„Der Stärkungspakt hat eine rote Linie gezogen“
Gespräch mit dem Mülheimer Kämmerer Frank Mendack über die städtischen Finanzen
Seit dem 3. April 2017 ist Frank Mendack Beigeordneter und Stadtkämmerer der Stadt Mülheim an der Ruhr. Er übernahm ein Amt in schwierigen Zeiten. Der Kämmerer sprach mit der Mülheimer Woche über die desaströsen städtischen Finanzen: „Wir haben durch den Gewerbesteuereinbruch eine große Lücke. Es wird sehr schwer, die zu schließen.“
Die Situation ist ernst, doch mittelfristig hat Mendack Hoffnung. Nach dem chaotischen Streit um den letzten Etat wurde ein Arbeitskreis „Haushalt“ aus Politik und Verwaltung installiert: „Das hat sehr zur Versachlichung beigetragen. Viele Themen werden dort angepackt. Wir sind da auf einem guten Weg. Dennoch werden wir den Einbruch unserer Einnahmen nicht einfach so kompensieren können.“ Bei der Nachveranlagung der Gewerbesteuer konnte Mülheim immer mit einem kräftigen Schluck aus der Pulle von um die 20 Millionen rechnen. Dies verlockte dazu, mit diesen Summen strukturell langfristig zu planen. Doch 2017 entstand ein Minus von 6 Millionen Euro. Zwar wurde der Gewerbesteuersatz angehoben, dennoch sprang unterm Strich weniger heraus. Dieses Loch wird 2018 noch viel größer werden: „Wir müssen durch den Einbruch der Gewerbesteuer bei vielen Firmen von einem strukturellen Defizit von 20 bis 30 Millionen Euro jährlich ausgehen.“ Frank Mendack nennt beispielhaft die Situation im IT-Sektor der Firma Aldi-International: „Da wurde weltweit kräftig investiert. Sicherlich werden diese Investitionen zu mehr Wachstum führen. Aber zunächst führen sie zu Abschreibungen. Die Gewerbesteuer ist halt nicht planbar. Das macht die Probleme einer verlässlichen Gemeindefinanzierung deutlich. Auch wenn wir im Dialog mit Firmen stehen, bleibt das eine Black Box.“ Ein zusätzliches Problem: Die Umstellung der Gemeindefinanzierung stärkt ländliche Kommunen und straft die Ruhrgebietsstädte mit ihren hohen sozialen Verpflichtungen: „Die Sozial-Lasten haben die immense Verschuldung herbeigeführt, nun wird genau dieser Berechnungsfaktor gekürzt. Wir werden - isoliert betrachtet - rund 6 Millionen weniger an Schlüsselzuweisungen bekommen. Das konterkariert den Stärkungspakt.“ Mendack sieht die Entwicklung skeptisch. Der ländliche Raum dominiere halt die Regierungsfraktionen.
Schwarze Zahlen ab 2020
Immer wieder geistert der „Sparkommissar“ durch die Gespräche. „Wir haben uns verpflichtet, ab 2020 schwarze Zahlen zu schreiben. Wenn wir die Defizite kompensieren können, sind wir in der Lage, mittelfristig in die Schuldentilgung einzutreten.“ Denn seit Mülheim sich unter das Stärkungspaktgesetz stellte, gelten andere Regeln. Um die Defizite abzufangen, wurden bisher regelmäßig die Kassenkredite erhöht und gleichzeitig das Eigenkapital der Stadt abgewertet, inzwischen ist es längst in den negativen Bereich gerutscht: „Damit ist nun Schluss. Der Stärkungspakt hat eine rote Linie gezogen.“ Die gute Nachricht: „Wir können uns kaum weiter verschulden.“ Und die schlechte? „Weitere Defizite müssen durch Einnahmesteigerungen oder Ausgabenkürzungen verbindlich im laufenden Jahr ausgeschlossen werden, das geht zu Lasten der Stadtgesellschaft.“ Da kennt das Gesetz nämlich keinen Ausweg. Im Paragrafen „Folge von Pflichtverstößen“ ist es genau fixiert: Sofern die Gemeinde nicht die entsprechenden Deckungsvorschläge vorlegt, ist nach einer gewissen Frist durch das fürs Kommunale zuständige Ministerium ein Beauftragter gemäß § 124 der Gemeindeordnung NRW zu bestellen. Mendack präzisiert: „Dieser Beauftragte nimmt alle oder einzelne Aufgaben der Gemeinde wahr. Er ersetzt zum Beispiel die notwendigen Ratsentscheidungen bei Ausgabenkürzungen oder Steuererhöhungen.“ Da könnte so eine Stadtratssitzung nach zehn Minuten fertig sein. Die bangen Fragen wären dann wohl: „Was packt so ein Beauftragter zuerst an? Wo sind seine Prioritäten?“
Keine Schwarzmalerei
Ohne genehmigten Haushalt würde zwar die jährliche Zuwendung aus dem Stärkungspakt nicht fließen. Mendack möchte aber nicht zu schwarz malen. Die 31,4 Millionen Euro wären noch nicht futsch: „Sollten wir die Bedingungen erst 2020 erfüllen, kämen dann halt rund 90 Millionen auf einmal.“ Die Zusammenarbeit mit der Aufsichtsbehörde gestalte sich sehr konstruktiv und man habe in der Planung Risiken herausnehmen können: „Wir haben in den letzten zwölf Monaten nun viel mehr Kreditverträge auf langfristige Zinsbindung umgestellt. sowie die Schweizer-Franken-Kredite um mehr als 50 Prozent reduziert.“ Auch werden nun die strukturellen Dinge angepackt: „Für uns muss die Schaffung zusätzlicher Gewerbe- und Wohnungsbauflächen vorrangiges Ziel sein, da hat der Stadtrat mit großer Mehrheit die Prüfung und Entwicklung von acht zusätzlichen Gewerbeflächen und 12 Gebieten mit Wohnflächen in Auftrag gegeben. Die greifen allerdings frühestens in fünf Jahren. Aber irgendwann muss man ja mal anfangen. Nun wird ja eine Neubewertung der Grundsteuer vorgenommen, die wird man abwarten müssen. Es darf da aber für uns auf keinen Fall zu Einnahmeverlusten kommen. Beim ÖPNV müssen wir auf die Zahlen für 2017 und 2018 schauen. Die Defizite der Ruhrbahn müssen runter. An den Jahresabschlüssen wird sich dann ablesen lassen, ob die Fusion sinnvoll war.“
Geht es auch an die Kita-Beiträge? Mülheim greift bisher Eltern mit kleineren Einkommen weniger in die Tasche als viele andere Kommunen, hier liegen die Elternbeiträge um 20 Prozent unterm Landesschnitt. Die Elternbeiträge der höchsten Einkommensstufe dagegen liegen in Mülheim dreimal so hoch wie zum Beispiel in Hamm.
Autor:Daniel Henschke aus Essen-Werden |
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