Luftige Kontrollen
Bei Robert Lemkes berühmten Berufe-Ratespiel „Was bin ich“ wäre das Schweinchen bei Jürgen Kleinherbers sicher voll geworden. Denn wer kommt schon auf Leitungsbeflieger? Aber das ist das, was der RWE-Hochspannungsmeister einen guten Teil des Jahres macht: per Hubschrauber die Hochspannungsleitungen des Netzbetreibers abfliegen und auf Störschäden kontrollieren. Bei einem Flug durfte ihn MW-Redakteurin Regina Tempel begleiten.
Sanft gleitet der Hubschrauber vom Typ Bell 206 in die Höhe. Normalerweise sitzen neben und hinter dem Piloten zwei Hochspannungsmeister des RWE. Einer zum Schauen, der andere zum Aufnehmen der entdeckten Mängel. Heute sitze ich neben Jürgen Kleinherbers. Während Pilot Rolf Berge in rund 300 Meter Höhe über die Stadtmitte fliegt, legt sich die anfängliche Unsicherheit und ich kann anfangen, die ungewohnte Sicht auf die Stadt zu genießen.
Schon nach wenigen Minuten ist das Ziel erreicht: Eine Hochspannungsleitung, die neben dem Real-Markt herführt. Dicht fliegen wir an den Leiterseilen entlang und umkreisen den nächsten Hochspannungsmast, der die Seile trägt. Sehr dicht, wie ich finde, doch Kleinherbers beruhigt mich: „Normalerweise fliegen wir noch näher dran, bis auf drei Meter, um auch nichts zu übersehen.“ Seinen geschulten Augen entgeht so schnell nichts. Er sieht, ob von Vogelnestern, die auf den Masten gebaut werden, eine Gefahr ausgeht, weil mal wieder Krähen geglaubt haben, dass Stacheldraht ein gutes Nistmaterial ist. Kommen Drahtstücke einer Leitung nahe, kann es brenzlig werden. Diese Nester müssen dann vom Boden aus entfernt werden.
Kleinherbers entdeckt auch Schäden an den Leiterseilen, die durch Blitzeinschlag entstehen. „Gerade bei Gewitter haben wir das häufig“, dröhnt seine Stimme durch den Kopfhörer. Denn die Außenhülle der Stahlseile ist aus Aluminium, das durch die Hitze schmilzt, so dass Stücke abstehen oder runterhängen. Auch gebrochene Rippen an den Isolatoren aus Porzellan, die sich an den Mastarmen in die Höhe recken, entgehen seinem Blick nicht.
1593 Maste stehen im Bereich Wesel, der neben den Nachbarstädten auch Mülheim umfasst. Insgesamt 395 Leitungskilometer werden von RWE allein in diesem Gebiet kontrolliert.
Eine Präventionsmaßnahme, die sich bezahlt macht, wie Bernhard Slomka, Leiter des Netzvertriebs Rhein-Ruhr bei RWE Deutschland AG, weiß: „Seitdem wir diese Kontrollen durchführen, sind die Störungen im überörtlichen Netz gleich Null.“ Die Flüge werden zusätzlich ergänzt durch regelmäßige Begehung der Leitung vom Boden aus.
Alle bei den Flügen festgestellten Schäden werden repariert - teilweise auch aus der Luft. Dafür wurde eigens ein Hubschrauber ausgerüstet, mit dem die dafür geschulten Fachleute Vogelschutzmarkierungen anbringen, Isolatoren austauschen oder andere Reparaturen vornehmen, die vom Boden aus nur schwierig machbar sind. „Mit diesem Verfahren sind wir führend in Europa“, betont Slomka stolz. Jährlich investiert die RWE Deutschland AG 35 Millionen Euro in die Instandhaltung, Wartung und Erneuerung des Netzes.
Hochspannungsmeister Dieter Dahlmann macht den Job schon über 20 Jahre. Wie seine Kollegen auch achtet er nicht nur auf die Leitungen. „Vom Hubschrauber aus können wir auch mögliche Gefahrensituationen erkennen. Vor allem bei Baustellen passiert es häufiger, dass Kräne zu dicht an den Leitungen stehen. Dann landen wir auch mal kurz und weisen sie daraufhin“. Normalerweise gilt ein Schutzstreifen von 20 Meter zu den Leitungen.
Auch auf Tiere wird Rücksicht genommen. Weiden Kühe oder Pferde in der Nähe, dann geht der Hubschrauber nicht tiefer, um die Tiere nicht unnötig zu erschrecken. Aber Dahlmann hat auch Kurioses erlebt. „Wenn in der Nähe von Leitungen erhöhter Flugverkehr stattfindet, dann werden zur Vorwarnung rot-weiße Kugeln an die Leitungen gehängt. Manche Zeitgenossen benutzen sie als Zielscheibe und schießen darauf.“ In dem Fall muss mit Stetoskop geprüft werden, ob der Schuss auch die Leitung beschädigt hat.
Beinahe wäre auch schon mal auf den blauen Hubschrauber geschossen worden. „Wir fliegen auch schon mal in der Nähe von Justizvollzugsanstalten. Wir geben zwar immer Bescheid, dass wir dort vorbeifliegen, aber einmal hat ein Mitarbeiter wohl vergessen, das weiterzugeben. Die haben da schon die Gewehre ausgepackt und erst nach einem Anruf bei uns Entwarnung gegeben“, schmunzelt Dahlmann.
Wir sind übrigens unbeschadet wieder gelandet. Ohne Vogelnester, durchlöcherte Kugeln oder ähnliches gesehen zu haben. Spannend war es trotzdem.
Autor:Regina Tempel aus Mülheim an der Ruhr |
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