Erzieher beschweren sich in offenem Brief
"Der Notbetrieb war keiner"
Für Schüler besteht ein großer Unterschied, ob die Inzidenz in der jeweiligen Stadt oder im Kreis über oder unter 165 liegt - entscheidet sie doch über Wechsel- oder Distanzunterricht. Anders bei den Kitas. "Der Notbetrieb war keiner", sagt Claudia Schilling, Erzieherin in einer Mülheimer Kita, angesichts einer Auslastung von teilweise bis zu 75 Prozent.
Darüber hat sich das Erzieherteam von "Stöpsel e.V.", eine Mülheimer Elterninitiative, die drei Kitas betreibt, so geärgert, dass es sich in einem offenen Brief an NRW-Familienminister Joachim Stamp gewandt hat. Nachzulesen ist der Brief in unserer NachrichtenCommunity unter www.lokalkompass.de/1568663. Vor dem Hintergrund, dass in dieser Woche über weitere Öffnungsschritte in Schulen und Kitas beraten werden soll, wünschen sich die Erzieher Wertschätzung und Schutz von Seiten der Politik.
Die Kitas sind seit Monaten im so genannten "eingeschränkten Pandemiebetrieb" bzw. dort, wo die Inzidenzen höher liegen, im "Notbetrieb". Was stört Sie als Erzieherin daran?
Uns stört, dass in der öffentlichen Wahrnehmung die Meinung vorherrscht, dass Kitas geschlossen seien oder waren. Das stimmt nicht. Wir hatten immer geöffnet. Und der Notbetrieb hat den Namen nicht verdient. Alle Kinder dürfen in die Kita kommen, weil der Minister nur an die Eltern appelliert. Es gibt so viele Ausnahmen, dass selbst Eltern, die nicht berufstätig sind, guten Gewissens ihre Kinder in die Betreuung bringen können.
Wie wirkt sich das in Ihrer Einrichtung aus?
Wir hatten eine hohe Auslastung von zum Teil bis zu 75 Prozent. Verstehen Sie mich nicht falsch, wir arbeiten gerne mit den Kindern. Aber solche Zahlen passen nicht zu den Vorsichtsmaßnahmen rechts und links von uns. Geschäfte haben bei einer Inzidenz über 150 geschlossen, aber in den Kitas herrscht Vollbetrieb. Erstklässler dürfen ab einer Inzidenz von 165 nicht in die Schule, aber Vorschulkinder werden explizit eingeladen, die Kita zu besuchen. Wie passt das zusammen?
Haben Sie denn Verständnis für die Eltern, die ihre Kinder in die Kita bringen?
Ja natürlich, die Eltern haben uns sehr unterstützt. Durch die vielen Ausnahmen, die das Ministerium vorsieht, geraten aber auch Eltern zunehmend unter Druck. In Zeiten, in denen viele um ihren Arbeitsplatz bangen, trauen sich viele nicht, ihrem Arbeitgeber zu sagen "Ich komme nicht, ich muss mein Kind betreuen". Es gibt ja für jeden die Möglichkeit, per Selbstauskunft zu erklären, dass man auf einen Betreuungsplatz angewiesen ist. Das ist für uns Erzieher wie ein Schlag ins Gesicht! Und wir sind es dann, die heikle Gespräche mit den Eltern führen müssen. Wir müssen versuchen sie zu überzeugen, dass es besser ist, das Kind zu Hause zu betreuen. Teilweise entsteht dadurch eine Kluft zwischen Kita und Eltern. Das ist bedauerlich und belastet das Vertrauensverhältnis.
Was fordern Sie vom Familienministerium?
Klare Regeln! Wir wollen nicht, dass Kitas geschlossen werden - auch bei hohen Inzidenzen. Aber dieses Setzen auf Freiwilligkeit geht zu Lasten der Erzieher. Wir haben eine besondere Nähe zu den Kindern, trösten sie, wenn sie hingefallen sind, nehmen sie in den Arm beim Vorlesen. Hinzu kommen pflegerische Tätigkeiten wie Wickeln. Zwar haben die Erzieher in NRW inzwischen ein Impfangebot bekommen. Das täuscht aber darüber hinweg, dass wir auch Familienangehörige haben, die noch nicht geimpft sind. Wenn wir so viele enge Kontakte bei der Arbeit haben, tragen sie das Risiko, zu erkranken, indirekt mit. Wir wünschen uns mehr Schutz und Wertschätzung.
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