Pflegebedürftige Senioren und der Kontakt-Verzicht
Zwischen menschlicher Nähe und sozialer Distanz
„Ich vermisse die täglichen Spaziergänge mit meiner Frau an der Ruhr. Das macht mich sehr traurig. Damit kann ich schlecht umgehen“, sagt Karl-Heinz Sell. Der 80-Jährige ist seit drei Monaten im Franziskushaus am Leinpfad zuhause, zusammen mit 115 anderen pflegebedürftigen Senioren. Normalerweise ist das Ruhrufer nur wenige Schritte entfernt. Doch seit dem 13. März ist es für die Bewohner des Franziskushauses unerreichbar.
Jetzt müssen Sell und seine Mitbewohnerinnen Gisela Bormann (80) und Ursula Heidermann (92) telefonisch Kontakt mit den Menschen halten, die ihnen am Herzen liegen. Sell telefoniert täglich mit seiner Frau und einmal pro Woche mit seinen drei Kindern, die in Norwegen und Hessen leben. „Natürlich sprechen wir darüber, wie sich die Dinge in der Welt entwickeln und wünschen uns gegenseitig, dass wir gesund bleiben“, sagt Sell. Ursula Heidermann telefoniert täglich mit einer alten Freundin, die sie noch aus der Wandergruppe der Naturfreunde kennt. Kraft schöpft sie auch, wenn sie mit ihrem Rollator in den gut abgeschirmten Garten auf der Rückseite des Franziskushauses geht. „Ich arbeite, zupfe und pflanze dort ein bisschen am Hochbeet. Die Arbeit in der frischen Luft und der Sonnenschein tun mir gut und erinnern mich an den großen Garten, den ich früher hatte“, sagt Heidermann. Die Corona-Krise kommentiert sie gelassen: „Ich bin hier gut versorgt und was kommen soll, das kommt!“
Videotelefonie mit der Tochter in Amerika
Ihre Mitbewohnerin Gisela Bormann (80) hat inzwischen die neueste telekommunikative Errungenschaft des Franziskushauses, einen mit Videotelefonie ausgerüsteten Tablet-PC genutzt, um etwas von ihrer Tochter zu sehen und zu hören, die mit ihrer Familie in Boston an der US-Ostküste lebt. „Sie und ihr Mann arbeiten im Homeoffice und gehen nur zum Einkaufen raus“, erzählt sie und fügt noch hinzu: „Wir sind uns einig, dass Herr Trump auf die Corona-Krise völlig falsch reagiert hat.“
Gerade weil die Bewohner bis auf weiteres keine Besucher empfangen können, ist man in dem zur Contilia-Gruppe gehörenden Pflegeheim darum bemüht, auf diesem Weg und durch das sogenannte “Fensterln“ Bewohnern und ihren Angehörigen auch einen Blickkontakt zu ermöglichen. Das Fensterln findet dabei auf der Café-Terrasse des Franziskushauses statt, wobei Bewohner und ihre Angehörigen sich auf einen Sicherheitsabstand von drei bis vier Metern sehen und hören können.
„Wir dürfen die Türen nicht aufmachen und keine Besucher hereinlassen. Unsere Mitarbeiter müssen jeden Tag neue Kleidung anziehen. Sie dürfen die Bewohner nur noch mit Mundschutz pflegen. Viele der entsprechenden Masken sind von Mitarbeiterinnen und ehrenamtlichen Helfern genäht und mit freundlichen Motiven, vom Einhorn bis zum Smiley versehen worden. Außerdem haben wir alle Gemeinschaftsveranstaltungen, wie das Kegeln, Bingo oder den Gymnastikkreis abgesagt und arbeiten nur noch in den Gruppen. Auch in den Speiseräumen sitzen die Bewohner jetzt in einem Sicherheitsabstand zueinander“, beschreibt die Einrichtungsleiterin Jennifer Lützenburg die Folgen der Corona-Krise und der damit verbundenen Kontaktsperre für den Pflegealltag im Franziskushaus.
Besorgte Angehörige
In der ersten Woche der Kontaktsperre musste Lützenburg vor allem die Angehörigen der Bewohner am Telefon beruhigen. „Viele hatten Angst, dass ihre Angehörigen nicht mehr genug Aufmerksamkeit bekommen, wenn sie nicht mehr selbst ins Haus kommen und ihre Verwandten besuchen können“, sagt Lützenburg. Doch diese Befürchtungen konnten inzwischen durch eine entsprechende Kommunikation und Information zerstreut werden. „Denn wir machen das, was wir vorher im größeren Kreis gemacht haben, jetzt im individuellen Einzelkontakt oder im kleineren Kreis von zwei oder drei Bewohnern mit einem entsprechenden Sicherheitsabstand“, erklärt die unter anderem für den sozialen Dienst im Franziskushaus zuständige Mitarbeiterin Jessica Hagemeier.
Und so gibt es in den Wohngruppen des Franziskushauses auch weiterhin kleine Zeitungs,- Handarbeits- oder Gymnastikkreise. Besonders gut kam bei den Bewohnern das Gartenkonzert eines Musikers an, der den bei dieser Gelegenheit an den Fenstern des Franziskushauses zuschauenden und zuhörenden Bewohnern mit alten Schlagern die Zeit vertrieb. „Bei: ‚Rote Lippen sollst du küssen‘ und: ‚Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt‘, wurden schöne Erinnerungen wach“, erzählt Ursula Heidermann.
Gerne auch Theater
Mit ihr freuen sich nicht nur Gisela Bormann und Karl-Heinz Sell auf einen Clown, der sich für die kommende Woche zum nächsten Garten-Open-Air am Franziskushaus angesagt hat. Darüber hinaus sucht Einrichtungsleiterin Jennifer Lützenburg schon nach einer kleinen Theatergruppe, die im Garten des Pflegeheims dessen Bewohner vielleicht mit Sketchen oder einem kleinen Lustspiel zum Lachen bringen könnte. Wer Lust auf ein Gastspiel hat kann sich per Mail (franziskushaus@contilia.de) gerne an das Franziskushaus wenden.
„Die Mitarbeiterinnen leisten hier wirklich Unglaubliches und begegnen uns derzeit besonders freundlich und zugewandt“, sind sich Gisela Bormann und Ursula Heidermann einig. Und Einrichtungsleiterin Jennifer Lützenburg freut sich „über die spürbare Solidarität unter den Pflegekräften, die jetzt alle Querelen beiseite lassen und mit erhöhter Stundenzahl Hand in Hand arbeiten.“ Als Teil dieser Solidarität erlebt sie auch die Pflegeschüler, die ihre durch die Corona-Krise erzwungenen Schulferien nutzen, um ihren Kollegen im Franziskushaus unter die Arme zu greifen. „Das zeigt mir, dass diese jungen Leute sich ihren Beruf nicht zufällig ausgesucht haben“, lobt Jennifer Lützenburg.
Autor:Thomas Emons aus Mülheim an der Ruhr |
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