Übernahme Tengelmann - Begründung von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel für sein Okay zum Verkauf an Edeka
Monatelang rührte sich nichts in Sachen Übernahme der defizitär arbeitenden Lebensmittel-Fillialen von Tengelmann und Kaisers durch EDEKA. Nun aber hat Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel die Übernahme genehmigt. Das aber unter harten Auflagen für Edeka.
Die Stellungnahme des Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel im Wortlaut: "Im April vergangenen Jahres wurde der Antrag auf Erteilung einer Ministererlaubnis für die Übernahme vonKaiser’s/Tengelmann durch Edeka gestellt. Wir haben das Verfahren sorgfältig und zugleich zügig durchgeführt. Die trotzdem relativ lange Verfahrensdauer erklärt sich aus der notwendigen intensiven Prüfung und der strikten Einhaltung der engen juristischen Vorgaben für ein solches Verfahren. Und auch mit dem heutigen Tag ist es nicht abgeschlossen. Denn mit dem heutigen Tag habe ich den Verfahrensbeteiligten meine Bedingungen für eine Ministerentscheidung übersandt.
Bedingung an die beteiligten Parteien Tengelmann und Edeka versand
Ich habe also heute den Antragstellern und den 13 Beigeladenen mitgeteilt, dass ich beabsichtige, eine Ministererlaubnis unter aufschiebenden Bedingungen zu erteilen. Aufschiebende Bedingungen bedeutet, dass die in der Ministererlaubnis genannten Bedingungen erfüllt sein müssen, bevor der beabsichtigte Verkauf von Kaisers Tengelmann an die Edeka vollzogen werden kann. Die Antragsteller und die Beigeladenen haben jetzt 14 Tage Zeit, ihre Stellungnahme abzugeben. Danach werde ich meine endgültige Entscheidung treffen.Ich habe mich sehr intensiv mit den verschiedenen Interessen auseinandergesetzt. Ich habe viele Gespräche geführt und an einer ganztägigen Anhörung hier im Bundeswirtschaftsministerium teilgenommen. Ich weiß: Eine Ministererlaubnis muss immer eine gut begründete Ausnahme von der Regel sein.
Gabriel: "Gut begründete Ausnahme von der Regel."
Bei einerMinistererlaubnis geht es im Kern um eine einzige Frage: Gibt es Gemeinwohl-Argumente, die in der Gesamtschau schwerer wiegen, als die wettbewerbsrechtlichen Argumente des Bundeskartellamts? Die Absicherung von Arbeitsplätzen kann ein solches Argument sein. Im Antrag von KT und Edeka basiert auf diesem Gemeinwohlargument „Sicherung von Arbeitsplätzen“. Das dafür vorgeschlagene Modell über Betriebsvereinbarungen Beschäfti-gungssicherung, Tarifbindung und Mitbestimmungsstrukturen für einen bestimmten Zeitraum abzusichern, hat mich allerdings nicht überzeugt. Zudem wurden diese rechtlich nicht eindeutigen Betriebsvereinbarungen nur für zwei der drei betroffenen Regionen abgeschlossen. Ebenso basierte der Antrag von KT und Edeka auf einer abstrakten Zahl von Arbeitsplätzen, die durch Wachstumseffekte gesichert werden sollten, und bezog sich nicht auf die konkreten Beschäftigungsverhältnisse.
16.000 betroffene Tengelmann-Beschäftigte sollen Arbeitsplatzsicherung für fünf Jahre erhalten
Ich beabsichtige deshalb eine Ministererlaubnis zu erteilen, wenn Edeka die konkreten rund 16.000 betroffenen Beschäftigungsverhältnisse für mindestens 5 Jahre weitestgehend sichert. Konkret heißt das: die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer behalten zu mindestens 97 Prozent, ihren Arbeitsplatz zu tariflichen Bedingungen ebenso wie mit den existierenden Mitbestimmungs- und Betriebsratsstrukturen.. Innerhalb dieses Fünfjahreszeitraums darf Edeka die von KT übernommenen Filialen nicht „privatisieren“ – also nicht an selbstständige Einzelhändler abgeben, sondern diese müssen als Regiebetriebe von Edeka geführt werden. Nur für Einzelfällen und im Einvernehmen mit den Arbeitnehmern gibt es von dieser Regel Ausnahmen. In diesem Fünfjahreszeitraum sollen die alten Tarifbedingungen ebenso weitergelten wie die Betriebsrats- und Mitbestimmungsstrukturen. Im ursprünglichen Antrag wollte Edeka die Filialen schrittweise ab dem ersten Jahr an selbständige Kaufleute übertragen.
Schrittweiser Verkauf der Fillialen durch Edeka an selbstständige Kaufleute für fünf Jahre ausgeschlossen
Auch nach Ablauf der fünf Jahre und der dann möglichen Übergabe der Filialen an selbständige Kaufleute muss ein Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen für zwei Jahre per Tarifvertrag abgesichert werden. Insgesamt werden also für sieben Jahre nicht nur die Beschäftigung von 16.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gesichert, sondern auch die tariflichen Entlohnungsbedingungen. Darunter befinden sich auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Fleischwerke, die im ursprünglichen Konzept von Edeka geschlossen werden sollten. Die Birkenhof Fleischwerke, die Edeka schließen wollte, müssen für drei Jahre als Ganzes erhalten werden. In dieser Übergangsfrist von drei Jahren muss Edeka durch Investitionen die betroffenen Fleischwerke so entwickeln, dass sie nach drei Jahren entweder in eine wirtschaftlich erfolgversprechende Selbstständigkeit entlassen werden können oder im Edeka-Verbund verbleiben.
Entscheidung gilt auch für die Birkenhof Fleischwerke
Abgesichert werden muss diese Auflage durch Edeka durch den Abschluß rechtssicherer Tarifverträge für alle Regionen. (Bislang hatte Edeka hatte lediglich angeboten, rechtlich unsichere Betriebsvereinbarungen ohne Beteiligung der Gewerkschaften abzuschließen.) In diesen Tarifverträgen muss im Ergebnis der Erhalt von 16.000 Arbeitsplätzen festgeschrieben sein. All diese Bedingungen muss Edeka erfüllen, bevor die Übernahme vollzogen werden darf. Es gibt also keine Hintertür. Ministererlaubnisse haben in Deutschland keinen guten Ruf. Ich kann das aus ordnungspolitischer Sicht sogar nachvollziehen. Der Gesetzgeber hat aber eine Ministererlaubnis ausdrücklich ermöglicht, um zu sicherzustellen, dass das Einhalten durchaus wichtiger Prinzipien im Einzelfall hinter gewichtigere Gemeinwohlgründe zurücktreten muss.
Ministerentscheide keinen guten Ruf - Daher genauestens abgewägt
Und wenn in einer sozialen Marktwirtschaft irgendetwas dem Gemeinwohl dient, dann doch wohl der dauerhafte Erhalt von Tausenden Arbeitsplätzen. Gerade in einer Zeit, in der viele Menschen den Eindruck haben, dass ihre Sorgen und Nöte in der Politik keinen ausreichenden Platz mehr und kein Gehör mehr finden, erscheint es mir richtig, alles zu tun, um rund 16.000 Menschen für einen möglichst langen Zeitraum Sicherheit zu geben. Verkäuferinnen und Verkäufer, Lagerarbeiter, Metzger und Gabelstaplerfahrer verdienen im Monat zwischen 1.500 und 2.027 Euro brutto(!). Ihnen fühle ich mich mit diesem Vorschlag für eine Minister-entscheidung verpflichtet. Denn sie sollen so lange wie möglich über gesicherte Arbeitsplätze, den Schutz von Tarifvereinbarungen und durch betriebliche Mitbestimmung behalten. Ich bin sicher: Sollten die Bedingungen nachprüfbar erfüllt werden, wären die Voraussetzungen für den Erlass einer Ministererlaubnis gegeben."
Wir berichten weiter.
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Autor:Lokalkompass Mülheim aus Mülheim an der Ruhr |
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