Integrationsrat lud zur digitalen Sondersitzung
Frank Steinfort: "Ich habe Sie verstanden und fühle mich verstanden!"

Stadtdirektor Frank Steinfort, Leiter des kommunalen Corona-Krisenstabes, stellte sich bei einer Online-Sondersitzung des Integrationsrates der Diskussion. Dieses Archivfoto zeigt ihn bei einer Ratssitzung am 1. September 2020. | Foto: Walter Schernstein
  • Stadtdirektor Frank Steinfort, Leiter des kommunalen Corona-Krisenstabes, stellte sich bei einer Online-Sondersitzung des Integrationsrates der Diskussion. Dieses Archivfoto zeigt ihn bei einer Ratssitzung am 1. September 2020.
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Es ist besser, miteinander zu reden, als übereinander. Das gilt vor allem dann, wenn man ein gemeinsames Problem lösen muss, in diesem Fall die Corona-Pandemie. Deshalb lud der Integrationsrat jetzt zu einer Online-Sondersitzung ein, bei der Vertreter des Integrationsrates, der Stadtverwaltung, des Stadtrates, der Sozialverbände, aus den Zuwanderervereinen sowie aus Kirchen- und Moschee-Gemeinden ihre Positionen austauschten und nach einer gemeinsamen Strategie suchten, um den bevorstehenden Schlussspurt der Corona-Impfkampagne zu einem Erfolg zu machen.

Anlass der zweistündigen Sondersitzung am Dienstagabend (27. April) waren in der Tagespresse veröffentlichte Äußerungen von Stadtdirektor Frank Steinfort, der als Leiter des kommunalen Corona-Krisenstabes, die hohen Infektionszahlen in Styrum und Eppinghofen mit dem dort besonders hohen Bevölkerungsanteil von muslimischen Zuwanderern und deren Fastenbrechen im Ramadan in Verbindung gebracht hatte. Mehr zu den aktuellen Zahlen in den Stadtteilen lesen Sie hier.

Sensibilität unterschätzt

Dazu stellte Steinfort jetzt klar: "Ich habe die Sensibilität der Migranten unterschätzt und muss jetzt damit leben, dass alle mit mir schimpfen. Aber als Leiter des Krisenstabs kann ich die sozialen Probleme und Ungerechtigkeiten in unserer Stadtgesellschaft nicht lösen. Ich muss alles dafür tun, um Leben zu retten und möglichst viele Menschen davon überzeugen, sich impfen zu lassen. Dabei wissen wir schon seit Monaten, dass die Infektionszahlen in den Stadtteilen mit einem hohen Anteil von Zuwanderern besonders hoch sind und dass die Menschen mit einer Zuwanderungsgeschichte mehr als 50 Prozent der Patienten stellen, die mit einem schweren Covid-19-Verlauf in den Mülheimer Krankenhäusern liegen."

Steinfort wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass er bereits im vergangenen Jahr deutlich gemacht habe, dass die Fastenbrechen-Treffen im Ramadan angesichts der Corona-Infektionslage zu einem Problem werden könnten. "Ich habe aber nicht gesagt, dass der Ramadan und die in Mülheim lebenden Muslime Schuld an den hohen Infektionszahlen sind. Ich weiß, dass wir die Ursachen für die örtliche Häufung von Infektionszahlen nicht mit Sicherheit bestimmen können. Wir müssen aber in der jetzigen Krise Zusammenhänge analysieren und dabei Fragen stellen, ohne Tabus aufzubauen. Denn nur dann können wir unsere Probleme lösen."

Pauschalisierung verletzte viele

Bevor Steinfort zu Wort gekommen war, hatte die 2. stellvertretende Vorsitzende des Integrationsrates Medlina Al Ashouri die Position der Zuwanderer deutlich gemacht. Sie sagte in Richtung Steinfort: "Wir wollen nichts vertuschen und wir sind bereit, selbstkritisch mit den vorhandenen Daten umzugehen. Aber Ihre Pauschalisierung hat uns gestört. Wir haben inzwischen schlimme E-Mails erhalten. Es gibt Menschen, die sich jetzt berechtigt fühlen, ihren Hass auf Migranten auszuleben. Wir müssen aber die sozialen Probleme und Ursachen unserer Schwierigkeiten erkennen. Es geht um Menschen, die in Armut und in beengten Wohnverhältnissen leben. Hier geht es um Bildung und Sprache. Wir wissen, dass Sie kein Rassist sind und wissen Ihre Arbeit zu schätzen. Aber Ihre Äußerungen waren fahrlässig und haben zur Stigmatisierung der Zuwanderer beigetragen. Dabei wissen wir, dass es Menschen gibt, die sich unabhängig von ihrer Herkunft, an die Corona-Schutzregeln halten oder es eben nicht tun." Al Ashouri legte in diesem Zusammenhang Zahlen des Robert-Koch-Institutes vor, die belegen, dass die Corona-Infektionszahlen nach dem Beginn des Ramadan 2020 nicht gestiegen, sondern gesunken sind. Außerdem seien die Infektionszahlen nach dem Beginn des Ramadan 2021 in Styrum gegen den Stadt-Trend zurückgegangen. Neben beengten Wohnverhältnissen nannte die Vize-Vorsitzende des Integrationsrates die Tatsache, dass Zuwanderer häufiger in kontaktintensiven Berufen tätig seien, in denen kein Homeoffice möglich sei, als erhöhtes Infektionsrisiko. Außerdem seien Zuwanderer häufiger auf die Nutzung des Öffentlichen Personennahverkehrs angewiesen.

Kontraproduktive Schuld-Debatte

Oberbürgermeister Marc Buchholz versuchte die Wogen zu glätten, in dem er betonte: "Wir sollten uns mit Blick auf Corona-Infektionen vom Schuld-Begriff freimachen. Denn hier geht es tatsächlich um Risiken und Verhaltensweisen. Dies gilt für alle Mülheimer in allen Stadtteilen. Wir sollten jetzt nicht zurückschauen, sondern nach vorne schauen und gemeinsam den Menschen in unserer Stadt die Botschaft vermitteln: 'Impfen rettet Leben.'" Nach einer Kontroverse darüber, wer wann und wie erfolgreich oder wie erfolglos Krisen- und Aufklärungskommunikation zur Corona-Bewältigung geleistet oder nicht geleistet habe, trat die Sondersitzung des Integrationsrates in eine konstruktive Phase der Suche nach Problemlösungsstrategien. 

Vorschläge zur Krisenkommunikation

SPD-Stadträtin Gabi Hawig empfahl eine niederschwellige Kommunikationsstrategie: Informationen zum Infektionsschutz und zur Corona-Impfung, so Hawig, könnten auch in Supermärkten oder an Tankstellen, aber ganz besonders über die Schulen und deren Schüler in die Familien hineingetragen werden. 

"Es wäre gut, wenn die Bundestagskandidaten an ihren Infoständen auch Informationen rund um die Corona-Schutz- und Impfmaßnahmen bereithielten", fand der Vorsitzende des Integrationsrates Hasan Tuncer. Außerdem plädierte er angesichts der jüngsten Erfahrungen für eine verstärkte verwaltungsinterne Fortbildung zur Stärkung der interkulturellen Kompetenz. Tuncer und SPD-Ratsfrau Elke Domann-Jurkiewicz waren sich einig, dass man dem israelischen Beispiel von dezentralen Test,- Impf- und Informationsstellen in den Stadtteilen folgen sollte, um die Corona-Pandemie zügig und effektiv zu besiegen. Gökhan Yesil aus der Ahmadiyya-Gemeinde signalisierte die Bereitschaft, entsprechende Corona-Aufklärung unter den muslimischen Gemeindemitgliedern leisten zu wollen. Medlina Al Ashouri und Diakonin Iris Schmitt aus der Vereinten Evangelischen Kirchengemeinde Mülheim sprachen sich für den verstärkten Einsatz von Ansprechpartnern, Sprachmittlern, Dolmetschern und Dolmetscher-Internetprogrammen aus. Harald Karutz (Professor für Notfall- und Rettungsmanagement) aus dem kommunalen Krisenstab empfahl in diesem Zusammenhang die Ausbildung von Multiplikatoren zu Corona-Coaches. Die Geschäftsführerin der Arbeiterwohlfahrt, Michaela Rosenbaum, sprach sich unter anderem für die Verteilung kostenloser Corona-Schutzmasken aus und bot dem kommunalen Krisenstab und dem Runden Tisch, der ab kommender Woche auf Experten-Ebene die lokale Corona-Strategie besprechen wird, die Unterstützung ihres Sozialverbandes an. Die 1. stellvertretende Vorsitzende des Integrationsrates, Gilberte Raymonde Driesen wies auf die Sprechstunden des Integrationsrates hin und empfahl der Stadtverwaltung, das Fachwissen und die Kontakte der bürgerschaftlichen Netzwerke, wie sie zum Beispiel im Centrum für bürgerschaftliches Engagement zu finden seien, gezielt zu nutzen, um die Stadt möglichst schnell aus der Corona-Pandemie herauszuführen. Nicht nur dieses Unterstützungsangebot notierte sich Stadtdirektor und Krisenstabsleiter Frank Steinfort und schloss mit der versöhnlichen Feststellung: "Ich habe Sie verstanden und fühle mich selbst verstanden und freue mich jetzt auf eine gute Zusammenarbeit, die Leben retten wird."

Zum Integrationsrat

Autor:

Thomas Emons aus Mülheim an der Ruhr

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