"Mit Frischluft spielt man nicht!"
Zahlreiche Anwohner sind am Donnerstag der Einladung der Verwaltung gefolgt, um sich bei der Informationsveranstaltung zum Thema Bebauungsplan „Tilsiter Straße/ Haustadtfeld – G 14“ ein Bild über den aktuellen Stand zu machen.
Das Thema, das Verwaltung und Anwohner bereits seit fünf Jahren beschäftigt, sorgte für ein voll besetztes Gemeindehaus Heilig Geist. Freie Plätze waren bereits Minuten vor Beginn der Veranstaltung belegt, zahlreiche Bürger verfolgten stehend die Vorträge von Verwaltung und der Bürgerinitiative „Frische Luft für Mülheim“.Zum einen informierte die Verwaltung über die Planungsentwicklung des Bebauungsplans und betonte andererseits die Möglichkeit zur Modifizierung der Planung, insofern gänzlich neue Aspekte hervorgebracht würden.
Nach intensiver Bestandsanalyse, der Durchführung verschiedener Konzeptionen und der Erstellung mehrerer Gutachten (darunter unter anderem drei Gutachten zum Aspekt Klima, sechs Gutachten zum Aspekt Hydrogeologie und Entwässerung sowie zum Schallschutz) sollen im Plangebiet drei Teilflächen zu Wohnbauland entwickelt werden. Zwei davon sollen an der Tilsiter Straße und eine weitere am Oppspring im Anschluss an Hausnummer 71 entstehen.
Bei der Bürgerinformationsveranstaltung zum Bebauungsplan Tilsiter Straße am Donnerstag äußerte auch die Bürgerinitiative „Frische Luft für Mülheim“, vertreten durch Britta Stalleicken, Bedenken zum Bebauungsplan Tilsiter Straße
Stalleicken mahnte: „Lokale Eingriffe müssen mit Bedacht geschehen!“
Beim Plangebiet handle es sich keinesfalls um ein geeignetes Wohnbauland, da „es ein gut funktionierendes Kaltluftentstehungsgebiet ist, das die Stadt mit Frischluft versorgt“. Stalleicken stützte sich dabei unter anderem auf eine von der Stadt eigens in Auftrag gegebenen Klimaanalyse, die 2003 veröffentlicht wurde. „Die Messungen haben eindeutig gezeigt, dass sich im Rumbachtal ein gut funktionierendes Strömungssystem ausbildet, welches kühle Luft aus dem Rumbachtal in Richtung Innenstadt führt und insbesondere in den Randbereichen deutliche Abkühlungseffekte der städtische Wärmeinsel aufweist.“
Selbst an der Hunter Universität in New York sei das Rumbachtal als „funktional optimales“ Kaltluftentstehungsgebiet Bestandteil der Geographie-Vorlesung. „Da es sich um langsam kriechende Ströme handelt, die in einer Höhe von 10 bis 20 Zentimetern zu ziehen beginnen, hat eine Bebauung, auch eine Randbebauung, eine störende und behindernde Auswirkung auf die Kaltluftströmung. Die Kaltluftrate wird um 14,2 Prozent reduziert“, stellte Stalleicken abschließend fest. „Wir brauchen die durchgrünten Bronchien unserer Stadt, um keine Verschlechterung der Lebensqualität in der Stadt herbeizuführen.“ Dass Frischluft gegen Beton eingetauscht werden soll, rief bei den anwesenden Bürgern Unverständnis hervor.
Die Verwaltung hingegen sieht in der Bebauung des Plangebietes keine gravierenden, den Bau verhindernden, Beeinträchtigungen. Dr. Jürgen Zentgraf, Amtsleiter des Amtes für Umweltschutz, erklärte: „Wenn man das Stadtklima schützen will, ist es richtig, so wenig wie möglich zu bebauen. Die Bebauung im Plangebiet beschränkt sich jedoch auf eine kleine Fläche, die Auswirkungen sind minimal.“
Das Gutachten „Klimatologische Stellungnahme zum Bauvorhaben „Tilsiter Straße / Oppspring“ von 2008 bekräftigt seine Aussage. Demnach stuften die Gutachter die thermische und lufthygienische Zusatzbelastung durch das Bauvorhaben als gering ein und maßen dem Planvorhaben bei der Gewährleistung der Innenstadtdurchlüftung durch Kaltlufttransporte aus dem Rumbachtal (Reduzierung um 0,26 Prozent) keine Relevanz bei. „Dieses Messergebnis von 0,26 Prozent ist aus Sicht der Verwaltung hinnehmbar“, betonte Baudezernent Peter Vermeulen. Die aufgelockerte einreihige Straßenrandbebauung mit keinesfalls dicht-an-dicht stehenden Einzel- und Doppelhäusern führe nicht zu einer Veränderung der klimatischen Situation.
Neben den klimatischen Auswirkungen einer Bebauung thematisierten die anschließenden Wortmeldungen der anwesenden Bürger zudem mögliche, in Zukunft folgende, Bauvorhaben Richtung Osten. Martin Harter, Amtsleiter des Amtes für Stadtplanung und Bauordnung, entgegnete, dass keine Asphaltierung hinter den Häusern erfolge und eine weitere Bebauung Richtung Osten auf Grundlage dieses Bebauungsplanes nicht zulässig sei. Allerdings könne er auch keine Voraussagen beziehungsweise Zusagen für einen Zeitraum nach 50 Jahren machen.
Weitere Einwände bestanden im generellen Nutzen von Neubauten, wenn doch zahlreiche Leerstände aktuell und in naher Zukunft vorhanden seien. Hochwertiger Wohnraum sei schließlich auch durch Ruhrbania gegeben, wie eine Anwohnerin anmerkte. „Selbstverständlich wird auch durch Überalterungsprozesse attraktiver Wohnraum geschaffen“, bemerkte Harter. „Allerdings herrscht auch Neubaubedarf.“ Harter und Vermeulen sehen in der stetigen Veränderung einer Stadt ein wesentliches Merkmal der Stadtentwicklung. „Die Frage, mit der wir uns beschäftigen, lautet: Wie wollen wir unsere Stadt entwickeln? Lediglich aus dem Bestand heraus geht das nicht“, stellte Vermeulen fest. „Ob wir in dieser Stadt überhaupt noch Neubau haben wollen oder alle Grünflächen so belassen, wie sie sind, ist eine Frage, die die Politik beantworten muss. Letzteres wäre für die Stadtentwicklung allerdings fatal.“
Großen Applaus gab es für Wortmeldungen, in denen die Veranstaltung als Farce beziehungsweise als Alibiveranstaltung bezeichnet wurde. „Die Verwaltung weiß, was sie will: Sie wollen bauen. Und sie wissen genau, wir möchten nicht. Was am Ende passiert, dass wissen wir doch alle!“, sprach eine Anwohnerin offen ihre Vermutung aus. Dass diejenigen, die letztlich über das Bauvorhaben entscheiden, bei der Bürgerinformationsveranstaltung nicht anwesend waren, fiel den Anwohnern ebenfalls negativ auf.
Noch bis Montag, 18. März, liegt der Bebauungsplan „Tilsiter Straße/Haustadtfeld - G 14“ im Technischen Rathaus, Hans-Böckler-Platz 5, 19. Etage (linke Flurseite), von 8 bis 16 Uhr aus.
Autor:Stephanie Kleebaum aus Oberhausen |
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