Rat der Stadt Mülheim beschloss Erhöhung der Grundsteuer
Zustimmung mit Bauchschmerzen
Es ist vollbracht. Nach etlichen Irrungen und Wirrungen, zahlreichen Sitzungen eines interfraktionellen Arbeitskreises Haushalt, einer deutlichen Ermahnung durch Holger Olbrich von der Bezirksregierung sowie langen Etatreden aller im Stadtrat Beteiligten konnte Kämmerer Frank Mendack verkünden: „Meine Damen und Herren, damit haben wir einen genehmigungsfähigen Haushalt. Durch die vorgenommenen Änderungen wird der Haushaltsausgleich schon 2019 hergestellt, also ein Jahr früher als ursprünglich geplant.“
Ein erleichterter Kämmerer erhielt bei der entscheidenden Ratssitzung des Jahres gelösten Applaus. Im Vorfeld hatten viele Redner sein Zutun gelobt. So dankte Christina Küsters von der CDU dem Kämmerer ausdrücklich für konstruktive Diskussionen im Arbeitskreis, bei denen er immer ruhig geblieben sei. Alles gut in Mülheim? Nicht wirklich, denn Küsters wandte sich nun Oberbürgermeister Ulrich Scholten zu: „Wo waren Sie eigentlich in dem gesamten Verfahren?“ Haushaltskonsolidierung sei doch Chefsache. Da hätte der „Chef“ doch wenigstens mal den Kopf zur Tür reinstecken können, während die Fraktionen spät abends um eine Lösung für die Stadt rangen. Jochen Hartmann wurde deutlich: „Scholten hat geschlafen.“ Da wünsche man sich für Mülheim eine Persönlichkeit wie Helmut Schmidt, der damals in der Flutkatstrophe die Zügel an sich gerissen habe.
Generalabrechnung
Die Haushaltsreden aller Fraktionen und Einzelvertreter sind ein demokratisches Ritual. Zwei Stunden lang kommt es zur Generalabrechnung mit den Regierenden.
Peter Beitz von der FDP startete sogleich mit kräftiger Schelte: „Der Etat-Entwurf unterscheidet sich von den Entwürfen der letzten x-Jahre nur in Höhe der Hebesätze. Also nur darin, wie viel der Kämmerer den Bürgern der Stadt abnehmen will, ohne sich selbst zu bewegen.“ Das sei Wahnsinn: „Für uns aber traurige Realität.“ Jeder habe sein Geschenk bekommen, nur der Mülheimer Bürger nicht: „Der kann jetzt die Scherben zusammenfegen.“ Auch Birgit Felderhoff von den Linken sah vor allem den Bürger als Verlierer. Die Grundsteuer B werde in der Regel auf die Mieter umgelegt. Nicht zustimmen könne sie Einsparungen in Millionenhöhe im Mülheimer Nahverkehr. Da drohe Chaos. Die Lösung liege nicht bei der Kommune. Das Mülheimer Haushaltsloch sei auch bedingt durch eine unsinnige „Schwarze Nullen“-Politik im Bundestag: „Wir wollen aber nicht zu schwarzen Nullen werden.“
Cevat Bicici hielt fest, die finanzielle Misere sei zum Teil hausgemacht. Am Ende hätte stets die Stadt das Nachsehen: „Das Vermögen der Reichen wächst genauso wie die Schulden der öffentlichen Hand.“ Doch wo sei die Bezirksregierung gewesen? Warum habe sie nicht darauf geachtet, dass die Kommunen in NRW eine ausreichende Finanzausstattung erhalten? „Mit Erhöhung der Gebühren und Kürzungen in der Daseinsvorsorge wälzen Sie die Krisenlasten auf die Mülheimer ab.“
„Macht endlich Druck“
Hasan Tuncer mahnte: „Keine andere NRW-Großstadt hat in den vergangenen 15 Jahren ein höheres Verschuldungstempo hingelegt als Mülheim.“ Tuncer benannte für ihn Schuldige: „Bund und Land übertragen den Städten seit Jahren immer mehr Aufgaben, ohne die dafür notwendigen Finanzmittel bereitzustellen.“ Er appellierte an seine Ratskollegen, in ihrer Partei auf Landes- und Bundesebene aktiv zu werden: „Macht endlich Druck!“ Den Etatentwurf könne er nicht mittragen: Man mache den ÖPNV unattraktiv, indem man ihn kaputtspare. Lothar Reinhard von der MBI sprach vom „Sanierungsfall Mülheim“. Wirtschaftsboom, Niedrigstzinsen und sprudelnde Steuereinnahmen hätten den meisten deutschen Städten Überschüsse beschert. Mülheim dagegen sei derart überschuldet, dass selbst beim Verkauf sämtlicher Werte immer noch ein Minus von 600 Millionen Euro bleibe: „Unsere eigentlich reiche Stadt hat in Zukunft noch viele Fehler der Vergangenheit abzuzahlen.“ Reinhard forderte eine „offenere, tabulose Bürgerbeteiligung vor den Entscheidungen, nicht wie auch dieses Jahr wieder in geheimen Mauschelrunden.“
„Langjähriges Desaster“
Enttäuscht zeigte sich Lutz Zimmermann. Er habe als Einzelkämpfer an den Arbeitskreis teilgenommen und für sich entschieden: „Wirkliches Sparen ist mit den Mehrheitsverhältnissen hier im Rat nicht mehr vorstellbar. Herr Mendack, unter den vorherrschenden Umständen hatten Sie keine andere Wahl, als alle Mülheimer kurzfristig an der Misere zu beteiligen. Sie haben ja das langjährige Desaster übernommen.“ Aber er wolle nicht nur meckern und wolle den wesentlichen Teil seiner Zuwendungen von monatlich 884,49 Euro der Stadt wieder zurück überweisen: „ Ich bin sehr sparsam mit den städtischen Geldern umgegangen.“
Für den BAMH forderte Jochen Hartmann: „Aufbruch statt Stillstand.“ Wirtschaftlicher Aufschwung in Deutschland und günstige Zinsen? „Und trotzdem funktioniert nichts bis wenig in Mülheim.“ Ob es die fehlenden Gewerbegebiete seien oder das Desinteresse des obersten Wirtschaftsförderers Ulrich Scholten. Mit dem pomadigen „Weiter so“ komme Mülheim nicht aus der Krise. Man müsse zunächst den Bürgern die Wahrheit sagen: „Nichts vertuschen und verheimlichen.“ Beim ÖPNV zum Beispiel grassiere „Gutachteritis“, aber nichts werde umgesetzt. Mülheim müsse zukunftsfähig werden, mit neuer Dezernats -Struktur und seriösem Haushalten. Da könne man sich besonders hohe Standards einfach nicht mehr leisten. Alle Ausgaben müssten auf den Prüfstand: „Da darf es keine heiligen Kühe mehr geben.“
Mehrheit für den Haushalt
Für die Einbringung des vorgelegten städtischen Etats sprachen CDU, Grüne und SPD. Ihre Mehrheit beschloss den Haushalt. Christina Küsters betonte, dass Mülheim durch den Gewerbesteuer-Einbruch „kalt erwischt“ worden sei. Dem nun vorliegenden Maßnahmenkatalog zuzustimmen, falle „auch mit Bauchschmerzen und Zurückstellung aller Bedenken noch schwer“. Mülheim leiste sich einen zu teuren ÖPNV: „Allein in den vergangenen zehn Jahren ist eine Finanzierungslücke von 295 Millionen Euro entstanden.“ Busse und Bahnen dürften nicht leer durch die Gegend fahren. Für Einsparungen beim Personal müsse die demographische Entwicklung genutzt werden. Zudem könnten Arbeitsabläufe wesentlich verschlankt werden: „Aber auch in anderen Bereichen leisten wir uns für eine Stärkungspakt-Kommune noch zu viel.“
Für die Grünen sagte Tim Giesbert: „Wir haben getan, was getan werden musste. Ein großer Wurf kann dieser Haushalt angesichts der Rahmenbedingungen nicht sein.“ Er sieht den Bund in der Pflicht: „Die enorm hohen Aufwendungen der Stadt im Sozialbereich sind vorgegeben durch Gesetze und Entscheidungen meist aus Berlin.“ Der Bund habe es nicht fertiggebracht, für verlässliche Steuereinnahmen der Kommunen zu sorgen. Bei den hausgemachten Gründen stehe zuvorderst der ÖPNV, ein Defizit von 30 Millionen jährlich sei nicht hinnehmbar: „Wir setzen auf Liniennetz-Optimierung.“ Mit Haltestellenkonzentration, Abschaffung von Parallelverkehren und Beschleunigung der Bahnen.
Zuletzt sprach die SPD. Dieter Spliethoff strich heraus, dass man trotz der Haushaltslage möglichst alle Bereiche fördere. So werde an den Schulgebäuden stetig gearbeitet: „Mülheim ist hier im Vergleich mit anderen Städten gut aufgestellt.“ In der Innenstadt tue sich einiges und der Sportpark Styrum stehe symbolisch für die positiven Entwicklungen in der Sportpolitik. Man dürfe sich aber durch diese Erfolge nicht täuschen lassen: „Die Zeiten der kommunalen Selbstverwaltungen sind im Prinzip vorbei.“ Spliethoff sprach Klartext: „Aus eigener Kraft kommen wir aus dieser Situation nicht mehr heraus.“ Aber die Landesregierung denke endlich über einen Altschuldenfond nach.
Ein genehmigungsfähiger Haushalt
Die konkretisierten Maßnahmen zur Kompensation des Steuereinbruchs sind durch den Arbeitskreis Haushalt empfohlenen Einzelmaßnahmen, um den notwendigen Haushaltsausgleich dauerhaft herzustellen. Die Tagungen des Arbeitskreises wurden vom Präsidenten der Gemeindeprüfungsanstalt GPA, Heinrich Böckelühr, begleitet. Die Einnahmeverbesserungen führten für das Jahr 2019 zu einer Verbesserung um 23 Millionen Euro. Die Erträge von 839.733.966 Euro übersteigen die Aufwendungen von 833.287.175 Euro. So werde die Voraussetzung für die Auszahlung der Stärkungspaktmittel in Höhe von rund 31,7 Millionen Euro jährlich geschaffen.
Die wesentlichen Eckpunkte: Bei den Personalaufwendungen sollen Einsparungen in Höhe von 2,5 Millionen im Jahr 2022 und 6 Millionen ab dem Jahr 2023 vorgenommen werden. Im Rahmen von ÖPNV-Optimierungen werden Einsparungen von in Höhe von 2 Millionen im Jahr 2021, 4 Millionen im Jahr 2022 und 7 Millionen ab dem Jahr 2023 eingeplant. Deutliche Abstriche beim ÖPNV sind zu erwarten. Ein weiterer Punkt ist der Rückkauf des Rathauses unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten. Einher gehen würde ab dem Jahr 2023 eine Einsparung von Zinsbelastungen in Höhe von 1 Millionen Euro jährlich. Die Miete von jährlich drei Millionen würde entfallen, dafür wären wesentlich geringere Sanierungskredite zu bezahlen. Dies war übrigens der einzige Punkt des Maßnahmenkataloges, der vom gesamten Rat mitgetragen wird. Nicht zuletzt wurde eine Anhebung des Grundsteuerhebesatzes B ab dem Jahr 2019 auf 890 Prozentpunkte beschlossen. Eine massive Erhöhung von 39 Prozent. Dazu Kämmerer Frank Mendack: „Sollten wirtschaftliche Verbesserungen eintreten, könnten wir die Grundsteuer zurückfahren.“
Autor:Daniel Henschke aus Essen-Werden |
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