Die Pandemie war angekündigt Das sagt ein Schweizer Professor zur Pandemie und den Zahlen in den Medien, Teil 1
Zürich Ein Züricher Medizinprofessor, der auch im chinesischen Wuhan lehrt, hat seine kritischen Gedanken und Analysen zur Viruskrise auf einer kleinen Online-Plattform veröffentlicht. Das Leseinteresse im deutschsprachigen Raum war gewaltig. Ein Gastbeitrag des Herzchirurgen.
Von Paul Robert Vogt
Wieso nehme ich überhaupt zu Sars-CoV-2 (dem Virus) und Covid-19 (der Krankheit) Stellung? Aus fünf Gründen:
Erstens bin ich mit meiner Stiftung „EurAsia Heart – A Swiss Medical Foundation“ seit mehr als 20 Jahren in Asien tätig, habe fast ein Jahr in China gearbeitet und seit 20 Jahren eine kontinuierliche Verbindung zum Union Hospital of Tongji Medical College / Huazhong University of Science and Technology in Wuhan, wo ich eine meiner vier Gastprofessuren in China habe. Die 20-jährige Verbindung zu Wuhan habe ich auch in den jetzigen Zeiten konstant aufrecht-
erhalten können.
Zur Person
Professor Dr. med. Dr. h.c. Paul Robert Vogt (64) ist Herzchirurg an den Hirslanden Kliniken in Zürich und Privatdozent an der Universität Zürich. Im Jahr 2000 wurde er Klinischer Direktor und Chefarzt am Uniklinikum Gießen, es folgten Gastprofessuren an verschiedenen Hochschulen im Ausland, unter anderem in Wuhan (China). Für seine Leistungen in der experimentellen Forschung zu Infektionskrankheiten wurde er mit dem Merck-Sharp-Dohme-Preis ausgezeichnet. 2006 gründete Vogt die Stiftung EurAsia Heart, die Kliniken in Osteuropa, Afrika und Asien chirurgisch unterstützt.
Der hier veröffentlichte Beitrag des Mediziners wurde Anfang April von der kleinen Schweizer Online-Zeitung „Die Mittelländische“ veröffentlicht. Die nationale und internationale Resonanz darauf war enorm. Inzwischen haben fast 400 000 Menschen im deutschsprachigen Raum den Beitrag gelesen.
Zweitens ist Covid-19 nicht nur ein Problem der mechanischen Beatmung, sondern betrifft das Herz in ähnlicher Weise. 30 Prozent aller Patienten, welche die Intensivstation nicht überleben, versterben aus kardialen Gründen.
Drittens ist die letztmögliche Therapie des Lungenversagens eine invasiv-kardiologische, respektive kardiochirurgische: die Verwendung einer ECMO, der Methode der „extrakorporellen Membran-Oxygenation“ (die Verbindung des Patienten mit einer externen, künstlichen Lunge, welche bei diesem Krankheitsbild die Funktion der Lunge des Patienten so lange übernehmen kann, bis diese wieder funktioniert).
Viertens bin ich – ganz einfach – um meine Meinung gefragt worden.
Fünftens sind sowohl das Niveau der medialen Berichterstattung wie auch sehr viele Leser-Kommentare nicht ohne Widerspruch hinzunehmen, und zwar in Bezug auf Fakten, Moral, Rassismus und Eugenik.
Sie benötigen dringend einenWiderspruch durch zuverlässige Daten und Angaben.
Die nachfolgend dargelegten Fakten entstammen wissenschaftlichen Arbeiten, welche ein „Peer-review“-Verfahren – eine wissenschaftliche Prüfung – durchlaufen haben und in den besten medizinischen Zeitschriften publiziert worden sind. Viele dieser Fakten waren bis Ende Februar bekannt. Hätte man diese medizinischen Fakten zur Kenntnis genommen und wäre man fähig gewesen, Ideologie, Politik und Medizin zu trennen, wäre die Schweiz heute mit großer Wahrscheinlichkeit in einer besseren Lage: Wir hätten pro Kopf nicht die zweitmeisten Covid-19-Positiven weltweit und eine bedeutend kleinere Zahl an Menschen, welche ihr Leben im Rahmen dieser Pandemie verloren haben. Zudem hätten wir mit großer Wahrscheinlichkeit keinen partiellen, unvollständigen Lockdown unserer Wirtschaft und keine kontroversen Diskussionen, wie wir hier wieder „herauskommen“.
Die Zahlen in den Medien Es ist verständlich, dass alle das Ausmaß dieser Pandemie auf die eine oder andere Art erfassen möchten. Nur: Die tägliche Rechnerei hilft uns nicht weiter, da wir nicht wissen, wie viele Personen lediglich folgenlos Kontakt mit dem Virus hatten und wie viele Personen tatsächlich krank geworden sind. Die Anzahl asymptomatischer Covid-19-Träger ist wichtig, um belastbare Schätzungen über die Ausbreitung der Pandemie machen zu können. Um brauchbare Daten zu haben, hätte man jedoch zu Beginn der Pandemie breite Massentests durchführen müssen. Heute kann man nur noch vermuten, wie viele Schweizer Kontakt mit dem Virus hatten. Eine bereits am 16. März publizierte Arbeit amerikanisch-chinesischer Autoren berichtete, dass auf 14 dokumentierte Covid-19-positive Personen mit 86 nicht-dokumentierten zu rechnen ist. In der Schweiz kann man deshalb erwarten, dass wohl 15 bis 20 Mal mehr Personen positiv sind als in den täglichen Berechnungen dargestellt.
Um den Schweregrad der Pandemie zu beurteilen, bräuchten wir andere Daten, beispielsweise eine exakte, weltweit gültige Definition der Diagnose „an Covid-19 erkrankt“, die Zahl hospitalisierter Covid-19-Patienten auf der Allgemeinabteilung, auf der Intensivstation, von beatmeten Covid-19-Patienten, von am ECMO angeschlossenen, und schließlich die Zahl an Covid-19 Verstorbenen sowie die infizierter Ärzte und Pflegepersonen. Nur diese Zahlen ergeben ein Bild vom Schweregrad dieser Pandemie, respektive von der Gefährlichkeit dieses Virus. Die aktuelle Anhäufung von Zahlen ist derart ungenau und hat einen Touch von „Sensationspresse“; das ist das letzte, was wir in dieser Situation noch brauchen.
„Eine gewöhnliche Grippe“ Handelt es sich hier nur um „eine gewöhnliche Grippe“, die jedes Jahr vorüberzieht, oder um eine gefährliche Pandemie, welche rigide Maßnahmen benötigt? Um diese Frage zu klären, muss man bestimmt keine Statistiker fragen, die noch nie einen Patienten gesehen haben. Die reine, statistische Beurteilung dieser Pandemie ist sowieso unmoralisch. Fragen muss man die Leute an der Front. Keiner meiner Kollegen – und ich natürlich auch nicht – und niemand vom Pflegepersonal kann sich erinnern, dass in den letzten 30 oder 40 Jahren folgende Zustände herrschten, nämlich dass: ganze Kliniken mit Patienten gefüllt sind, welche alle dieselbe Diagnose bekamen; ganze Intensivstationen mit Patienten gefüllt sind, welche alle dieselbe Diagnose aufweisen; 25 bis 30 Prozent der Pflegenden und der Ärzteschaft genau jene Krankheit auch erwerben, welche jene Patienten haben, die sie betreuen; zu wenig Beatmungs-
geräte zur Verfügung stehen; eine Patientenselektion durchgeführt werden musste, nicht aus medizinischen Gründen, sondern weil wegen der schieren Anzahl an Patienten schlicht das entsprechende Material gefehlt hat; die schwerer erkrankten Patienten alle dasselbe – ein uniformes – Krankheitsbild aufgewiesen haben; die Todesart jener, die auf den Intensivstationen verstorben sind, bei allen dieselbe ist; Medikamente und medizinisches Material auszugehen drohen. Deshalb ist klar, dass es sich um ein gefährliches Virus handelt, das dieser Pandemie zugrunde liegt.
Die Behauptungen, eine Influenza sei genau gleich gefährlich und koste jedes Jahr gleich viele Opfer, ist falsch. Zudem ist die Behauptung, man wisse nicht, wer „an“ und wer „wegen“ Covid-19 sterbe, ebenso aus der Luft gegriffen. Vergleichen wir Influenza und Covid-19, hat man das Gefühl, bei Influenza seien immer alle Patienten „wegen“ Influenza gestorben und nie einer „mit“. Sind wir Mediziner nun alle plötzlich so verblödet, dass wir nicht mehr unterscheiden können, ob jemand „mit“ oder „wegen“ Covid-19 stirbt, wenn diese Patienten eine typische Klinik, typische Laborbefunde und ein typisches Lungen-CT aufweisen?
Zudem: Wenn es in einem Jahr in der Schweiz angeblich 1600 Influenza-Tote gab, so sprechen wir über 1600 Tote über 12 Monate – ohne präventive Maßnahmen. Bei Covid-19 gab es jedoch 600 Tote in einem Monat, und das trotz massiver Gegenmaßnahmen. Radikale Gegenmaßnahmen können die Verbreitung von Covid-19 um 90 Prozent senken. Man kann sich also vorstellen, welches Szenario ohne Gegenmaßnahmen herrschen würde.
Zudem: In einem Monat wurden in der Schweiz über 2200 Patienten wegen Covid-19 hospitalisiert, davon gleichzeitig bis zu 500 auf Intensivstationen. Nie hat jemand von uns auch nur annähernd solche Zustände im Rahmen einer Influenza gesehen. Im Rahmen einer „gewöhnlichen Influenza“ erwerben etwa acht Prozent der Betreuenden ebenfalls eine Influenza, aber niemand stirbt daran. Bei Covid-19 werden 25 bis 30 Prozent der Betreuenden infiziert, und das ist mit einer signifikanten Mortalität verbunden. Dutzende von Ärzten und Pflegepersonen sind an derselben Infektion verstorben.
Zudem: Suchen Sie einmal die harten Zahlen zu Influenza! Sie werden keine finden. Was Sie finden, sind Schätzungen: etwa 1000 oder 1600 in der Schweiz, rund 8000 in Italien, etwa 20 000 in Deutschland. Eine Studie der FDA (US Food and Drug Administration) hat untersucht, wie viele der 48 000 Influenza-Toten eines Jahres in den USA wirklich wegen klassischer Influenza-Pneumonie gestorben sind. Resultat: Alle möglichen Krankheitsbilder wurden unter „Tod durch Pneumonie“ subsummiert, so auch die Lungenentzündung eines Neugeborenen, das bei der Geburt Fruchtwasser in die Lunge aspiriert hat. Die Anzahl der effektiv „wegen Influenza“ verstorbenen Patienten sank in dieser Analyse dramatisch auf weit unter 10 000 ab.
Auch in der Schweiz kennen wir die genaue Anzahl von Patienten nicht, die jährlich an Influenza versterben. Und dies trotz Dutzender massiv überteuerter Datenerfassungs-Systeme; trotz sinnloser Doppel- und Triple-Erfassung der Daten durch Kliniken, Krankenkassen und Gesundheitsdirektionen. Wir können noch nicht einmal exakt die Zahlen von hospitalisierten Influenza-Patienten pro Monat liefern, haben aber Millionen und Milliarden für überteuerte und kontraproduktive IT-Projekte verschwendet.
Aufgrund des aktuellen Wissensstandes kann man insgesamt nicht von einer „gewöhnlichen Grippe“ sprechen. Und deshalb ist die widerstandslose Durchseuchung der Gesellschaft auch kein Rezept – eines, welches Großbritannien, die Niederlande und Schweden versucht, aber bald aufgegeben haben. Aufgrund des aktuellen, mangelhaften Wissensstandes sagen auch die Zahlen des Monats März überhaupt nichts aus. Wir können glimpflich davonkommen oder eine Katastrophe
erleben. Rigide Maßnahmen bewirken, dass die Kurve der Kranken flacher verläuft. Es geht aber nicht nur um die Höhe der Kurve, es geht auch um die Fläche unter der Kurve – und diese repräsentiert am Ende die Zahl der Toten.
„Es sterben nur alte und kranke Patienten“ Das Alter der in der Schweiz Verstorbenen liegt zwischen 32 und 100 Jahren. Zudem gibt es einige Studien und Untersuchungen, welche zeigen, dass auch Kinder an Covid-19 verstorben sind. Ob an der Virus-Erkrankung nun 0,9 oder 1,2 oder 2,3 Prozent versterben, ist sekundär und bloß Futter für die Statistiker dieser Welt. Relevant ist die absolute Anzahl an Toten, die diese Pandemie verursacht. Sind 5000 Tote weniger schlimm, wenn sie 0,9 Prozent aller Covid-19-Träger darstellen? Oder sind 5000 Tote schlimmer, wenn sie 2,3 Prozent aller Covid-19-Träger darstellen?
Angeblich beträgt das durchschnittliche Alter der verstorbenen Patienten 83 Jahre, was von vielen – von zu vielen in unserer Gesellschaft – wohl als vernachlässigbar abgetan wird. Die lässige Großzügigkeit, wenn andere sterben, ist in unserer Gesellschaft nicht zu übersehen. Das andere, das sofortige Geschrei und die unverzüglichen Schuldzuweisungen, wenn es einen selbst oder nächste Angehörige trifft, kenne ich zur Genüge.
Alter ist relativ. Der eine US-Präsidentschafts-Kandidat ist heute 73, der andere 77 Jahre alt. Mit guter Lebensqualität ein hohes, selbstbestimmtes Alter zu erreichen, ist ein hohes Gut, für das wir in der Schweiz ins Gesundheitswesen investiert haben. Und es ist das Resultat der Medizin, dass man auch mit drei Nebendiagnosen bei guter Lebensqualität ein hohes Alter erreichen kann. Diese positiven Errungenschaften unserer Gesellschaft sind nun plötzlich nichts mehr wert, sondern, mehr noch, nur noch eine Last?
Zudem: Wenn 1000 über 65-Jährige oder 1000 über 75-Jährige untersucht werden, die bisher meinten, sie seien gesund, haben nach einem gründlichen Check wohl mehr als 80 Prozent drei neue „Nebendiagnosen“, besonders wenn es sich um die weit verbreiteten Diagnosen „hoher Blutdruck“ oder „Zucker“ handelt. Gewisse Medien-Artikel und Leser-Kommentare überschreiten bei dieser Diskussion jede Grenze, haben den üblen Geruch der Eugenik, und es kommen Erinnerungen an bekannte Zeiten auf. Muss ich wirklich jene Jahreszahlen nennen? Es erstaunt mich, dass unsere Medien nicht bemüht sind, in dieser Sache einmal Klartext zu schreiben. Es sind ja unsere Medien, welche diese erbärmlichen Meinungsäußerungen in ihren Kommentarspalten publizieren und so stehen lassen. Und ebenso erstaunlich ist, dass die Politiker es nicht für notwendig erachten, einmal eine klare Stellungnahme zu diesem Punkt abzugeben.
Die Pandemie war angekündigt
War die Schweiz minimal auf diese Pandemie vorbereitet? Nein. Hat man Vorkehrungen getroffen, als Covid-19 im China ausgebrochen ist? Nein. Hat man wissen können, dass eine Covid-19-Pandemie über die ganze Welt ziehen wird? Ja, sie war mehrfach angekündigt und die Daten lagen bis März 2019 vor. SARS war 2003. MERS war 2012. 2013 hat der Deutsche Bundestag Katastrophenszenarien diskutiert: Wie bereitet sich das Land etwa auf klimawandelbedingte Überschwemmungen oder eine künftige SARS-Pandemie vor? Wie muss der Staat dann reagieren beziehungsweise vorsorgen?
Tatsächlich hat der Deutsche Bundestag 2013 im Bevölkerungsschutzbericht 2012 eine SARS-Corona-Pandemie in Europa und Deutschland simulieren lassen. 2015 wurde eine experimentelle Gemeinschaftsstudie von Forschern aus drei US-Universitäten, aus Wuhan und eines italienischen Forschers aus Varese publiziert. Diese produzierten synthetisch hergestellte Corona-Viren im Labor und infizierten damit Zellkulturen und Mäuse. Grund der Arbeit: Man wollte einen Impfstoff respektive monoklonale Antikörper produzieren, um gegen die nächste Corona-Pandemie gewappnet zu sein.
Ende 2014 hatte die US-Regierung Forschung an MERS und SARS wegen der Gefährlichkeit für Menschen für ein Jahr ausgesetzt. 2015 hielt Bill Gates auf der TED-Konferenz im kanadischen Vancouver eine weltweit beachtete Rede und meinte: Die Welt sei auf die nächste Corona-Pandemie nicht vorbereitet. 2016 erschien erneut ine Forschungsarbeit über Coronaviren. Die Zusammenfassung dieser Publikation verblüfft, denn es handelt sich um die perfekte Beschreibung dessen, was aktuell abläuft. Im März 2019 wurde in der epidemiologischen Studie von Peng Zhou aus Wuhan gesagt, dass unter anderem aufgrund der Biologie der Coronaviren in den Fledermäusen („bat“) für China vorausgesagt werden könne, dass es in Kürze eine erneute Corona-Pandemie geben werde. Man könne nur nicht genau sagen wann und wo, aber China werde der Hotspot sein.
Im Prinzip waren das acht deutliche Warnungen innerhalb von 17 Jahren, dass etwas kommen wird. Und dann kommt es tatsächlich! Im Dezember 2019, neun Monate nach Peng Zhous Warnung. Und die Chinesen informieren die WHO, nachdem sie 27 Patienten mit atypischer Pneumonie ohne Todesfall gesehen haben. Noch am 31. Dezember beginnt eine Forschungs-Reaktionskette von Taiwan aus. Alle Ergebnisse wurden bis zum 3. März 2020 publiziert. Und nein, es wurde nicht auf Taiwanesisch-Chinesisch in einer Asiatischen Medizinischen Zeitschrift publiziert, sondern unter Mitarbeit der University of California im „Journal of American Medical Association“. Man musste lediglich „bat + coronavirus“ in „PubMed“, der U.S. National Library of Medicine, eingeben – und alle Daten lagen vor. Man musste nur die Publikationen bis Ende Februar 2020 verfolgen, um zu wissen, was auf uns zukommt und was zu tun ist.
Usbekistan hat im Dezember seine 82 Studenten aus Wuhan zurückbeordert und alle in Quarantäne gesteckt. Am 10. März habe ich von Usbekistan aus, weil ich nach meiner Meinung gefragt worden war, die Schweiz gewarnt: Parlamentarier, Bundesrat, BAG [Bundesamt für Gesundheit, Anm. d. Red.], Medien. Und was hat die Schweiz seit der Meldung Chinas an die WHO am 31. Dezember 2019 gemacht? Unsere Landesregierung, unser BAG, unsere Experten, unsere Pandemiekommission? Es sieht so aus, dass sie nichts mitbekommen haben. Natürlich, die Situation war heikel. Sollte man die Bevölkerung informieren? Panik säen? Wie vorgehen? Was man wenigstens hätte tun können: Die exzellenten wissenschaftlichen Arbeiten der chinesischen und amerikanischen Forscher studieren, die in den besten Fachzeitschriften publiziert worden waren.
Man hätte wenigstens – und das wäre ohne Information an die Bevölkerung, ohne Panik zu säen, machbar gewesen – das notwendige medizinische Material auffüllen können. Doch unser Land mit seinem 85 Milliarden Franken schweren Gesundheitswesen stand plötzlich so da: zu wenige Masken, zu wenig Desinfektionsmittel, zu wenig medizinisches Material. Das behördliche Versagen hat sich bis heute fortgesetzt. Keine der von Singapur, Taiwan, Hongkong oder China erfolgreich eingesetzten Maßnahmen wurden angewendet. Keine Grenzschließung, keine Grenzkontrollen. Es waren die Österreicher, die die Grenze zur Schweiz schlossen. Und noch heute gibt es keine Quarantäne für Personen, die in die Schweiz einreisen.
Wurde die Forschungsgruppe von Antonio Lanzavecchia in Bellinzona konsultiert? Lanzavecchia, der an den oben erwähnten Forschungsarbeiten zu den synthetisch hergestellten Coronaviren als Co-Autor beteiligt war. Wie kann es sein, dass Lanzavecchia am 20. März in einem kleinen Tessiner TV-Sender sagt, dass dieses Virus extrem ansteckend und extrem resistent sei – das Schweizer Bundesamt für Gesundheit (BAG) am 22. März, zwei Tage später, aber von einem „Silberstreifen am Horizont“ schreibt?
Wie kann es sein, dass eine amerikanisch-chinesische Autorengruppe am 6. März in „Science“ publiziert, dass nur eine kombinierte Grenzschließung und eine lokale Ausgangssperre effektiv sind und die Verbreitung des Virus um 90 Prozent einzudämmen vermögen – BAG und Bundesrat aber mitteilen, dass Grenzschließungen nichts bringen, „weil sich die meisten sowieso zu Hause anstecken“ würden?
Das Maskentragen wurde für nicht notwendig befunden – aber nicht, weil dessen Effektivität nicht bewiesen wäre. Nein, weil man schlicht nicht genügend Masken zur Verfügung stellen konnte. Man müsste lachen, wenn es nicht so tragisch wäre: Statt die eigenen Versäumnisse zuzugeben und sie sofort zu korrigieren, hat man den deutschen Botschafter einbestellt. Was hat man ihm gesagt? Dass das 85 Milliarden schwere Schweizer Gesundheitswesen keine Masken hat, um seine Bürger, Pflegende und Ärzte zu schützen?
Die Serie von peinlichen Pannen lässt sich erweitern: Hände-Desinfektion! Wurde empfohlen, da wirksam und schon zu Zeiten der Spanischen Grippe empfohlen. Haben wir von unseren Entscheidungsträgern je gehört, welche Desinfektionsmittel denn wirksam sind und welche nicht? Haben wir nicht, obwohl bereits am 6. Februar 2020 ein Summary von 22 Arbeiten im „Journal of Hospital Infection“ publiziert worden ist, welches schon damals berichtete, dass Coronaviren bis zu neun Tage auf Metall, Plastik und Glas überleben können, und welche drei Desinfektionsmittel das Virus killen und welche nicht.
Natürlich konnte man das richtige Desinfektionsmittel nicht konkret empfehlen: Der Bürger hätte dann gemerkt, dass gar nicht genug davon vorhanden ist, weil das nationale Pandemie-Lager, welches Ethanol (62- bis 71-prozentiges Ethanol tötet Coronaviren binnen 60 Sekunden) bereithalten sollte, bereits im Jahr 2018 aufgelöst worden war.
Als die Schwierigkeiten der Pandemie auch für das Schweizer BAG offensichtlich wurden, ließ man verlauten, dass Patienten, welche auf die Intensivstation müssten, sowieso schlechte Chancen hätten. Dies im klaren Widerspruch zu vier bis dahin publizierten Studien, die übereinstimmend berichteten, dass 38 bis 95 Prozent aller Intensivstation-Patienten nach Hause entlassen werden konnten.
In Teil zwei des Gastbeitrags schreibt Paul Robert Vogt über Fledermäuse und die Arroganz des Westens.
https://www.general-anzeiger-bonn.de/news/panorama/das-sagt-ein-schweizer-professor-zur-pandemie-und-den-zahlen-in-den-medien_aid-50189111
Autor:Kirsten Grunau aus Mülheim an der Ruhr |
2 Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.