Willkommen in Mülheim (WiM): Im Einsatz für die Flüchtlinge
„Ich habe schon viele ungewöhnliche Projekte gemacht“, wirft Reinhard Jehles einen Blick zurück. „Aber dieses hier ist wohl das ungewöhnlichste von allen.“ Und meint damit das „Warenhaus für Flüchtlinge“ im Haus Klever an der Boverstraße 28.
Eigentlich fing alles ganz „harmlos“ an. Als eine bald siebenköpfige Flüchtlingsfamilie innerhalb Mülheims umzog, freuten die sich zwar über ihre neue Wohnung. Eine Ausstattung hatten Eltern und Kinder jedoch nicht. Also stellte der engagierte Jehles seine Skepsis gegenüber sozialen Netzwerken hinten an und startet in der Facebook-Gruppe „Du weißt, dass du aus Mülheim kommst, wenn ...“ einen Spendenaufruf. Mit durchschlagendem Erfolg.
Nach wenigen Stunden konnte der selbstständige Unternehmer knapp 200 Kommentare zählen. „Da wurde mir klar, dass ich mich ein wenig übernommen hatte“, gesteht der Gründer der Initiative „Willkommen in Mülheim (WiM)“. In seiner Not wandte er sich an Lothar Fink, Geschäftsführer der AWO Mülheim, der spontan seine Hilfe anbot. Parallel stellte Jehles bei Facebook eine eigene, geschlossene Gruppe auf die Beine. Die zählt derzeit 278 Mitglieder (Stand: Freitag, 15. August). Sogar bis Wuppertal reicht die Spendenbereitschaft: Mit Blick auf die Einschulung gab‘s von Andrea Stauder gefüllte Schultüten. „Es war nicht vorstellbar, wie sich das mittlerweile entwickelt hat“, ist der Initiator noch immer überrascht von soviel Hilfsbereitschaft. Zumal: Es konnten so viele Spenden gesammelt werden, dass sie reichen, um auch die Familien, die noch nach Mülheim kommen, zu versorgen.
Mitglieder der WiM beeindruckt von Hilfe
Beeindruckt von dem Engagement war auch Ileane Bichler. Gern stellt die Eigentümerin von Haus Klever das leerstehende Restaurant zur Verfügung, übernimmt zudem die Kosten für Strom und Wasser. Sie selbst engagierte sich jahrelang bei der Tschernobylhilfe und führte lange Zeit den Kleiderladen. Die Trennwände für das Warenhaus stiftete Hartmut Buhren, Inhaber des Baustoffzentrums Harbecke. Spendabel im Bereich Hygieneartikel zeigt sich die Unternehmensgruppe Tengelmann.
Bis maximal Oktober können sich die Flüchtlinge im Warenhaus ausstatten. „Was dann passiert, ist noch unklar“, gesteht Jehles. Vielleicht würden die Sachen an die PIA oder an die Diakonie übergeben. Wegschmeißen, einlagern: ausgeschlossen.
Geöffnet ist das Haus Klever immer dienstags, donnerstags und samstags jeweils von 14 bis 17 Uhr sowie nach telefonischer Absprache unter Tel. 0177-4609600. Flüchtlinge, die sich hier einfinden, bekommen Wertmarken als Begrüßungsgeld ausgedruckt und dürfen diese im Warenhaus „ausgeben“. Somit wird gewährleistet, dass keiner über den eigenen Bedarf hinaus nimmt. Gesprochen werden mindestens fünf Sprachen (deutsch, englisch, französisch, arabisch und kurdisch). Hierbei unterstützen das Team um Reinhard Jehles vor allem die Geschwister Mustafa und Dilber Ali. Der Schneider und die Lehrerin flohen selbst vor zwei Jahren aus Syrien nach Deutschland und sind für die Flüchtlinge eine wichtige Stütze. Weitere Dolmetscher stehen auf Anfrage zur Verfügung.
Hintergund
- Spenden werden zu den Öffnungszeiten gern entgegen genommen. Vor allem wetterfeste Halbschuhe, Schuhe/Stiefel für Kinder und Regenkleidung werden dringend benötigt.
- Solche Spenden, die nicht ins Konzept passen, werden an andere Initiativen - im Fall von Büchern zum Beispiel an den Freundeskreis Las Torres - gegeben.
- Für eine russische Flüchtlingsfamilie aus dem Kaukasus mit fünf Kindern sucht das WiM-Team außerdem einen großen Kleiderschrank, Kinderbetten, Schreibtische und ein Schlafsofa. Der Vater sucht gleichzeitig eine Stelle als Maler und Lackierer.
- Um auch eine medizinische Versorgung zu garantieren - Ein Junge zum Beispiel leidet an einem Herzfehler - steht Reinhard Jehles darüber hinaus mit dem Friedensdorf Oberhausen in Kontakt. Eine psychologische Betreuung ist zumindest in Mülheim nicht möglich.
Kommentar:
Dass die Initiative „Willkommen in Mülheim (WiM)“ nicht nur den Flüchtlingen in Mülheim zugute kommt, merkte ich bei meinem Besuch im Warenhaus. Während des Gesprächs mit dem Initiator Reinhard Jehles wunderte der sich, dass sich Eltern vorrangig bei den Haushaltswaren umschauten statt nach Spielsachen für ihren Nachwuchs zu suchen. Das sei gar nicht böse gemeint, klärte Ratsherr Enver Sen (SPD) schnell auf. Häufig gäbe es in dem jeweiligen Heimatland gar nicht so viel Spielzeug. „Die kennen das gar nicht.“ Meist bastelten sich die Kleinen selber etwas. Von Barbie, Bagger und Co. können Jungen und Mädchen nur träumen. Diese Situation zeigt: Eindrücke, die wir von anderen sammeln, und Meinungen, die wir über andere bilden, fußen häufig auf Vorurteilen, nicht jedoch auf Wissen. Umso wichtiger ist es, die Chance zu nutzen, unsere Mitmenschen besser kennenzulernen, ihre Kultur zu verstehen und gegenseitig voneinander zu lernen.
Autor:Lisa Peltzer aus Oberhausen |
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