Team Felgenhelden: Mit Blaulicht dem Ziel entgegen
Wie schnell wir in Aserbaidschan fahren dürften? „Wie schnell wollen Sie fahren?“, ist die Antwort des in Anzug gekleideten Staatsbediensteten, der uns in Empfang nimmt. Aserbaidschanische Grenze. Unser letzter Grenzübertritt mit Auto. Es dämmert bereits. Unsere Rallyeautos werden von militärisch gekleideten Zoll-Beamten an den Wartenden vorbei gewinkt. Außer uns ist noch ein anderes Team an der Grenze eingetroffen. Nach der Visumkontrolle wollen wir weiter, doch ein Polizeiauto stoppt uns.
„Zu Ihrer Sicherheit wird Sie die Polizei bis nach Baku begleiten“, erklärt der Staatsbeamte, weil es schon dunkel sei. Wir wollen heute aber gar nicht bis Baku, das sind immerhin noch 500 Kilometer. Tanken müssen wir auch noch – und etwas essen. „Kein Problem“, wir sollen den Polizisten einfach sagen, was wir machen möchten, sie würden uns begleiten. Wir wissen nicht recht, ob wir uns über die zuvorkommende Behandlung freuen oder ärgern sollen – etwas kontrolliert fühlen wir uns schon.
Staatliche Kontrolle oder besondere Fürsorglichkeit?
Mit 120 km/h geht es über die perfekt asphaltierte Bundesstraße, 90 km/h sind offiziell erlaubt. Aber für uns gelten andere Regeln. Die Polizei gibt das Tempo vor und fährt mit Blaulicht in ihren nagelneuen 3er BMWs vor und hinter unseren staubigen Rallyeautos. Ein Blitzer? Mit Vollgas durch! Der ganze Korso wird Fahrzeug für Fahrzeug von dem Starenkasten verewigt. Das Foto hätten wir gerne fürs Album und unsere Sponsoren. Ob wir es jemals erhalten?
Die unzähligen alten Ladas und Wolgas werden von unserer Eskorte regelrecht auf den Randstreifen abgedrängt. Wer nicht rechtzeitig ausweicht, muss sich von den Beamten über Lautsprecher zurecht weisen lassen. Uns ist unwohl dabei. Auf der anderen Seite sorgen die Polizisten aber dafür, dass wir trotz einsetzender Dunkelheit, leichtem Regen und sehr schlechten Sichtverhältnissen rechtzeitig den Kuh- und Schafherden ausweichen können, die am Rande der Straße grasen oder sogar auf dieser in Richtung Stall getrieben werden. Staatlicher Kontrollwahn oder besondere Fürsorglichkeit für die ausländischen Gäste? Wir wissen es nicht so recht.
Am nächsten Morgen ist der Spuk jedenfalls vorbei. Die Polizisten haben die ganze Nacht das Camp „bewacht“, aber nun könnten wir alleine weiter, erklärt uns ein weiterer Mann im Anzug. Vielleicht liegt es einfach daran, dass die anderen 300 Rallyeautos inzwischen die Grenze erreicht haben dürften und die geballte staatliche Aufmerksamkeit erfordern…
Apokalyptische Landschaft am brennenden Berg
Weiter geht’s nach Baku. Der zweite Reifenplatzer am Nissan ist binnen 15 Minuten behoben. Defektes Rad runter, neues Rad drauf, inzwischen haben wir Routine. Bis auf die den zahlreichen Schlaglochpisten geschuldeten Platten hat der von Auto Thon bereit gestellte und durchgecheckte Nissan Primera keine einzige Panne gehabt und von der Rennstrecke bis zur Offroad-Piste alle Prüfungen tadellos überstanden – über die zahlreichen Ersatzteile der Dekra kann sich der neue Besitzer freuen. Aber auch der zweite Volvo hält die Strapazen tapfer durch und wird von den Berliner Team-Kollegen inzwischen liebevoll „Otto, der Karma-Volvo“ genannt.
Nur noch 140 Kilometer bis Baku. Das Ziel ist der brennende Berg Yanadag, 20 Kilometer nördlich des Stadtzentrums. Hier brennt seit mehreren Jahrhunderten Erdgas, das aus der Erde ausströmt. Die letzte Sonderprüfung lautet „Zündet eine Zigarre am Yanadag an“. Die Landschaft auf dem Weg dorthin gleicht einer postapokalyptischen Szenerie – Ölbohrtürme und -pumpen stehen in von Öllachen und Pestiziden verseuchten, blubbernden Tümpeln, umzäunt mit Stacheldraht, die Luft riecht schwefelig. Die Abendsonne schafft es nicht durch den Dunst und lässt den staubigen Himmel grau-braun erscheinen. Mitten in dieser Szenerie der Yanadag. Als wir auf den Parkplatz des „Natural Reserve“ einbiegen, dämmert es bereits. Das schwindende Licht hüllt die Landschaft in wohlwollende Schatten ein. Nur hinter einer Kuppe glimmert es.
Wir laufen die Treppen hinunter und biegen um eine Ecke, von wo das Licht zu kommen scheint. Plötzlich stehen wir vor einer Flammenwand. Der Fuß der Kuppe brennt! Ausströmendes Erdgas hat sich hier vor Jahrhunderten entzündet. Im warmen Schein der tänzelnden Flammen werfen unsere Körper lange Schatten. Vorsichtig zünden wir die Zigarren an der Glut an. Barbara hat eine Flasche Champagner organisiert. Als der Korken fliegt, liegen wir uns in den Armen. Die Anspannung der vergangenen zwei Wochen löst sich schlagartig. Wir sind da, wir haben es geschafft!
So geht es weiter
In zwei Tagen geht es weiter nach Jordanien, wo die Siegerehrung traditionell im Wüstencamp Wadi Rum stattfindet. Leider konnte die Allgäu-Orient-Rallye aufgrund des Syrien-Konflikts nicht mehr direkt in die jordanische Hauptstadt Amman führen. Deshalb wird die Reise mit dem Flugzeug fortgesetzt, die Autos bleiben in Baku und werden dort zu Gunsten karitativer Einrichtungen verwertet oder verkauft. Wir haben Zeit die schönen Seiten der aserbaidschanischen Hauptstadt zu besichtigen, die mit dem Kontrast ihrer heraus geputzten Altstadt, umrahmt von der historischen Stadtmauer und zahlreichen Parks, und hochmodernen, aufwändig illuminierten Gebäuden die Besucher des Eurovision Song Contest 2012 begeistern will, die eine Woche nach uns hier eintreffen werden.
Rückblick Türkei und Georgien: Die Highlights unserer Tour
LeMans-Start vom Platz der Blauen Moschee in Istanbul, Zeitnahme auf der Rennstrecke in Körfes, Offroad-Rallye durch Anatolien, „Alpen“-Passage im Schnee und Schiffstaufe am Berg Ararat: Lesen Sie bald mehr über die Highlights unserer Tour, die uns über das Weltkulturerbe Bogazkale, die Schwarzmeer-Städte Samsun und Trabzon, Anatolien und den Berg Ararat bis über die schneebedeckten Pässe nach Tiflis in Georgien geführt hat.
Den zweiten Beitrag zur Rallye lesen Sie hier
Den ersten Beitrag zur Rallye und den Vorbereitungen zum Start lesen Sie hier
Mehr zum Team Felgenhelgen und dem Auto, in dem es startet, lesen Sie hier
Autor:Reinold Növermann aus Mülheim an der Ruhr |
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