Mülheimer Jugendbeteiligung wird neu aufgestellt
Von wegen politikverdrossen
Herrlich nüchtern gibt das Protokoll des späten Nachmittags des 24. März diesen Jahres zu Protokoll: „Abschließend teilte die Vorsitzende Klara aus der Fünten mit, dass dies voraussichtlich die letzte Sitzung des alten Jugendstadtrates sei. Die Vorsitzende schloss die Sitzung um 17:42 Uhr.“
Einen Monat später entschied der Mülheimer Hauptausschuss in Delegation für den Rat der Stadt. Eifrig wurde diskutiert über das Ende des Jugendstadtrates in seiner bisherigen Form. Filip Fischer (SPD) nannte die Neuaufstellung einen „großen Schritt für die Jugendbeteiligung in unserer Stadt“. Allerdings bedürfe es intensiverer Betreuung als bisher. Dafür müsse in der Verwaltung eine Vollzeitstelle her statt einer bisher auf 20 Prozent beschränkten. Timo Spors (Grüne) legte den Finger in die Wunde: „Die Beteiligung und Unterstützung durch die Politik hätte größer sein können in der Vergangenheit.“ Für die CDU betonte Christina Küsters, dass beileibe nicht nur ein Kompromiss auf niedrigstem gemeinsamem Nenner gefunden sei.
Neues Konzept
Auch der FDP sei der Jugendstadtrat sehr wichtig, stellte Peter Beitz klar. Man könne eine regelmäßige Beteiligung aber nicht satzungsmäßig festschreiben. Dominic Fiedler hielt fest, dass seine AfD zwar durch die „Gnade der späten Geburt“ den bisherigen Jugendstadtrat nicht begleiten konnte. Aber die interessierte Jugend solle an politische Meinungsvielfalt herangeführt werden. Einstimmig wurde entschieden, ein neues Konzept auf den Weg zu bringen.
Der am 14. März 2018 gewählte Jugendstadtrat war über die nur zwei Jahre betragende Wahlzeit hinaus aktiv geblieben und hatte sich deutlich dafür ausgesprochen, die bisherige Bezeichnung sowie die in der politischen Gremienarbeit üblichen sehr formalisierten Strukturen und Abläufe aufzugeben: nicht jugendkonform und daher unattraktiv. Menschen im Alter von 14 bis 21 Jahren vertreten die Interessen der Jugendlichen in Mülheim. Das ist der Plan. Doch wie umsetzen?
Kick off-Veranstaltung
Ein vollkommen neu aufgestelltes Jugendgremium soll allen jungen Mülheimern offenstehen. Überparteilich und weltanschaulich neutral. Erklärtes Ziel soll es sein, dass die jungen Menschen „als Teil der Stadtgesellschaft ernstgenommen“ werden. Das neue Gremium soll auf Wahlen verzichten, sondern sich nach den Sommerferien aus einer Auftaktveranstaltung aller Interessierter bilden. Jugendliche verschiedenster Ausrichtung sollen zusammenkommen. Ob der Kick off noch in diesem Jahr gelingt? Klara aus der Fünten ist zuversichtlich: „Eventuell als Hybridmodell?“
Über projektbezogene Arbeit sollen Mitwirkung und Mitentscheidung ermöglicht werden: „Von Jugendlichen für Jugendliche.“ Ein Beispiel? „Wenn junge Skater ihre Ideen einbringen in eine Projektgruppe und andere Jugendliche dazu stoßen, die sich für dieses Thema interessieren.“ Wichtig sollen hier motivierende Erfahrungen sein. Denn nur, wer über positive Erlebnisse sammeln und einen Erfolg für sich sehen kann, der sieht einen Sinn in einem längerfristigen ehrenamtlichen Engagement, das zum Beispiel politisch ausgerichtet ist.
Polizeianwärterin
Klara aus der Fünten wird bald 20 Jahre jung, hat das Abitur in der Tasche und möchte zur Landespolizei. Um als Polizeianwärterin beginnen zu können, muss sie zurzeit ein dreiteiliges Bewerbungsverfahren durchlaufen. Die Mülheimerin ist da zuversichtlich: „Wenn ich da reinkomme, würde ich im September mit dem dualen Studium anfangen. Ein spannender Weg.“ Politisch organisiert ist sie in der Jungen Union, aber ausdrücklich kein CDU-Mitglied: „Der Jugendstadtrat war breit aufgestellt ohne jegliche politische Konkurrenz.“
Der Vater, ihre Klassenlehrerin und eine Schulfreundin waren mit sanfter Überzeugung dafür ausschlaggebend, dass sich Klara aus der Fünten 2018 traute und in den Jugendstadtrat wählen ließ: „Wir waren komplett neu zusammengewürfelt und sind erst einmal für ein Wochenende in Klausur gefahren, um uns zu finden. In der ersten Sitzung bin ich dann zur Vorsitzenden gewählt worden.“ Der Druck war groß, die Erwartungshaltung beängstigend. Doch Klara aus der Fünten hielt den Kopf oben und überzeugte sogar am Rednerpult vor all‘ den erfahrenen Politikern im Stadtrat.
Bürokratie abbauen
Die Hürden des ungewohnten Amtes und die Tücken einer korrekten Sitzungsleitung waren schnell überwunden: „Anfangs hatten wir keine Ahnung, wie das abläuft. Aber wir bekamen gute Unterstützung von der Verwaltung.“ Dennoch plädiert sie dafür, bürokratische Hürden abzubauen: „In meinem Alter geht es noch nicht um ein langjähriges Engagement. Man sollte uns Jugendlichen Freiraum lassen, Dinge ausarbeiten zu können. Entscheider müssen nicht über die Jugendlichen reden, sondern mit ihnen. Wir wissen doch, was falsch läuft.“ So sei auch letztlich so ziemlich die Luft raus gewesen aus dem Jugendstadtrat.
Das heiße aber bestimmt nicht, dass Jugend politikverdrossen sei: „Es gibt so viele junge Menschen, die mutig nach vorne treten. Man muss der Jugend eine Chance geben.“ Umso schöner, dass nun viel junge Menschen in den Rat eingezogen seien. Für Klara aus der Fünten zumindest jetzt keine Option. Die Ausbildung geht vor.
Autor:Daniel Henschke aus Essen-Werden |
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