Freiwilliges Soziales Jahr
Von Mülheim nach Kamerun – Eindrücke einer FSJlerin

Marlene mit Chris | Foto: M.Krauthausen
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Anfang September machte sich die 18jährige Marlene Krauthausen aus Mülheim an der Ruhr auf, ein soziales Jahr in Kamerun abzuleisten
(siehe: Ursprungsbericht)
Wir wollten Kontakt halten, damit sie uns in der Heimat ihre Erfahrungen weitergeben kann.
Hier kommen ihre ersten Eindrücke:

Wie war die Anreise und wie wurdest Du empfangen?

Am 04. September bin ich gegen Abend in Douala, der größten Stadt Kameruns, mit dem Flugzeug gelandet. Nach einer Nacht im Hotel ging es am nächsten Tag gemeinsam mit unserem Chef, Monsieur Pokam, Richtung Norden in die Region Ouest in das Dorf Baham. Dort wurden wir direkt von allen herzlichst in seinem Haus empfangen.
Seine Frau Madé hatte gekocht und so aßen wir zunächst alle gemeinsam.
Es gab frittierte sowie gekochte Kochbananen, Reis, Tomatensauce, Hähnchen, Baguette, Möhrensalat, grünen Kohl, der komischerweise einfach nur Gemüse genannt wird, und zum Nachtisch Ananas und Papaya. Alles super lecker!

Das hört sich schon mal gut an. Wie war denn die Unterkunft?
Untergebracht bin ich gemeinsam mit meiner „Mitfreiwilligen“ in einem umgebauten Gebäude, das ehemals die Einrichtung bezogen hatte, bevor der Umzug in die jetzigen, größeren Bauten erfolgte.

Ihr wohnt also nicht direkt in der Schule ...
Nein. In der zu Fuß fünf Minuten entfernten Einrichtung, dem sogenannten „Centre“ („Association Humanitaire Pour La Promotion Des Personnes Socialement Vulnérables“), wohnen ungefähr 35 Bewohner*innen. Das geht von Kindern und Jugendlichen, die staatliche Schulen besuchen, über Erwachsene, die in den handwerklichen Ateliers der Einrichtung arbeiten, bis hin zu zwölf Kindern und Jugendlichen mit verschiedensten Behinderungen, die von uns täglich unterrichtet werden.

Wie sieht dieser Unterricht aus?
Der Unterricht beginnt morgens um 08.00 Uhr.
Gefördert werden die leistungsstärkeren Schüler*innen, die ich unterrichte, vor allem in Französisch und Mathematik, aber auch Fächer wie Moral, Hygiene und Sachkunde kommen nicht zu kurz. Angestrebt werden hierbei eine Alphabetisierung, ein grundlegendes Mathematikverständnis, eine ausreichende Allgemeinbildung sowie ein möglichst hoher Grad an Autonomie im Alltag.
Nachmittags wird dann vor allem gesungen, gemalt und gespielt, bevor wir gegen 16:00 Uhr den Unterricht beenden.
Am Abend gehen wir in der Regel noch ein weiteres Mal in die Einrichtung, um den Schulkindern bei den Hausaufgaben zu helfen, einige der kleineren Kinder ins Bett zu bringen oder einfach zum Quatschen oder Kartenspielen.

Das fühlt sich jetzt nicht so fremd an ...
Doch schon. Während ich in den Unterrichtsrhythmus sehr gut hineingefunden habe, gab es einige Dinge, an die ich mich erst einmal gewöhnen musste und teilweise bleibt mir auch heute noch kurz die Sprache weg.
Sehr ungewohnt war direkt zu Beginn, dass die Bewohner*innen der Einrichtung ab 16:00 Uhr die gesamte Nacht sowie am Wochenende ohne externes Personal in der Einrichtung leben.
Es wäre in Deutschland unvorstellbar, dass Kinder mit schwersten Behinderungen, die ihren Alltag alleine nicht meistern können, ohne Aufsichts- und Pflegepersonal verbleiben.
Wir haben aber schnell gesehen, dass die Bewohner*innen über eine teilweise unerwartet hohe Autonomie verfügen und sich in einer beeindruckenden Weise gegenseitig ergänzen.
So werden von einigen kognitive Vorgänge für andere übernommen, während anderen körperlich wortwörtlich unter die Arme gegriffen wird.
Die anfallenden Aufgaben und Verantwortungen werden so bereitwillig übernommen, dass ein unbezahlbares Personal gar nicht benötigt wird.

Gab es den "Kulturschock?"
Ja klar. Unterschiede in kultureller und gesellschaftlicher Hinsicht machen sich immer wieder bemerkbar.
So mussten wir leider schon miterleben, dass das körperliche Bestrafen von Kindern hier nicht nur an der Tagesordnung, sondern auch legal ist.
Der örtliche Umgang mit Corona und tatsächlich bis jetzt ein nur einmaliges Tragen einer Maske hat bei mir dazu geführt, dass der Virus immer mehr aus dem alltäglichen Bewusstsein verschwindet. Die Einstellung gegenüber der von Corona ausgehenden Gefahr für die Gesundheit und das Gesundheitssystem sowie der Impfung ist in der Gesellschaft häufig sehr kritisch und zweifelnd.

Kommen wir zum Essen ...
Ja. Das Frühstück und Mittagessen nehmen wir immer gemeinsam mit den Kindern ein. Morgens gibt es meist für jeden ein Stück Baguette und einen Artemisia-Tee, der als Malariaprophylaxe dient und mit einer großen Menge Zucker gesüßt wird, damit der bittere Geschmack der Artemisia-Pflanze überdeckt wird.

Mittags wechseln sich Reis, Süßkartoffeln, Bohnen und Couscous ab.
Fleisch gab es bis jetzt nur auf einer Willkommensfeier für meine „Mitfreiwillige“ und mich. Ich kann wie in Deutschland meine fleischlose Ernährung gut fortsetzen. Wer keinen Fisch isst, hätte es deutlich schwieriger, da von der am häufigsten gekochten Erdnusssoße bis hin zur Tomatensoße sämtliche Soßen mit Trockenfischen „verfeinert“ werden. Zunächst sehr ungewohnt, doch mittlerweile eigentlich auch ganz lecker.

Wie kommst Du mit den hygienischen Bedingungen klar?
An das Waschen per Hand, das ich im Aufwand deutlich unterschätzt habe und an das kalte, unregelmäßig fließende Wasser musste ich mich erst einmal gewöhnen. Nach zwei Monaten kommt mir das aber schon ganz normal vor und ich denke gar nicht mehr darüber nach.
Krass ist der Mangel an Hygieneprodukten. Beispielsweise als sich nach einem Monat herausstellte, dass ein Junge keine Zahnbürste besitzt. Oder als wir erfahren haben, dass aus Kostengründen die Windel eines Vierjährigen nur im 24-Stunden-Takt gewechselt wird. Genau an diesem Punkt setzen wir aktuell mit den bereits gesammelten Spenden an. So konnten wir bereits Zahnbürsten und Zahnpasta besorgen, sodass alle Bewohner*innen nun Zahnbürsten in einem guten Zustand besitzen, mit denen wir täglich nach dem Frühstück gemeinsam mit den Kindern die Zähne putzen.
Zudem fließen die bisher gesammelten Spenden in die Ernährung der Kinder sowie die Errichtung eines großen Wassertanks, der bakterienfreies Wasser während der Trockenzeit bereitstellen wird.
An dieser Stelle nochmal vielen Dank für die Spenden aus Mülheim. Grün-Weiß hat z.B. bei einem Heimspiel noch einmal gesammelt. Hier vor Ort kann man auch mit wenig Geld vieles bewirken.

Ein Jahr Kamerun – für dich die richtige Entscheidung?
Ja. Alles in allem würde ich die Entscheidung, diesen Freiwilligendienst angetreten zu haben, in jedem Fall wieder treffen. Auch wenn ich mich an einige Umstände erst gewöhnen musste, bin ich jeden Tag aufs Neue glücklich, hier zu sein und in diesem Jahr all diese neuen Erfahrungen zu sammeln.

Info:
Wer die Arbeit von Marlene vor Ort finanziell mit einer Spende via PayPal unterstützen möchte:
spenden.centre.ahp2v@gmail.com

Marlene mit Chris | Foto: M.Krauthausen
Marlene mit Ange | Foto: M.Krauthausen
Autor:

Tom Hemmelmann aus Mülheim an der Ruhr

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