Politik stimmt Errichtung des Flüchtlingsdorfes auf dem Kirmesplatz zu
Gedrückt war die Stimmung am Donnerstag im Hauptausschuss, als Sozialdezernent Ulrich Ernst noch einmal die inzwischen dramatische Situation der Stadt schilderte angesichts der steil angestiegenen Zahl der Flüchtlinge, die Mülheim aufnehmen muss. Auf der Tagesordnung stand der Beschluss über die Errichtung eines Flüchtlingsdorfes für 600 Personen auf dem Saarner Kirmesplatz.
Rund 1.200 Flüchtlinge, die Mülheim nach der Erstaufnahme zugewiesen wurden, leben inzwischen in der Ruhrstadt. Und der Anstieg wird bis Ende des Jahres so stark weitergehen. Die Stadtverwaltung rechnet mit bis zu 2.400 Personen, die dann ein Dach über dem Kopf und Versorgung brauchen. Deshalb müssen inzwischen große Wohneinheiten her, denn der Wohnungsmarkt ist ausgereizt.
Hier und da kann die Stadt noch bis zu 100 Menschen in kleineren Einheiten unterbringen, so im kurzfristig von der Gemeinde zur Verfügung gestellten Hildegardis-Haus, in der aufgegebenen Peter-Härtling-Schule oder rund 60 Menschen in dem vom Bistum angebotenen ehemaligen Pastor-Jakob-Haus am Kuhlendahl.
Weitere große Einheiten gesucht
Aber das reicht nicht. „Wir sind im Moment dabei, alle Möglichkeiten in Mülheim zu prüfen, auch für weitere größere Einheiten. Aber wir brauchen auch eine schnelle Lösung“, wirbt Ulrich Ernst bei den Hauptausschussmitgliedern um Verständnis. Vor allem die Hilfsorganisationen DRK und Johanniter Unfallhilfe (JUH), die die Versorgung und Verpflegung der Flüchtlinge auch weiterhin übernehmen, stoßen personell und logistisch an ihre Grenzen. „Deshalb können wir nicht zehn oder zwölf dezentrale, kleinere Einheiten aufbauen, sondern brauchen zentrale Unterkünfte.“
Eine Mehrheit der Ratsmitglieder stimmte der Einrichtung des Flüchtlingsdorfes in Saarn zu. Wenn manche auch mit Bauchschmerzen, aber wissend, dass die Stadt zurzeit keine Alternative hat. „Es wäre schön, wenn man zusieht, dass vom Dorf Saarn ein wenig der Druck genommen wird“, bat Ramona Baßfeld (CDU) mit Blick auf bald 800 Flüchtlinge in Saarn. Andere Ratsmitglieder betonten, dass auch die Stadtteile südlich der Ruhr diese Belastung nun mitttragen müssten, die vorher mehr auf die nördlichen Stadtteile verteilt war. Man sei in diesem Falle aber tatsächlich alternativlos, erklärt der Sozialdzernent. „Es geht darum, Zustände wie in Ungarn oder München zu verhindern: dass Menschen unter freiem Himmel campieren müssen.“
Anwohnerinformation zu jedem Standort
Der Stadtverordnete Cevat Bicici betonte nachdrücklich: „Es ist unsere vorderste Pflicht, diesen Menschen zu helfen.“ Das unterstrich auch die Stadtspitze. Die Sorgen der Anwohner, so Ulrich Ernst, nehme man sehr ernst. Deshalb gebe es zu jedem Standort, an dem Flüchtlinge untergebracht werden, auch eine Anwohnerinformation - so zeitnah, wie es eben nur gehe. Für die Stadtverwaltung gab es auch viel Lob in der Sitzung für ihre Arbeit in der Krise. Gerade bei der Bereitstellung der Lehnerhalle, wo innerhalb von 24 Stunden 80 Flüchtlinge zur Erstaufnahme aufgenommen werden mussten - zusätzlich zu den über den Verteilungsschlüssel nach Mülheim zugewiesene Menschen.
Überlegungen zu Errichtung einer Erstaufnahmestelle
Hier verhandelt die Stadt noch mit dem Land. Das hatte bereits letzte Woche angekündigt, dass Mülheim weitere 300 Flüchtlinge zur Erstaufnahme in Notunterkünfte bekommen soll. Dafür wurde die Zahl in der Lehnerstraße auf 150 Menschen aufgestockt, zusätzlich wurde in dieser Woche die Halle in der Ernst-Tommes Straße in Saarn vorbereitet. Hier werden voraussichtlich ab kommende Woche weitere 50 Menschen ankommen.
Um zu verhindern, dass weitere Turnhallen zu Notunterkünften umfunktioniert werden müssen, überlegt nun die Stadt, eine Erstaufnahmestelle des Landes in Mülheim aufzubauen, die längerfristig Bestand hat. Aber nur, wenn das Land im Gegenzug die dann dort aufzunehmenden Flüchtlinge auf die Mülheimer Quote anrechnet. „Das muss aber transparent nachvollziehbar sein für die Stadt. Das kann man im Moment noch nicht“, erklärt Ulrich Ernst. Der Vorteil: Für erstaufgenommene Flüchtlinge erstattet das Land im Gegensatz zu Flüchtlingen aus der Regelzuweisung die vollen Kosten.
Container kosten insgesamt rund neun Millionen Euro
Bei der Finanzierung fanden denn auch die Lokalpolitiker klare Worte: Land und Bund müssten endlich Lösungen finden, denn die Städte seien überfordert. „Asylrecht ist Bundesrecht, und deshalb müsste der Bund auch bezahlen, das muss der Städtetag deutlich machen“, fordert Jochen Hartmann. Das, bemerkt Dagmar Mühlenfeld, sei seit zwei Jahren ständig Thema im Städtetag, aber Berlin habe den Weckruf wohl immer noch nicht ganz gehört. Auch Kämmerer Uwe Bonan glaubt, dass man im Land mehr damit beschäftigt sei, die Flüchtlinge irgendwie unterzubringen. als sich über die Konsequenzen für die Kommunen Gedanken zu machen.
Da sind zum Beispiel die Investitionen. Drei Millionen Euro wird das Flüchtlingsdorf kosten. Weitere sechs Millionen zusätzlich die mobilen Wohneinheiten für bis zu 1000 Menschen. „Dafür müssen wir die vorgeschrieben Nettoneuverschuldungslinie überschreiten dürfen“, fordert Bonan.
Für die Kirmes, erklärte OB Dagmar Mühlenfeld auf Nachfrage, sei man mit dem Schaustellerverband auf der Suche nach einer Ersatzfläche.
Stadt braucht Container für mindestens 1000 Menschen
Da der Markt jetzt bereits leer gefegt ist, muss die Stadt schnell handeln. Und so beauftragte der Hauptausschuss die Verwaltung ebenfalls, mobile Wohneinheiten für bis zu 1000 Menschen zu besorgen, die 2016 genutzt werden können. Im November will Ulrich Ernst ein Konzept vorlegen mit zehn bis zwölf weiteren Container-Standorten, die die Politik dann diskutieren und entscheiden kann. Bis dahin sieht sich Ernst an politische Entscheidungen gebunden, die zum Beispiel weitere Flüchtlingsunterkünfte in Styrum untersagen, weil der Stadtteil bereits sehr belastet ist.
Infoabende zu Unterkünfte für Flüchtlinge
Peter-Härtling-Schule:
Voraussichtlich im Oktober sollen Flüchtlinge im Schulgebäude der früheren Peter-Härtling-Schule am Wenderfeld untergebracht werden. Dazu findet am Mittwoch, 9. September, um 19 Uhr eine Informationsveranstaltung für Anwohner und Interessierte in der Schule am Hexbachtal, Borbecker Straße 86 – 92, statt.
Flüchtlingsdorf Saarn:
Die Stadt wird auf dem Kirmesplatz an der Mintarder Straße ein Flüchtlingsdorf für bis zu 600 Personen errichten, die in Zusammenarbeit mit den Hilfsorganisationen DRK und JUH betreut und versorgt werden. Die Stadtverwaltung lädt Anwohner und Interessierte am Dienstag, 15. September, um 19 Uhr zu einer Informationsveranstaltung in die Harbecke-Sporthalle, Mintarder Straße 45, ein, um vor Ort zu informieren.
Pastor-Jakobs-Haus:
Das Bistum Essen hat das ehemalige Pastor-Jakob-Haus für die Unterbringung von rund 60 Menschen Menschen zur Verfügung gestellt. Noch bevor die ersten Menschen dort in Kürze einziehen, informiert die Stadtverwaltung Interessierte bei einer Informationsveranstaltung am Freitag, 11. September, um 19 Uhr in die Aula der Luisenschule, An den Buchen 36.
Im Rahmenen der Veranstaltungen wird es Gelegenheit für Fragen und Anregungen geben. Wer vorab Kontakt zur Stadtverwaltung aufnehmen möchte, kann das auf diesem Weg tun: Tel. 0208 / 455 5401 oder dezernat5@muelheim-ruhr.de.
Autor:Regina Tempel aus Mülheim an der Ruhr |
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