Niemals geht man so ganz - Die scheidende Mülheimer Oberbürgermeisterin Dagmar Mühlenfeld im Interview
Wenn in der kommenden Woche am 21. Oktober mit Ulrich Scholten (SPD) der neue Oberbürgermeister in sein Amt eingeführt wird, dann endet gleichzeitig auch die zwölfjährige Ära von Dagmar Mühlenfeld (SPD) als erster hauptamliche weiblicher Oberbürgermeisterin.
Was waren ihre größten Erfolge, größten Niederlagen?
Dagmar Mühlenfeld: „Die Frage ist schwer zu beantworten, denn etwas zu nennen bedeutet automatisch, alles Andere zurückzusetzen. Daher möchte ich es anders versuchen. Als ich mein Amt antrat, sah ich beim Blick aus meinem damaligen Arbeitszimmer unter mir eine vierspurige stark befahrene Straße und die traurigen Reste einer kleinen Grünanlage, die vom Großteil der Mülheimer und Mülheimerinnen gemieden wurde. Heute sehe ich auf ein neues Stück Mülheim, an dem die Menschen endlich erleben und genießen können, was unsere Stadt ausmacht, nämlich den Fluss in ihrer Mitte. Ich sehe Fußgänger, Radfahrer, Gastronomiebesucher, Junge, Alte, Kinder, sehe zu allen Tageszeiten Menschen, die ihre Stadt an diesem neu gestalteten Ort erleben und genießen.
Und ich schaue heute aus einem Rathaus, das die Mülheimer zwar immer schon geliebt haben, auf das sie jetzt aber wieder stolz sein können, weil es als ein wichtiges Wahrzeichen der Stadt erhalten und sehr schön hergerichtet wurde.
Neue Orte, um ihre Stadt neu erleben zu können, davon haben die Mülheimer und Mülheimerinnen übrigens Etliche bekommen: Im neuen Medienhaus kann man viel mehr als Bücher und Medien ausleihen, es ist ein Ort zum Musikhören oder um Vorträgen zu lauschen oder in Ausstellungen von Kindern Geschaffenes zu bewundern. Gleiches gilt für die Camera Obscura, als weltweit ausstrahlendem Museum zur Vorgeschichte des Films.
"Wir haben viele neue Orte geschaffen, um die Stadt neu erleben zu können."
Die scheidende Oberbürgermeisterin Dagmar Mühlenfeld
Als ich Dank des Votums der Mülheimerinnen und Mülheimer meinen Arbeitsplatz von der Luisenschule ins Rathaus verlegen durfte, waren in meiner Schule viele Räume im Kellergeschoss wegen Schimmelpilzbefall nicht benutzbar, in vielen Klassenräumen die Fenster nicht zu öffnen, die Pavillons kaum beheizbar oder nicht belüftbar. Und was ich hier schildere, galt nicht nur für die Luisenschule!
Wenn ich heute durch die Stadt fahre, sehe ich überall die Erfolge der großen Anstrengungen und der 168 Millionen Euro Investitionen, die dafür in unseren Schulen und Kindertageseinrichtungen aufgewendet wurden. Und die Eltern wie auch alle Schulen, und Kitas wissen: Es gibt einen Plan, nach dem alle drankommen. Und sie wissen, dass der verlässlich finanziert ist. Ich bin sehr stolz darauf, dass wir das erreicht haben. Und ich erinnere mich noch genau, wie ich 2003 belächelt worden bin, als ich gesagt habe, Mülheim solle zu einem führenden Bildungsstandort in der Region werden. Heute sind wir Hochschulstadt, und schon sehen wir mehr junge Gesichter in der Stadt. Und das neue republikweit begehrte MPI für Chemische Energie Conversion ist nach Mülheim gekommen, nicht nach Stuttgart oder Dortmund!
"Die Stadt ist attraktiver, vielfältiger und lebendiger geworden."
Die scheidende Oberbürgermeisterin Dagmar Mühlenfeld
Die Stadt ist attraktiver, vielfältiger und lebendiger geworden. Zu erleben auch in der RWE-Halle - und das nicht nur bei der medl-Nacht der Sieger - und in der Harbecke-Halle, wenn die Mülheimer Vereine zeigen, was sie leisten können, wenn sie nur die richtigen Rahmenbedingungen bekommen. Das gilt drinnen wie draußen, denn auch die schon weit fortgeschrittene Umrüstung auf Kunstrasenplätze trägt zu diesem Mehr an Attraktivität, Erlebbarkeit und Vielfalt bei. Auch 2003 war Wohnen in Mülheim bereits begehrt, aber seitdem ist es gelungen, weit mehr junge Familien ein Verbleiben in unserer Stadt als guten Lebensort zu ermöglichen: Weil es ein 100-Häuser-Programm gibt, aber auch, weil die Steigerung der Lebensqualität mehr ist, als viele schöne Orte in der Stadt zu haben, die allen zugänglich sind. Dazu gehören nämlich solche Grundsatzentscheidungen wie die Vorfahrt für Bildung in jeglicher Form. Und dazu gehört das U-25-Haus: Jugendarbeitslosigkeit um ein Prozent in Mülheim, in NRW um fünf Prozent. Das ist auch eine wichtige Voraussetzung für die wirtschaftliche Stärke unserer Stadt. Immerhin haben sich hier neue und innovative Unternehmen angesiedelt, andere ihre Internationalen Konzernzentralen errichtet oder wollen hier wachsen. Auch die Entwicklung des „Centrums für bürgerschaftliches Engagement CBE)“ als eine führende Einrichtung in der Republik, den Jugendstadtrat, aber auch die Bürgeragentur gehören in die Liste der Dinge, die mir ganz wichtig waren und sind. Und vieles mehr, aber das würde den Rahmen sprengen. Als Niederlage betrachte ich den Verlust der Zukunftsschule.
Gibt es einen Tag in Ihrer Amtszeit, der Ihnen bis heute unvergesslich ist und wenn ja, warum?
„Das sind so viele, die kann ich nicht aufzählen. Mit Sicherheit aber der erste Tag im Amt, weil alles neu war.“
Gibt es ein Projekt, eine Entscheidung, die sie anders treffen/angehen würden?
„Nein.“
Hätte man eher gegen die Verschuldung angehen müssen und vor allem im Nahverkehr viel früher investieren oder komplett andere Wege gehen müssen?
„Die Frage ist falsch gestellt, weil man die Verschuldung der Stadt nicht fahrlässig zugelassen hat und weil die Verschuldung im Kernhaushalt nicht mit dem Defizit im ÖPNV in einen Topf geworfen werden kann. Der aufwachsenden Verschuldung (deren Ursachen haben wir im Aktionsbündnis seit 2009 erklärt!!) sind wir seit 2008 kontinuierlich entgegengetreten, indem wir Haushaltssicherungskonzepte erstellt und Sparmaßnahmen durchgeführt haben. Leider sind mehrere von der Politik kassiert worden. Dem Thema Kostenreduzierung im ÖPNV wurde 2003 mit meoline und dann mit via ein Konzept entgegengesetzt. Beide erwiesen sich nicht als so erfolgreich wie erhofft. Dafür gibt es jedoch viele Gründe, die nicht ausschließlich durch Mülheim beeinflussbar waren und sind.“
"Der aufwachsenden Verschuldung sind wir seit 2008 entgegengetreten."
Die scheidende Oberbürgermeisterin Dagmar Mühlenfeld
Was wird aus ihren Mandaten RWE-Aufsichtsratsmitglied, seit 25. April 2013 Stellvertreterin des Präsidenten des Deutschen Städtetages, Mitglied der deutschen Delegation im Ausschuss der Regionen sowie stellvertretende Versammlungsleiterin der Vollversammlung des Regionalverbandes Ruhr. Üben Sie diese bis zum Ende der jeweiligen Amtsperiode aus oder geben Sie diese vorher ab?
„Das Mandat im RWE Aufsichtsrat ist kein kommunales Mandat. Man wird von der Hauptversammlung in den AR gewählt. Alle anderen Mandate enden mit dem Ausscheiden aus dem Amt und fallen an die Institutionen zurück, die über die Besetzung entscheiden.“
Bleiben Sie weiter politisch engagiert oder ziehen Sie sich komplett zurück?
„Ich bleibe politisch engagiert und aktiv. Allerdings werde ich die Kreise meines Amtsnachfolgers nicht stören - versprochen.“
"Ich werde die Kreise meines Amtsnachfolgers nicht stören. Versprochen."
Die scheidende Oberbürgermeisterin Dagmar Mühlenfeld
Was planen Sie für die nahe Zukunft? Mehr Zeit für Reisen, Hobbys, Familie?
„Dies und anderes, wir haben vieles vor, aber das bleibt Privatsache.“
Was sind die Eigenschaften, die man als OB braucht?
„Gestaltungswillen, Ausdauer, Disziplin, aber auch Gelassenheit und vor allem eine gute Portion Humor. Ohne den geht es ganz sicher nicht. Und man sollte vor allem sehr gerne mit Menschen zu tun haben.“
Welchen Rat würden Sie dem neuen OB Ulrich Scholten mit auf den Weg geben?
„Wenn er mich fragt, sage ich es ihm persönlich.“
Autor:Sven Krause aus Mülheim an der Ruhr |
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