Arbeitsagentur Mülheim zieht für das letzte Jahr Bilanz
Lehre muss attraktiver werden
Insgesamt hat sich das Verhältnis von Bewerbern und Ausbildungsstellen im Ausbildungsjahr 2019 gegenüber den Vorjahren verbessert: Auf 1.251 gemeldete Ausbildungsstellen kamen 1.251 Ausbildungssuchende. Das klingt erst einmal ausgeglichen. Doch hinter den reinen Zahlen verbergen sich weitere Fakten.
Vertreter von Jobcenter, Sozialagentur, IHK, DGB, Unternehmerverband und der Agentur für Arbeit trafen sich zum Austausch in den Räumlichkeiten der Geniefabrik am Zehntweg in Dümpten. Jürgen Koch (Agentur für Arbeit Oberhausen): „Es gibt immer weniger Betriebe in Mülheim, die bereit sind auszubilden.“ Von 3.995 Mülheimer Betrieben bilden 2019 nur 747 aus. Das sind 50 Betriebe weniger als im Vorjahr. Gleichzeitig gibt es etwa 100 Bewerber weniger als im Vorjahr. Damit ist die Ausbildungsbeteiligung der Betriebe deutlich niedriger als in Gesamt-NRW, so Koch.
Auffällig ist auch, dass sich immer weniger junge Männer für eine duale Ausbildung interessieren. Die Nachfrage bei den männlichen Ausbildungssuchenden sank um rund 12 Prozent gegenüber dem Vorjahr, obwohl es deutlich mehr Angebote, aber weniger Vertragsabschlüsse gab. Jürgen Koch: „Jetzt müssen Schulen und Betriebe enger zusammenarbeiten.“ Elisabeth Schulte (Unternehmerverband): „Die Jugend ist heute so gut dran wie lange nicht mehr.“ Chancen sollten vor allem im Bereich Digitalisierung genutzt werden, das gilt sowohl für praxis- als auch für theorieorientierte Ausbildungsberufe. Schulte: „Jugendliche sollten sich aber vor allem Unterstützung bei der Wahl und auch im Verlauf der Ausbildung suchen.“ Der Informationsfluss ist groß und teils unübersichtlich.
Hilfen während der Ausbildung
Das Unternehmen Geniefabrik GmbH mit rund 200 Mitarbeitern in der gesamten BRD ist seit September jetzt auch in Mülheim ansässig. Geniefabrik bietet 100 Angebote für 100 Auszubildende an, die Unterstützung suchen. Das Angebot wird durch die Agenturen für Arbeit und das Jobcenter finanziert. Voraussetzung ist lediglich die regelmäßige Teilnahme der Fördermaßnahme nach SBG. Wer Schwierigkeiten im Betrieb, in der Berufsschule oder zuhause hat, kann sich an die Geniefabrik wenden und bekommt ausbildungsbegleitende Hilfen angeboten. „In der Praxis wird auf Prüfungssituationen hingearbeitet, für Abschlüsse gelernt und die Integration auf dem Arbeitsmarkt erleichtert,“ so Oliver Kretschmann (Geniefabrik Gebietsleitung NRW).
Anke Schürmann-Rupp (Sozialagentur, U25-Haus): „Auch wir werben dafür, dass wieder mehr Betriebe ausbilden.“ Ihr ist vor allem wichtig, Jugendlichen vorab die Möglichkeit zu bieten, im Rahmen von Praktika in verschiedenen Berufssparten hinein zu schnuppern. Franz Roggemann (IHK) blickt mit großer Sorge auf den Ausbildungsmarkt in Mülheim: „Der aus Bewerbersicht gute Ausbildungsmarkt sorgt dafür, dass Betriebe immer größere Schwierigkeiten haben, Plätze zu besetzen.“ Bei der IHK wurden mit 606 abgeschlossenen Ausbildungsverträgen 8,2 Prozent weniger Verträge registriert als im Vorjahr. Vor allem der gewerblich-technische Bereich macht ihm Sorgen.
Lehre muss attraktiver werden
Es geht aber auch um ein Attraktivitätsproblem, da ist sich die Expertenrunde einig. Eine Lehre oder eine duale Ausbildung muss in den Köpfen von Jugendlichen und deren Elternhäuser wieder attraktiver werden. Es könne nicht sein, dass nur 10 Prozent der Schulabgänger von Haupt- und Realschule sich für eine Ausbildung entscheiden.
Barbara Yeboah (Kreishandwerkerschaft) zeigt sich zufrieden. Zum Stichtag 30. Oktober 2019 sind 224 neue Ausbildungsverträge geschlossen worden. Die Ausbildungsbereitschaft im Handwerk ist damit konstant geblieben. Betriebe müssen wissen, dass sie selbst ausbilden müssen. Gesellen sind auf dem Arbeitsmarkt kaum zu finden. „Insgesamt ist es nicht in Ordnung, wenn immer mehr Klein- und mittelständische Unternehmen sich ihrer Verantwortung entziehen und keine Ausbildungsplätze anbieten,“ so Dieter Hillebrand (DGB) im Hinblick auf die bereits heute fehlenden Fachkräfte.
Empfehlung an Jugendliche ist es, eine der zahlreichen Ausbildungsmessen zu besuchen. Vor allem das „speed dating“ findet großen Zulauf. Es stehen gleich mehrere Termine an: Am 4. Dezember mit der Kreishandwerkerschaft, am 20. Februar mit der IHK in der Philharmonie Essen und Ende Februar in der Mülheimer Stadthalle. Eine gute Vorbereitung auf diese Termine führt erfahrungsgemäß zum Erfolg, so die Expertenrunde zum Thema Ausbildung.
Autor:Claudia Leyendecker aus Mülheim an der Ruhr |
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