"Ich würde dieselben Entscheidungen wieder treffen"
Dezernent Ulrich Ernst geht in den Ruhestand
Seit elfeinhalb Jahren ist er im Amt, am kommenden Mittwoch, 27. Februar, wird sein letzter Arbeitstag sein. Dann geht Ulrich Ernst, Dezernent für Bildung, Soziales, Jugend, Gesundheit, Sport und Kultur, in den Ruhestand. Damit verlässt ein Beigeordneter die Stadtspitze, der es auch in unruhigen Zeiten geschafft hat, "den sozialen Frieden in der Stadtgesellschaft" zu wahren, wie ihm die eigene Partei, die SPD, attestiert.
Ernst hat in seiner Amtszeit selten polarisiert. Er war überall präsent, hat sich aber nicht aufgedrängt. Das gehört zu seinem Selbstverständnis. "Mein zentraler Anspruch war es immer, etwas zum Besseren der Menschen in der Stadt zu bewegen", betont der scheidende Dezernent. Auch wenn es ihm am Anfang schwer gefallen sei zu verstehen, wie wichtig seine Anwesenheit als Beigeordneter auch bei vermeintlich unwichtigeren Terminen war. Das änderte sich schnell, denn er verstand: "Wenn ich zu einem Kindergarten- oder Schulfest gegangen bin, dann war das als Wertschätzung für das Engagement der Menschen gemeint und wurde auch so aufgenommen."
Und so gestaltete er auch seine Abschiedstour. Ein Treffen der "Honorationen" zum Amtsende wollte er nicht. Stattdessen ist er seit Oktober unterwegs, um noch einmal mit all den Menschen zu sprechen, mit denen er zusammengearbeitet hat und bei denen er sich bedanken wollte.
Als Ulrich Ernst das Amt am 1. September 2008 als Nachfolger von Wilfried Cleven übernahm, hatte Mülheim neben Kämmerer und OB noch vier Dezernenten. Zunächst war er zuständig für Soziales, Gesundheit und Sport. Nach der Dezernatszusammenlegung ab 2012 erhielt Ernst die Bereiche Bildung, Jugend und Kultur dazu.
Um ein solch großes Amt zu führen, darf man sich nicht in Details verzetteln, man muss auch delegieren können. "Ein Dezernent ist weniger Sachbearbeiter, sondern mehr Manager", so sieht es Ernst. Er müsse sich auf grundlegende Fragen konzentrieren, Entscheidungen treffen und diese dann auch verantworten. So setzte sich Ernst einmal in der Woche mit seinen Amtsleitern zusammen, um Rücksprache zu halten und über Entwicklungen informiert zu sein. "Ich will mich aber nicht anmaßen, in Sachbewertungen besser zu sein als die gelernten Fachkräfte."
Zwei große Themen haben seine Amtszeit bestimmt. Das erste ist die Flüchtlingskrise, die auch ganz konkrete Auswirkungen auf die Kommunen hatte. Sie war sicher auch die größte Herausforderung für Ulrich Ernst. "Eine hochspannende Zeit", erinnert sich Ernst. Besonders eines hat ihn dabei fasziniert: Der außergewöhnliche Wille aller beteiligten Stellen in Mülheim, das gemeinsam hinzubekommen. "Von der Schlagzeile der FAZ "Das Wunder von Mülheim" zehre ich heute noch", bekennt der 65-jährige. Die ganze Stadtgesellschaft stand dahinter - damals jedenfalls noch.
Herausforderung Flüchtlingskrise
Das hohe ehrenamtliche Engagement der Bürger hat die Stadtverwaltung von Anfang an auch mit Geld unterstützt, denn die Synergieeffekte lagen auf der Hand. So übernahm die WiM die Kleidersammlung, andere gemeinnützige Organisationen konnten sich auf andere Hilfeleistungen oder die Betreuung konzentrieren. "Auch innerhalb der Wirtschaft, der Politik und der Verwaltung gab es eine Zusammenarbeit wie nie zuvor", zeigt sich Ernst heute noch beeindruckt. Sonst wäre es nicht möglich gewesen, innerhalb von kurzer Zeit ein Flüchtlingsdorf wie in Saarn zu errichten.
Dass die Bedenken der Anwohner im Umkreis der Flüchtlingsunterkünfte ausgeräumt werden konnten, dazu hat Ulrich Ernst auch persönlich beigetragen. 15 Veranstaltungen hat er abends begleitet, um in den Stadtteilen die Bürger zu informieren und mit ihnen zu diskutieren. "Anfangs war das oft krawallig, aber hinterher kamen wir überall zu sachlichen Auseinandersetzungen, oft boten die Bürger am Ende ihre Hilfe an". Letztlich gab es in Mülheim in den vergangenen Jahren auch recht wenige Auffälligkeiten rund um die Flüchtlingsunterkünfte, seien es Streitigkeiten unter Flüchtlingen selber, Kriminalität oder rechtsextreme Schmierereien.
Das zweite große Thema hat Ulrich Ernst über die gesamte Amtszeit begleitet, und die Arbeit daran wird noch lange nicht aufhören: die Obacht auf benachteiligte Kinder und Familien und die Frage, wie man ihnen den Weg in die Gesellschaft ebnet. "Es gibt nach wie vor Gewinner und Verlierer in unserem Bildungssystem. Verlierer können wir uns aber gar nicht mehr leisten. Wir müssen jedes Talent fördern, anstatt später Menschen zu alimentieren."
Mülheimer Bildungskette entwickelt
In Mülheim sind in den letzten Jahren zahlreiche, auch niederschwellige Angebote entstanden, alles zusammen ist als "Mülheimer Bildungskette" gerade als Marke entwickelt worden. "Es wird eine zentrale Herausforderung sein, wie man Kinder möglichst frühzeitig an Bildung heranführt." So entscheide auch die Länge des Kita-Besuches über die Werte der Kinder bei der Einschulung. Wer später in den Kindergarten geht, hat dann oft schon schlechtere Karten beim Schulstart. Auch für die Kinderarmut müsse man andere Ansätze finden als nur mehr Geld auszugeben.
Was Ernst bedauert, sind fehlende Rückmeldungen über die Entwicklung von Kindern, wenn sie erst einmal in der Schule sind. Dann wäre der Erfolg von Förderungsmaßnahmen besser darstellbar.
Würde er etwas anders machen, wenn er Entscheidungen noch mal neu treffen könnte? Ernst schüttelt den Kopf. "Zu dem jeweiligen Zeitpunkt mit den damaligen Erkenntnissen würde ich jede Entscheidung noch einmal so treffen", ist er sich sicher. Aber bei manchen Themen, die er nicht intensiv begleitet habe, hätte er vielleicht näher dran bleiben sollen, sinniert er. Wie den Bau der Feuerwache, den er damals noch als Leiter der Stadtkanzlei in der Anfangsphase begleitet hat. Ob die Entwicklung dann eine andere gewesen wäre, das vermag er aber nicht zu sagen.
Affäre um OB Scholten
Überschattet wurden die letzten Monate seiner Amtszeit von der Affäre um Oberbürgermeister Ulrich Scholten. Ulrich Ernst gehörte zu denjenigen, die einen Rücktritt des OB befürwortet haben und damit auch eine innerparteiliche Krise ausgelöst haben. In der Sache aber rudert Ernst nicht zurück. "Ausgelöst wurde alles durch eine Nachfrage eines Mitarbeiters, ob er sich bei der Verbuchung nicht sauberer Belege nicht selber strafbar machen würde. Es blieb uns gar nichts anderes übrig, als zu reagieren. Denn wir machen uns als Beamte selber strafbar, wenn man einen solchen Verdacht in der Schublade verschwinden lässt. Da bin ich ganz preußisch."
Und warum hat man dem OB nahegelegt, zurückzutreten? "Um Schaden von der Stadt abzuwenden", betont Ernst. "Denn wenn gegen einen Privatmann ermittelt wird, ist das etwas anderes, als ob gegen einen Amtsträger ermittelt wird. Uns war klar, dass ein solcher Vorgang bundesweit in die Medien kommt, und das war unserer Meinung nach der Weg, der den größeren Schaden anrichten würde."
Der Rest ist bekannt. Scholten trat nicht zurück, die Ermittlungen erregten großes Aufsehen, und Scholten ließ daraufhin sein Amt als Parteivorsitzender der SPD Mülheim ruhen. Die Ermittlungen dauern an. Ulrich Ernst im Gespräch. Foto: PR-Foto Köhring/AK
"Es wird eine zentrale Herausforderung sein, wie man Kinder möglichst frühzeitig an Bildung heranführt."
Ulrich Ernst
Autor:Regina Tempel aus Mülheim an der Ruhr |
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