehst. Euch habe ich leicht verschmerzen können, aber die, die ihr mit euch genommen habt, die haben eine schmerzliche Lücke hinterlassen. Und musste das wirklich jedes Mal sein? Wenigstens du hättest mir eine Atempause gönnen können.

„Was soll ich sagen? Dass es mir leid tut?“ Pah! Das kannst du dir schenken! Nimm bloß diesen zerknirschten Ausdruck aus dem Gesicht. Ich glaube ihn dir sowieso nicht! Es wären ja Gelegenheiten da gewesen, in denen du mir etwas Gutes hättest tun können. Etwas, was von Dauer ist und Bestand hat. Aber nein – erst mit der Mohrrübe winken – und dann schnell wieder vor der Nase wegziehen. Das fand ich gemein. Meinst du nicht, dass du mir etwas schuldig gewesen wärst?

Ja ja ja... ist ja schon gut. Du brauchst gar nicht die Augenbrauen so arrogant und überheblich in die Höhe zu ziehen. Ich weiß schon selbst, dass du mir nichts schuldig bist. Ich weiß auch, dass du vielen anderen noch übler mitgespielt hast, als mir. Also spar dir die Arroganz, das ist nichts, worauf du stolz sein könntest! „Nun mach aber mal halblang! Du tust ja gerade so, als wäre ich ein Verbrecher! Ich habe auch vielen Menschen viel Gutes gebracht! Meinst du nicht, dass das für mich spricht?“

Tja, wenn ich das jetzt so genau wüsste! Ich kenne ja das Verhältnis gut zu schlecht nicht. Also kann ich nicht beurteilen, ob sich das wieder ausgleicht. Ich bin mir nicht mal sicher, ob du überhaupt irgend etwas mit Absicht machst. Ich habe sogar das Gefühl, dass du im Grunde gar nichts tust. Du passierst einfach. Wie eine Naturkatastrophe. Mit dem Unterschied, dass man bei dir weiß, wann du erscheinst und wann du wieder gehst.

Apropos „gehst“! Wolltest du nicht schon längst weg sein? „Püh! Du hast es ja wohl sehr eilig, mich loszuwerden! Aber ein wenig musst du dich noch gedulden. Ich hab zwar schon gepackt – aber du weißt ja: auf das richtige Timing kommt es an! Ich werde mir doch den Knalleffekt nicht entgehen lassen! Wenn auch mein Nachfolger schon an der Hintertür steht!“

Okay, Liebelein! Ist ja gut! Die paar Stunden werd ich es schon noch mit dir aushalten. Aber mach die Tür wieder zu, es zieht! Du kannst dich auch wieder setzen. Ist doch gemütlicher. Und keine Sorge: Falls du einschlafen solltest, werde ich dich rechtzeitig wecken. Ich will ja nicht Schuld sein, dass du deinen glorreichen Abgang verschläfst und dein Nachfolger dadurch um seinen großen Auftritt gebracht wird.

„Hm... täusche ich mich, oder klingt das jetzt doch versöhnlich?“ Bild dir mal nur keine Schwachheiten ein, mein Lieber. Ich bin Skorpion – die sind bekanntermaßen nachtragend! Aber in diesem Fall wäre das doch Zeit –und Kraftverschwendung. Deine Zeit ist eh abgelaufen, dein Nachfolger steht schon bereit – und wie ich schon sagte: Ich glaube, du tust gar nix, du passierst einfach nur. Außerdem weiß ich, dass ich dich mit hundertprozentiger Sicherheit niemals mehr wiedersehen werde. Wenn auch nicht aus dem Sinn, so doch aus den Augen! Genau wie deine Vorgänger! Und irgendwann dein Nachfolger – und dessen Nachfolger... (so Gott will).

Also, geh in Frieden. Du hast dein Bestes versucht. Hat nicht immer so geklappt mit uns, wie ich es gern gehabt hätte, aber im Großen und Ganzen war ich gar nicht mal so unzufrieden mit dir! Nun ja.. das relativiert sich, wenn man bedenkt, dass ich ja von Anfang kann keine großen Forderungen an dich gestellt habe. Dann noch unzufrieden zu sein, das wäre beinahe ein Kunststück!

„Danke! Sehr freundlich! Musst du immer noch einen draufsetzen? Lass doch mal gut sein, ich bin ja schon fast weg!“

Hast ja Recht! Also lassen wir es dabei: Sooo schlecht warst du gar nicht... warten wir erst mal ab, was so nachkommt! Ich erwarte gar nix – und hoffe das Beste.

In diesem Sinne: Nix für ungut – und tschüss...

....2011

Ich wünsche Allen einen guten Übergang ins neue Jahr und ein gesundes, glückliches und erfolgreiches 2012
© Siglinde Goertz

Autor:

Siglinde Goertz aus Uedem

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