Garnison Mülheim

Kaum ein Mülheimer, besonders nicht die jüngere Generation weiß, dass Mülheim an der Ruhr einst Garnisonsstadt war. Zwischen 1897 und 1899 wurde das 8. Lothringische Infanterie - Regiment 159 aufgestellt. Unter Zustimmung des Kriegsministers begann im Auftrag des damaligen Mülheimer Oberbürgermeisters Karl von Bock und Polach der Bau der Kaserne auf Höhe der Kaiserstraße. 1899 wurden die Arbeiten abgeschlossen und das Regiment in einer Stärke von zwei Bataillonen aus Düsseldorf und Wesel zusammengestellt. Der dazugehörige Standortübungsplatz befand sich am Oemberg in Saarn.
Teile des Regiments waren entsprechend dem Geist einer militaristischen Gesellschaft der Kaiserzeit an den Kolonialkriegen des Deutschen Kaiserreichs beteiligt, sowie im Gesamten ab 1914 an großen Schlachten wie Verdun an der Westfront.
Nach dem 1. Weltkrieg wurde das Regiment aufgelöst. Im 2. Weltkrieg wurde die Kaserne von der Wehrmacht genutzt. Nach dem Krieg befanden sich in den Gebäuden meist zivile Verwaltungen, bis das Gelände in den 70er Jahren rückgebaut und umfunktioniert wurde. Heute befinden sich dort primär Hochhäuser und das Südbad.
Die in den 30er Jahren gebaute Pionierkaserne (das Areal befindet sich heute rund um den William Shakespeare Ring), die Aufgrund der alliierten Nutzung nach dem Krieg bei den Einheimischen besser bekannt als „Engländer-Kasernen“ ist, wurde später zur Wohnsiedlung ausgebaut.
Mülheim an der Ruhr verlor somit den Status Garnisonsstadt.
Die Bundeswehr konnte die vorhandenen Strukturen nie für sich nutzen. Dass das Militär mit den Jahrzehnten durch die Entwicklung der Weltkriege aus den Innenstädten rausgedrängt wurde hat verschiedene Gründe. Zum Einem der jeweilige Bedarf der Armeen, zum Anderen der Zeitgeist der Gesellschaft und ihrer Politik, sowie die technische Weiterentwicklung, die schweres Gerät in Innenstädten zur Belastung für die Infrastruktur machte.
Heute gibt es nur noch auf der Dimbeck in Holthausen Reste des Regiment-Lazaretts zu sehen. Alle anderen historischen Gebäude wurden mit der üblichen Kurzsichtigkeit nicht erhalten, sondern abgerissen.
Das Militär wurde bis heute aus dem Ruhrgebiet nahezu komplett rausgedrängt. Die ehemaligen Flak Kasernen der Wehrmacht in Essen Kray und Kupferdreh wurden später von der Bundeswehr z.B. als Fernmeldebataillon genutzt. Der Standortübungsplatz dazu befand sich am Auberg in Saarn. Aber auch diese sind schon seit Ende der 90er Jahre aufgelöst. Abgesehen von bspw. der Glück – Auf Kaserne in Unna ist das Revier nahezu Soldaten frei.
So manche linke Kräfte im Land freut dies. Es ist aber auch ein Sinnbild für maximale Kurzsichtigkeit von Menschen, die stets alle Rechte in einer Demokratie genießen, aber nur seltenst die Pflichten berücksichtigen, die ein Leben in der Gemeinschaft eines Staates erfordern. Es mangelt an Verständnis für Sicherheitspolitik und staatliche Strukturen, die mit Hilfe der Bundeswehr nicht nur die Souveränität der Bundesrepublik darstellen, sondern auch durch ihre Präsens im Inneren zur Resilienz der freiheitlich demokratischen Grundordnung beitragen. Die Abschaffung der Wehrpflicht hat dafür gesorgt, dass auch die Bahnhöfe frei von Soldaten sind. Die immer wieder auftretenden Anfeindungen gegen Uniformträger in der Öffentlichkeit haben viele Kameraden resignieren lassen. Man zieht sich nach dem Dienst lieber um und fährt zivil im privaten Pkw, um sich im freien Raum nicht von Einzelnen anspucken & beschimpfen lassen zu müssen, oder sich in Endlos-Diskussionen mit halbstarken, aber vor allem ahnungslosen Leuten über das Engagement im Ausland oder Gewalt im Allgemeinen zu verfangen. Anders als man das versucht darzustellen, verliert die Armee immer mehr den direkten Kontakt zur Gesellschaft und den Bürgern. Dabei ist genau das für den Staat und die Demokratie gefährlich.
Dies geht oftmals nicht von der Bundeswehr aus, die im Inneren eine durchaus sehr starke demokratische Grundeinstellung und damit hohe Relevanz für die staatlichen Säulen hat, sondern von Teilen der Bürger, die außerhalb dieser Organisation stehen und auf diese einwirken.
Andere Städte in anderen Bundesländern wie Koblenz und Dresden haben stets für ihren Standort als Garnison geworben und gekämpft. Diese profitieren heute davon ungemein. Denn die ansässigen Soldaten (oft mit ihren Familien) sind durch gute Einkommen finanzstark und bringen einen wesentlichen Wirtschaftsfaktor mit, sowie aber auch reichhaltige Kultur. Dies äußert sich nicht nur durch die Nutzung von historischen Bauten aus der wilhelminischen Epoche, die für das Straßenbild weit aus attraktiver sind als Plattenbauten oder Mietshochhäuser, sondern auch durch Paraden oder Klassikkonzerte des Heeresmusikdienstes. Hinzu kommt die ein oder andere einheitsinterne Feier in den Gaststädten und Restaurants vorort. In Kleinstädten mit Kaserne wie z.B. in Bayern ist dies heute selbstverständlich und ohne nicht mehr vorstellbar.
Auch wenn es vereinzelt immer politische Gegner geben wird, ist die Bundeswehr bei vielen Bürgern durch aus geschätzt. Genauso wie einst die Soldaten des 8. Lothringischen Infanterie - Regiments 159 sich bei den Mülheimern ausgesprochener Beliebtheit erfreuten, könnten sich auch Soldaten der Bundeswehr an einer positiven Einstellung der Bevölkerung erfreuen.
Natürlich konnte man vor 50 Jahren nicht jede Entwicklung in der Weltgeschichte vorhersehen. Aber das Argument „von Freunden umzingelt“ zu sein und damit die Unnötigkeit von deutschen Streitkräften zu suggerieren, lässt sich mit dem aktuellen Stand Europas und weltweiten Krisenherden abbügeln.
Dass sich Merkel diese Woche noch für eine Europäische Armee ausgesprochen hat, zeigt, dass die Verzahnung von Einheiten wie die Deutsch - Französische Brigade, oder das Eurokorps immer weiter voranschreitet und ein wichtiger Einigungsprozess zum Wohle der Bevölkerung darstellt. Mülheim als eine Garnison hätte mit der Nähe zur niederländischen Grenze und als ein zentraler Standort im Ruhrgebiet eine Schlüsselposition und große Vorteile. Hier würde sich der Kreis zwischen Armee und Zivilbevölkerung unter Berücksichtigung der Punkte aus Geschichte bzw. Tradition, europäischer Sicherheitspolitik, lokalen Wirtschaftsinteressen, sowie Kultur und Gesellschaft schließen.
Natürlich sind dies nur theoretische Überlegungen an Hand vom Beispiel der einstigen Mülheimer Garnison, aber diese zeigen, dass es strukturelle Defizite in unserem Staat gibt, die eigentlich ein Pluspunkt auf lokaler Ebene sein könnten. Vor allem aber Trägheit, die aus Überfluss und Wohlstand entspringt, lassen die Demokratie in Unachtsamkeit abdriften. Wenn man sieht, dass in Ostdeutschland Neonazi Gruppierungen sich zu hunderten auf den „Straßenkampf“ vorbereiten und in anderen europäischen Ländern die Nationalisten an Zuwachs gewinnen, dann sollten sich auch die linkerern Flügel der Parteien überlegen, ob starke staatliche Strukturen in allen Regionen und Kommunen nicht nur ihre Daseinsberechtigung haben, sondern aktiv gestützt, gestärkt und ausgebaut werden müss(t)en.

Jan Westerwalbesloh

Autor:

Jan Westerwalbesloh aus Mülheim an der Ruhr

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