Was Margarineschachteln mit Freundschaft zu tun haben. (3)
Am nächsten Morgen war sie früh fertig. Stolz betrachtete sie alle 3 Kuchen. Sicherheitshalber hatte sie Apfel-, Kirsch- und Schokoladenkuchen gebacken. Man wusste ja nie, was ein Kind so mag. Und vielleicht kam ja auch die Schwester mit?
Sie setzte sich vor ihren Kaffee und versuchte ihre Zeitung zu lesen. Aber nach der Überschrift flogen ihre Gedanken immer zu dem Jungen. Wer mochte er sein? Woher kam er? So viele Fragen.
Immer wieder stand sie auf, und schaute in den Garten. Die Zeit schien zu kriechen. Sie lächelte in sich hinein. „Man könnte denken, das du verliebt bist“: dachte sie.
Sie rückte Dinge zurecht, und wischte imäginären Staub weg. Ein Blick auf die Uhr zeigte 11 Uhr an. „Gestern war er schon hier“: dachte sie.
Grade wollte sie die Spülmaschine ausräumen, als sie eine Stimme hörte, die ihren Namen rief. Eine Mädchenstimme? Sie ging zur Tür und erkannte das Mädchen, das gestern Adnan geholt hatte. Sie öffnete die Türe und das Mädchen griff sofort nach ihren Händen. Aufgeregt aber leise, erzählte sie was los war.
Adnan war krank. In der Nacht fieberte er und hatte Bauchweh. Er wollte, das er sie holte. Und nun war sie da. Helga Nahm ihren Stock und ihre Handtasche und folgte ihr. Stumm eilte das Mädchen voran. Helga mahnte sie, langsamer zu gehen, und das Mädchen sah sie an, und nahm dann einfach ihre Hand. Sie gingen in Richtung alte Grundschule.
Da wusste sie, wo Adnan lebte. Hier waren seit einer Woche Flüchtlinge untergebracht.
Sie erinnerte sich, das sie davon gelesen hatte.
Das Mädchen lief direkt auf den Eingang zu. Dann ging es durch Gänge bis zu einer Tür, und dahinter war Adnan. Adnan und noch 3 Jungen, ein Mädchen und eine junge Frau. Die Frau kam zu ihr, und grüsste sie auf französisch. Sie sei Nadira und das Mädchen heisse Latifa. Adnan habe sie geschickt, damit er „Helga“ hole. Helga könnte ihm sicher helfen. Sie ging zu dem Jungen, und strich über seine nasse Stirn. „Das kriegen wir schon hin!“, lächelte sie.
Mit leiser Stimme fragte sie was er gegessen habe und wo es weh tut. Nach ihrer Befragung war ihr klar, was er hatte. Er hatte eine einfache Erkältung.
Sie sagte zu der jungen Frau, das er Hühnersuppe brauche. Das Wort fiel ihr nicht ein, und so gackerte sie, um das Tier zu beschreiben. Dabei lachte sie, und alle lachten mit ihr.
Ob Nadira die Mutter sei fragte sie. Nadira antwortete, sie sei die älteste Schwester. Die Eltern seien tot. Sie und das Baby hätten die Flucht über die See nicht überlebt.
Helgas Magen krampfte sich zusammen. Dann waren das alles Geschwister! Sie überlegte, wie alt Nadira wohl sei. Es war kaum zu schätzen. Sie sah älter aus, als sie war. Viel Älter. Und so verhungert und verhärmt. Sie zeigte einmal in die Runde, und fragte nach den anderen. Die 2 Jungen am Fenster hätten sie unterwegs gefunden, meinte das Mädchen. Nun gehörten sie zu ihnen. Es sei schwer, weil sie kein französisch sprechen und einen anderen Dialekt aber sie würden lernen.
Helga war zutiefst beeindruckt von dem Mädchen. Und sie war beschämt. Während sie zu Hause am Küchentisch Zeitung las, hatten diese Kinder furchtbare Verluste erlitten, und sorgten auch noch für andere.
Sie schüttelte sich kurz, und fragte nach der Küche. Nadira zeigte sie ihr. Es gab Tische, viele Stühle, ein paar Regale mit Geschirr und Töpfen, 4 Kühlschränke und 4 Herde.
Nadira erzählte ihr, das 12 Familien hier lebten. Ihr Fach im Kühlschrank war fast leer, und so beschloss Helga einkaufen zu gehen Latifa und das andere Mädchen, das vielleicht 12 Jahre war und Malak hiess, sollten mitkommen.
Auf dem Weg unterhielten sie sich, und so erfuhr sie mehr über die Kinder. Nadira sei die älteste. Sie sei 17, Latifa 14, Malak 11, Saad 9, Adnan 6, und die beiden Brüder, die sie gefunden hatten Imad und Imano seien 8 Jahre alt.
Seit 2 Wochen seien sie hier, und sie habe Angst, das man sie trennen würde. Imad und Imano seien ihre Halbbrüder, hatte sie denen hier gesagt. Die beiden wollten bei ihnen bleiben. Sie hätten ihre Familie verloren. Vielleicht wären sie ja hier irgendwo. Hierhin hatten sie gewollt.
Sie selber und ihre Geschwister kamen aus der Umgebung von Tell Tamer. Aber daran erinnere sie sich kaum noch. Dann verstummte sie, und Helga erzählte von der Hühnersuppe und das sie kranke Kinder gesund machen würde. Nadira nickte und meinte. das habe ihre Grossmutter auch immer gesagt. Sie lächelten sich an.
Im Laden kauften sie alles ein und Helga nannte immer auch den deutschen Namen. Eifrig machten die Mädchen mit. In der Apotheke kaufte sie Hustensaft und Einreibungen, Schnupfenspray und Lutschbonbons für den Hals, und alles in grossen Mengen.
Beladen und erzählend gingen sie heim. Sie erfuhr das Nadira nachts kaum zur Ruhe kam, weil immer irgendeines der Kinder weinte oder schrie im Traum. Sie waren oft krank und wollten nie raus gehen. Nur Adnan ging raus. Er war der kleinste, und schon immer ein fröhlicher Junge gewesen. Am Tage war er immer noch so, aber in der Nacht kroch er oft zu ihr ins Bett. Manchmal fand sie ihn auch in einem Karton. Dahin ging er, wenn die Angst kam, und die Nacht, und er niemandem mehr vertraute. Dann fand sie ihn zitternd und zähneklappernd und mit weit aufgerissenen Augen in dem Karton, und es dauerte lange, bis er sie erkannte.
Als man den Karton wegwerfen wollte, hatte er wie ein Löwe gekämpft, das er da blieb.
Schliesslich gaben die Betreuer nach, und der Karton blieb in seiner Ecke.
In der Unterkunft angekommen, fingen sie alle gemeinsam an zu kochen. Adnan sass da, trank Kakao und nahm Hustensaft, und war ganz still. Seine Augen begleiteten Helga bei jeder Bewegung.
Nachmittags ging sie alle 3 Kuchen holen, und den verputzten sie bis auf den letzten Krümel.
Als sie ging, kam sie an dem Raum vorbei, in dem 2 Betreuer sassen und Papiere durchsahen.
Sie zögerte, aber dann klopfte sie an, und betrat den Raum.
Als sie ging, spielte ein zufriedenes Lächeln um ihre Lippen. Oh. wie sie sich auf morgen freute.
Fortsetzung folgt
Autor:Claudia Jacobs aus Mülheim an der Ruhr |
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