Bewertungsmatrix für Gewerbeflächen sorgt für Wirbel
Minus- und Pluspunkte

Planungsdezernent Peter Vermeulen (r.) und Wirtschaftsförderer Hendrik Dönnebrink (l.) sind uneins. 
Foto: PR-Foto Köhring/ AK
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  • Planungsdezernent Peter Vermeulen (r.) und Wirtschaftsförderer Hendrik Dönnebrink (l.) sind uneins.
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Der ohnehin scharf geführte Streit um Gewerbeflächen in Mülheim hat eine neue Stufe erklommen. Die FDP schießt gegen Planungsdezernenten Peter Vermeulen, die Grünen gegen die SPD. Von bleibendem Misstrauen war die Rede.

Eigentlich ist alles Verschlussache. Der Wirtschaftsausschuss soll erst am 31. August eine Bewertungsmatrix auf ihre Realitäts-Tauglichkeit bewerten. Die Verwaltung hatte ein differenziertes Punktesystem vorgelegt, mit dem brachliegende und neue Gewerbeflächen zu vergleichen wären. Die Politik soll ein Werkzeug in die Hand bekommen, um sich entscheiden zu können. Dies soll allerdings öffentlich erst nach den Kommunalwahlen passieren. Doch das mit der Diskretion scheint nicht so Sache der Handelnden. Erste Fakten sickerten durch: Ein gutes Dutzend an Kriterien soll berücksichtigt werden, die verschieden gewichtet werden. Jede einzelne in Frage kommende Fläche wird mit Punkten bewertet. Pluspunkte gibt es für eine gut für Gewerbenutzung entwickelbare Grundsituation, ebenfalls für nicht durch Vorbelastungen wie etwa Bergbau oder Altlasten gehandicapte Flächen. Minuspunkte gibt es für Konflikte mit Regionalen Grünzügen und Landschaftsschutzgebieten oder mit einem stadtklimatischen Faktor, zum Beispiel als Frischluftschneise für die Innenstadt. Weitere negativ gewertete Aspekte könnten Bodenqualität, das Landschaftsbild, Restriktionen aus Wasserrecht und Entwässerung, der Immissionsschutz oder die Verkehrsanbindung sein. Sollte eine Fläche nach der Bewertung eine negative Punktzahl aufweisen, sieht die Stadtverwaltung keine Chance für eine Entwicklung.

Kommando zurück

Der Wirtschaftsausschuss hatte sich im Januar diesem Thema gewidmet. Wirtschaftsförderer Hendrik Dönnebrink möchte Gewerbesteuern kreieren und hatte dafür mögliche Flächen ins Gespräch gebracht, die aber reflexartige Reaktionen provozierten. Alte und neu gegründete Bürgerinitiativen machten mächtig Dampf, wovon die Politik nicht unbeeindruckt blieb. Auch hatte es offensichtlich keine Absprache mit dem zuständigen Planungsdezernenten gegeben. So sprang auch Peter Vermeulen auf den Zug derjenigen, die den Dönnebrink-Vorschlag heftig kritisierten. Es hieß also „Kommando zurück“ und mit Gegenstimmen der Grünen wurde ein Prüfauftrag zum viel diskutierten Wirtschaftsflächenkonzept erteilt. Ein halbes Jahr später wurden Ergebnisse präsentiert. Die Verwaltung hatte offenbar bis zum letzten Moment um Kriterien und deren Gewichtung gestritten. Nur so ist es zu erklären, dass aus dem Haus des Planungsdezernenten Vermeulen plötzlich eine Bewertungsmatrix kam, die einer tags zuvor präsentierten nur in Teilen ähnelte. Ein Versehen?

„Wumms für die Stadt“

Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. Die Entwicklung von privaten Brachflächen, Flächenrecycling sowie die Innenraumverdichtung haben für die SPD weiter Vorrang. Deren Vorsitzender Rodion Bakum sprach von einem „Wumms für Wirtschaft und Stadtfinanzen“ und stellte fest: „Wir haben Klarheit. Selbeck, Flughafen Nord und -Süd, Oberheidstraße und Blücherstraße sind die Zukunftsflächen für unsere Stadt.“ Das Zukunftsziel seien 128 Hektar mit der höchsten Eignung, die über 5.000 neue Arbeitsplätze und jährlich 10 Millionen Euro Gewerbesteuereinnahmen bedeuteten. Eine Bebauung am Auberg, im Winkhauser Tal und auf dem Fulerumer Feld falle endgültig weg.
Für die Grünen äußerte Tim Giesbert Kritik am Verfahren, insbesondere aber auch an der SPD. Das Misstrauen bleibe, denn die Diskussion um eine Bewertungsmatrix verwässere die Entscheidungsfindung. Die Grüne Fraktion weigere sich, bedrohte Areale gegeneinander auszuspielen: „Für uns ist es indiskutabel, Naturschutz- und Landschaftsschutzgebiete wie in Fulerum, am Auberg, in Selbeck und in Winkhausen zu opfern.“ Dies widerspräche zudem der gerade vom Rat ausgerufenen Klimanotlage. Die Grünen streben eine Entscheidung noch vor der Wahl an und beantragen, fünf der im Konzept aufgeführten Flächen aus der weiteren Prüfung heraus zu nehmen. Dies sind die Areale am Fulerumer Feld, in Winkhausen, am Auberg, am Flughafen-Süd und in Selbeck. Weiter entwickeln könne man hingegen die Fläche Flughafen-Nord.

Voreingenommene Vorlage?

Peter Beitz betonte, seine FDP-Fraktion betrachte die Vorlage als voreingenommen. Die Matrix sei so „optimiert“ worden, dass die kritischen Flächen aus einer weiteren Beurteilung fielen. Das Führungsvakuum in der Mülheimer Verwaltung sei quasi greifbar, denn der zuständige Dezernent Peter Vermeulen habe „zufällig“ interne Berechnungen weitergegeben. Das lasse entweder an der digitalen Kompetenz der Handelnden zweifeln oder aber an einen schweren Verstoß gegen die Regeln zwischen Aufsicht (Rat) und Handlungsebene (Verwaltung) denken. Die FDP-Fraktion bleibe bei ihrer Aussage: „Bevor irgendwelche Grünflächen zugepflastert werde, müssen alle potenziellen Bestandsflächen geprüft werden.“
Der BAMH sieht die vorgestellte Bewertungsmatrix als ein gelungenes Arbeitsmittel. OB-Kandidat Dr. Martin Fritz stellte fest, in den kommenden sechs Wochen müssten die Parteien ihre Hausaufgaben machen und ihre Vorstellungen einbringen. Die im Entwurf sehr hoch gewichtete Relevanz von klimatologischen Kriterien lasse Gebiete wie das Fulerumer Feld zunächst für eine Nutzung als Gewerbefläche nicht in Frage kommen.

Brachflächen nutzen

Das fand auch die MBI: „Bei fast allen Vorschlägen handelte es sich um wenig wirklich umsetzbare Projekte. Viel sinnvoller und zukunftsweisender wird die Konzentration auf die vielen Brachflächen oder untergenutzten Gewerbeflächen im Stadtgebiet sein. Wobei zu erwarten ist, dass zu der langen Liste, die wir eingereicht hatten, mit der Krise noch einige dazu kommen werden.“
Für den OB-Kandidaten Jochen Hartmann ist klar, dass die Nutzung und gegebenenfalls Aufbereitung vorhandener Brachflächen Vorrang vor „neuerlichem Flächenfraß“ habe. Hierzu seien noch Gespräche mit privaten Grundstückseigentümern zu führen: „Das allein wird auf der Zeitachse allerdings wohl nicht ausreichen. Folglich müssen auch neue Flächen erschlossen werden. Hier ist allerdings ein strenger Abwägungsprozess in die Wege zu leiten.“
Die SPD Heißen/Heimaterde hatte mit einem Facebook-Post für Wirbel gesorgt. Der Ortsvereinsvorsitzende Daniel Mühlenfeld zeigte sich dort erleichtert: „Gerade aus klimatologischen Aspekten kommt eine Versiegelung des Fulerumer Feldes nicht in Frage.“ Das sei noch lange nicht gesichert und dieser falsche Eindruck schade ihrer Arbeit, konterte die dortige Bürgerinitiative. Deren Sprecher Florian Scheffler unkte: „Es darf nicht passieren, dass heute Versprechungen gemacht werden, von denen nach der Wahl in einem neu zusammengesetzten Rat keiner mehr etwas wissen möchte.“

Planungsdezernent Peter Vermeulen (r.) und Wirtschaftsförderer Hendrik Dönnebrink (l.) sind uneins. 
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Beim Wirtschaftsauschuss im Januar äußerten viele Bürgerinitiativen ihren Protest.
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Autor:

Daniel Henschke aus Essen-Werden

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