Bürger setzen sich für Tram ein
Bürgerinitiative „TramVia“ kämpft für bessere Straßenbahn-Infrastruktur und intelligente Taktung
Es ein Kreuz mit dem Verkehr. Anlass für die Gründung der Bürgerinitiative „TramVia“ im Sommer war die neu aufgeflammte Diskussion um das Mülheimer Schienennetz. Der 2013 aufgelegte Fünf-Jahresplan für den Nahverkehr ist zwar noch gar nicht vollständig umgesetzt, doch es rumst wieder im Karton.
Eile ist geboten. SPD und Grüne machen im Rat Dampf: „Es darf keine Herauslösung lukrativer Linien durch private Wettbewerber zum Schaden des kommunal betriebenen ÖPNV geben. Ohne eine erfolgreiche Direktvergabe macht letztlich auch eine Fusion der Mülheimer und Essener Verkehrsgesellschaften keinen Sinn mehr.“ Die MBI legt nach: „Der ÖPNV im Ruhrgebiet ist der teuerste und mit am wenigsten effektive Nahverkehr einer großen Metropole im gesamten Europa, mit riesigem Sanierungsstau.“ Die Zukunft liege in einer Gesamtplanung aller Teilstädte aus einem Guss und mit fusionierten Verkehrsgesellschaften.
„Die moderne Tram in Europa“
Ausstieg aus dem teuren Schienennetz auf den günstigeren Bus. Das schien mal der Trend. Doch die beauftragten Gutachter rieten dazu, weiter auf die Bahn zu setzen. Durch die komplette Aufgabe des Schienennetzes ließe sich zwar das jährliche Defizit deutlich senken, aufgrund der enormen Transaktionskosten scheide dieses Szenario jedoch aus. Hohe Nachfragerückgänge von über 20 Prozent und negative Umweltwirkungen durch herkömmliche Busse kämen dazu. Lösungsvorschlag: Strecken optimieren, Bus und Bahn besser aufeinander abstimmen.
Anfang 2015 präsentierte die Via im MedienHaus die Wanderausstellung „Die moderne Tram in Europa“. Die Straßenbahn sei vielerorts wieder zum Mittel und Motor der Stadtentwicklung geworden. Mehr noch: Die Renaissance vieler europäischer Innenstädte sei eng mit der Renaissance der Tram verbunden. Zu schön, um wahr zu sein? „Warum eigentlich nicht?“, dachten sich engagierte Bürger. Sie gründeten eine Initiative, die diese Äußerungen beim Wort nimmt und sagt: „Wir brauchen Lösungen jenseits von Busminimalbedienung.“
Ein Angebot gemacht
Käthe Barth, Thomas Kirchner und Rainer Nelbach erläuterten die Ziele ihrer Initiative: „Wir möchten der Stadt Mülheim und deren Einwohnern ein attraktives, leistungsfähiges und trotzdem kostengünstiges Nahverkehrsangebot vorschlagen. Wir sind ein Zusammenschluss von bisherigen Einzelstreitern, deren Anliegen und Lösungsvorschläge von politischer Seite kaum zur Kenntnis genommen wurden. Daher haben wir unsere Fähigkeiten und Aktivitäten in einem Zusammenschluss gebündelt.“
Als konkrete Maßnahmen zum Erhalt und Ausbau volkswirtschaftlich wertvoller Schieneninfrastruktur in Mülheim sieht „TramVia“ die Notwendigkeit, die Saarner Kuppe in das Straßenbahnnetz einzugliedern und den Kahlenberg-Ast zu stärken, durch Wiederinbetriebnahme eines eingleisigen Flughafenastes. Zusätzlich sollen zwei E-Linien zu den Stoßzeiten mit intelligenter Taktung die zusätzliche Nachfrage im Schul- wie Universitätsbetrieb befriedigen.
Betonköpfe müssen sich bewegen
Käthe Barth fuhr in jungen Jahren mit der Straßenbahn von Homberg nach Moers zur Arbeit. Sie kann sich auch bestens daran erinnern, als die Tram noch durch Saarn fuhr. An einigen Gebäuden sind noch die alten Halterungen für die Oberleitung zu erkennen. Nun regt sie sich über die in ihren Augen verfehlte Verkehrspolitik auf: „Die Betonköpfe müssen sich bewegen. Wir schlagen vor und die Verwaltung zementiert sich ein. Wir warten seit 1968 auf die Straßenbahn. Für Außenstehende ist völlig unerklärlich, was für eine Katastrophe unser ÖPNV ist.“
Ein wenig milder in der Beurteilung ist da Rainer Nelbach: „In der Tat wird bisher mit den Fehlern der Vergangenheit gelebt. Aber der Antrag von SPD und Grünen ist ein erster Pflock, ich sehe da viel Licht am Horizont. Gerade die Fusion mit Essen ist eine Chance. Wenn wir es nicht jetzt anpacken, wann dann?“
Thomas Kirchner streitet für intelligentere Taktungen und Linienmodelle: „Am liebsten alle Schienen rausreißen und voll auf Minimalbusverkehr setzen ist grundverkehrt. Es scheint alles auf eine Reduzierung der Nachfrage hinaus zu laufen. Mintard zum Beispiel wird isoliert, wer denkt da an die Schulkinder? Auch das Zentrum einer Stadt verliert. Wir möchten durch ein verbessertes Angebot auch die Nachfrage wieder steigern.“
Die Tram, die in den Wald fährt
Die Linie 102 soll künftig ab Haltestelle „Heuweg“ nach Saarn und nicht mehr zum Uhlenhorst führen. Nelbach spottet: „Wie kann es sein, dass die Tram in den Wald fährt, und nicht in die Viertel, wo Menschen wohnen?“ Der Aufbau einer neuen Strecke wurde bereits offiziell durchgerechnet. Die zukünftige Lösung für die Haltestelle „Alte Straße“ wurde auch schon skizziert. Ab dort ergeben sich sieben mögliche Trassenführungen zur Saarner Kuppe. Nach langer Diskussion und Messungen vor Ort spricht sich „TramVia“ für die „Südliche Variante 6b“ aus, die über Straßburger, Luxemburger und Brüsseler Allee bis zur Selma-Lagerlöf-Straße führt: „Gerade hier werden neue, bisher noch kaum angeschlossene Wohngebiete in den ÖPNV integriert und die vorhandenen Straßen lassen genügend Raum für eine Straßenbahnführung.“
An einem Strang ziehen
Rainer Nelbach ergänzt: „Zunächst soll verhindert werden, dass der Kahlenberg-Ast abgerissen wird. Ein angepasstes Netz im Südast könnte die Auslastung angleichen, so bliebe das Straßenbahnnetz erhaltenswert. Unsere Lösungen sind teilweise mit geringem finanziellem Aufwand verbunden, so reicht hier eine neue Weiche. Der Flughafenast hatte von Anfang damit zu kämpfen, dass schlechte Technik eingesetzt wurde. Deswegen ist eine Sanierung nötig, zumal ja auf dem Flughafengelände in Zusammenarbeit mit Essen ein Gewerbepark entstehen soll.“
Mit Spannung wird die Diskussion im Rat der Stadt erwartetet. Werden die „Betonköpfe“ oder die Tram-Befürworter die Oberhand gewinnen? „TramVia“ wird jedenfalls weiterhin die Verkehrspolitik in Mülheim und den umliegenden Städten im Auge behalten: „Bei drohenden Verschlechterungen für die Bürger und die Stadt werden wir verträglichere Alternativen erarbeiten und kommunizieren.“
Käthe Barth erinnert an die Aufbruchsstimmung ihrer Generation nach dem Krieg und schreibt der heutigen Gesellschaft mahnende Worte ins Stammbuch: „Wir müssen alle mehr an einem Strang ziehen.“
Autor:Daniel Henschke aus Essen-Werden |
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