Ärger unter den Fraktionen
Musste Vollbesetzung im Rat sein?
Selten gab es so viel Ärger im Vorfeld einer Mülheimer Ratssitzung. Ein volles Plenum in Corona-Zeiten? Muss das sein? Was für ein Signal geht damit an die Bevölkerung?
Doch das Gesetz fordert entsprechende Präsenzveranstaltungen. Es hätte zwar die Möglichkeit einer drastischen Reduzierung der Zahl der Anwesenden gegeben, also eine Ratssitzung, an der je Fraktion nur je ein Drittel der Stadtverordneten teilnimmt. Es wurde kolportiert, diese Drittel-Lösung sei an dem Veto der drei Einzelstadtverordneten Cevat Bicici, Andrea Mobini und Ramona Baßfeld gescheitert.
Auch war angedacht worden, die Ratssitzung durch eine Hauptausschusssitzung am selben Tag zu ersetzen. Im Ältestenrat hatte es auch eine breite Zustimmung gegeben. Doch es war unklar geblieben, ob bei einer Delegation auf den Hauptausschuss eine erneute Einladung mit Einhaltung der Ladungsfrist entsprechend § 2 der Geschäftsordnung des Rates erfolgen müsse. Eine hausinterne juristische Prüfung konnte nicht alle Bedenken ausräumen. Um jegliche rechtliche Zweifel auszuschließen am Zustandekommen der zu beschließenden Gebührensatzungen, hatte Oberbürgermeister Marc Buchholz daher entschieden, die Sitzung mit allen Ratsmitgliedern durchzuführen.
Große Sorge
Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. CDU und Bündnis 90/Die Grünen reagierten mit großer Sorge auf die Einberufung des Rates in kompletter Stärke. Schon alleine das Signal an die Bevölkerung sei in der angespannten Lage ausgesprochen unglücklich. Man könne nicht das gesamte öffentliche Leben herunterfahren und als Politik sich so wichtig nehmen und dann „Business as usual“ betreiben. Wegen des Infektionsrisikos würden die Fraktionen auch nicht in kompletter Stärke an der Sitzung teilnehmen. Tim Giesbert, Fraktionschef der Grünen, und Christina Küsters, Fraktionsvorsitzende der CDU, bedauern es, dass keine pragmatische Lösung zustande gekommen sei. Beide Fraktionen hatten sich für die von Stadtdirektor Frank Steinfort angebotenen Alternativen offen gezeigt. „Dass eine Übertragung der Ratsangelegenheiten auf den Hauptausschuss aus rechtlichen Bedenken gescheitert ist, erscheint zwar nachvollziehbar, ist aber sehr unglücklich und ärgerlich“, so Giesbert und Küsters. Doch für CDU und Grüne wäre auch eine Sitzung des Hauptausschusses in der kommenden Woche in Betracht gekommen.
Kleinkariert
Für die SPD-Fraktion kritisierte Margarete Wietelmann die Entscheidung. Unter anderem die Weigerung der AfD-Fraktion, einer Drittellösung zuzustimmen, sowie anschließend von einzelnen Stadtverordneten vorgebrachte formaljuristische Bedenken hinsichtlich der nicht rechtskonformen Ladungsfrist bei Abhaltung einer Hauptausschusssitzung hätten diese sinnvollen und der kritischen Infektionslage angemessenen Alternativvorschläge zunichte gemacht. Sascha Jurczyk ergänzte: „An einem Tag, an dem die Medien in Mülheim vermelden, dass auf den Intensivstationen der örtlichen Krankenhäuser kaum noch ein freies Bett verfügbar ist, findet wegen des kleinkarierten Formalismus einiger Ratsmitglieder nun eine Sitzung mit weit mehr Personen statt, als es für die anstehenden Entscheidungen bräuchte und angesichts der Infektionslage eigentlich vertretbar ist.“ Der Oberbürgermeister habe davor zurückgescheut, den nach Auffassung der eigenen Verwaltung rechtssicheren Weg dann auch tatsächlich zu beschreiten.
Die PARTEI-Ratsgruppe reagierte mit einem Boykott. Die Stadtverordneten Sonja Strahl und Dominik Meßink erklärten: „Leider wurde im Vorfeld keine andere Lösung gefunden. Wir halten dies angesichts der aktuellen Corona-Lage für ziemlich uncool und haben uns daher entschieden, der Sitzung fernzubleiben. Die ganze Stadt befindet sich im Lockdown und die Stadtverordneten gehen nicht mit gutem Beispiel voran und reduzieren unnötige Kontakte.“
Keine VHS
In der Sitzung selbst sprach Oberbürgermeister Marc Buchholz von ganz besonderen Umständen und betonte: „Auch ich hätte mir andere Bedingungen gewünscht. Letztendlich habe ich mich entschlossen, eine rechtssichere Gremienführung zu veranlassen.“ Man wolle sich aber kurz fassen. So wurden etliche Vorlagen und Anträge zurück gezogen, OB Buchholz überwachte mit der Stoppuhr die Zeiten bis zur nächsten Lüftung und die Dauer der Redenbeiträge. In rund zwei Stunden war die Sitzung beendet, und zwar ohne den sich sonst anschließenden parlamentarischen Abend zum Jahresausklang mit gemütlichem Beisammensein.
Gar nicht auf der Tagesordnung fanden sich übrigens Maßnahmen zur Umsetzung des erfolgreichen Bürgerentscheides zur Erhaltung der VHS an der Bergstraße. Die Bürgerinitiative „Erhalt unserer VHS in der MüGa“ sieht darin einen besonderen Präzedenzfall, wie demokratische Regeln von denjenigen unterlaufen würden, die sie einzuhalten gesetzlich verpflichtet seien. Es handele sich um eine äußerst gefährliche Verletzung demokratischer Grundsätze. Alle Versuche, die Verwaltung zu einer neutralen und kooperativen Haltung bei der Umsetzung des Bürgerentscheids zu veranlassen, seien bislang abgeblockt worden. Da Versammlungen oder Demonstrationen unter den augenblicklichen hygienischen Bedingungen problematisch erscheinen, habe man sich entschlossen, auf der großen Eingangstreppe zur VHS mit einer Kerzenlichtkette und Transparenten in einer Art Mahnwache daran zu erinnern, dass der Bürgerentscheid auf eine Lösung warte.
Autor:Daniel Henschke aus Essen-Werden |
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