Was Margarineschachteln mit Freundschaft zu tun haben. (1)
Es war einmal....
So könnte die Geschichte anfangen.
Aber sie fing mit einem kleinen Jungen an, der zum erstenmal in seinem Leben Kirschen sah.
Sie leuchteten rot und verführerisch aus dem grünen Laub eines Baumes. Langsam ging der Junge hin. Er sah sich um, ob ihn jemand beobachtete, und dann stand er da. Seine kleine, braune Hand befühlte eine dunkelrote, saftige Kirsche. Zaghaft riss er sie ab, roch an ihr, und probierte dann mit einem winzigen Biss. Er kaute langsam und mit immer mehr Genuss. „Hm“: kam aus seinem Mund, und er pflückte und riss schnell noch mehr Kirschen ab. Zwischendurch schob er sich immer noch eine in seinen Mund.
Er schien alles um sich herum zu vergessen, und suchte nach den ganz dunklen Früchten, als auf einmal eine schrille Stimme etwas schrie. Vor lauter Schreck fielen ihm die Kirschen aus seinem Hemd heraus, mit dem er eine Schale vor seinem dünnen Bauch gebildet hatte. Er drehte sich um und sah eine alte Frau auf den Stufen am Hinterausgang des Hauses stehen. Sie schwang einen Stock und schimpfte weiter.
Er hatte Angst, das war unverkennbar. Seine grossen, dunklen Augen waren noch grösser geworden, und er machte kleine Schritte rückwärts, immer noch den Saum seines Hemdes in den Händen.
Plötzlich wurde die Stimme der Frau ganz weich. „Du musst keine Angst haben Junge! Ich will nur meine Kirschen selber essen, und nicht die Nachbarschaft durchfüttern!“
Er schien nichts zu verstehen, aber auf den anderen Klang der Stimme zu reagieren, und kam etwas näher. Sie winkte mit dem Zeigefinger, das er zu ihr kommen solle.
„Er sieht aber auch niedlich aus“: dachte sie. Sein lockiger Wuschelkopf und diese schönen Augen mit Wimpern, die jede Frau erblassen liessen, der Mund mit Kirschsaft verschmiert, und sein kleiner, magerer Körper, der in einem gelben Hemd und hellblauen Shorts steckte, die ihm ein, zwei Nummern zu gross waren.
Als er an der untersten Stufe stand, reichte sie ihm ihre Hand. Er legte seine kleine Hand zaghaft in ihre und stieg hinauf zu ihr. Immer noch waren seine Augen schreckgeweitet, aber auch neugierig.
Sie drehte sich um und ging durch die Tür in ihre Küche. Mit einer halben Drehung nach hinten forderte sie ihn auf: “Komm nur. Ich habe eine Schale für dich, für deine Kirschen!“
Er verstand sie nicht, und so holte sie eine gespülte Margarinenschale aus dem Schrank, hielt sie ihm hin, deutete auf den Baum und machte die Bewegung des Pflückens und Füllens der Schale. Er sah sie fragend an, und zeigte mit dem Zeigefinger auf seine Brust, und dann auf den Baum, und zuletzt auf die Schale. Die Frau nickte freundlich.
Er ging zur Treppe und stieg sie vorsichtig hinunter, immer mal wieder einen Blick nach hinten werfend um sich zu vergewissern, das auch alles richtig war.
Er sammelte die Kirschen auf, die er hatte fallen lassen und die Frau überlegte, wie alt er wohl war. Sie kam zu dem Schluss, das er höchstens 5 Jahre alt war, und das so ein Kind auch mehr als eine Schale Kirschen verputzen könne. Sie nahm noch eine Margarineschale aus dem Schrank. Da standen noch dutzende. Auch Eisschalen und durchsichtige Obstschalen und unendlich viele Deckel. Sie konnte nichts wegwerfen. Das hatte sie von der Mutter gelernt, die noch den Krieg mit all dem Mangel in allen Knochen hatte, als die Frau selbst so alt war, wie der Junge draussen. Man wusste ja nie, was kommen würde, und sicher ist sicher.
Als der Junge fertig war, hielt sie ihm die andere Schale hin, und er lachte das erstemal.
Die Freundschaft war besiegelt!
Der Junge rannte zu ihr, und nahm die neue Schale, rannte zum Baum und füllte sie. Als sie voll war, brachte er sie zu ihr, machte die Bewegung des Essens und zeigte auf sie. Sie lächelte, nahm die Schale, und gab ihm noch eine. Die solle er für sich füllen, bedeutete sie ihm. Er nickte und lachte übers ganze Gesicht.
Als seine Schale gefüllt war, nahm er die zweite in die andere Hand, kam zu ihr und sagte etwas, das sie zwar nicht verstand, aber von dem sie wusste, was es bedeutetet.
Er bedankte sich bei ihr.
Das er wieder kommen wollte, verstand sie nicht. Und als sie ihn dann weglaufen sah, war ein kleiner Tropfen Wehmut in ihrem Herzen. So sind früher ihre Söhne gesprungen, wenn sie zum spielen in den Garten gingen.
Ihre Erinnerung liess sie wieder Fussball spielen und verstecken spielen, in einer alten, gusseisernen Wanne plantschen, und in der Schaukel an der Teppichstange sitzen und Jubelschreie ausstossen.
Sie sah dem Kinderwagen mit der Tochter dabei stehen, mit einem Sanitastuch als Insektenschutz vor dem Dachaufsatz, und sie hörte die Stimmen wieder, und das fröhliche Lachen.
Schwer stützte sie sich auf ihren Stock.
In alle Welt waren ihre Kinder nun verstreut. Jeder wollte, das sie in seine Nähe zog, aber sie konnte sich doch nicht teilen, und ausserdem war ihr zuhause hier, bei ihrem alten, leeren Haus, und dem schönen Garten, mit den vielen Obstbäumen und Sträuchern. Jedes Jahr kochte sie ein, und ihr Keller war voll mit eingemachten Birnen, Apfelmus, Stachelbeergelee und selbstgemachtem Kirschlikör. Es war nur niemand da, der das haben wollte. aber sie kochte weiter ein. Jedes Jahr. Und ihre Tiefkühltruhe war mit Erbsen, Bohnen und Kohlgemüse prall gefüllt.
Vielleicht, dachte sie, kommt der Junge ja wieder. Dann würde sie ihm ihre Schätze zeigen und ihren alten Korb füllen. Den sollte er dann mitnehmen.
Ja, vielleicht kam er ja wieder.
Morgen oder nächste Woche....
Fortsetzung folgt
Autor:Claudia Jacobs aus Mülheim an der Ruhr |
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