Alexander Wiegand: Der Heißener hat Zeitgeschichte erlebt und erlitten
Alexander Wiegand spielt mit seinen Kindern Maria und Luis und deren Freundinnen Finja und Thea das Brettspiel Across the iron curtain, auf Deutsch: Über den Eisernen Vorhang. Es ist das Spiel seines Lebens. Denn es geht auf dem Spielbrett, auf der man die Europakarte sieht vom grauen Ostblock in den Grünen Westen zu kommen.
Was hier spielerisch vermittelt wird, hat der 75-jährige Heißener als bitteren Ernst erlebt. Denn als Fernfahrer hat er in den drei Jahrzehnten zwischen Mauerbau und Mauerfall insgesamt 130 Menschen von Ost nach West gebracht. Wiegands Kinder und ihre Freundinnen und auch die schon etwas älteren Kinder und Jugendlichen können sich das heute gar nicht mehr vorstellen, dass der europäische Kontinent in den Zeiten des Kalten Kriegs zwischen dem kommunistischen Osten und dem demokratischen Westen durch einen Eisernen Vorhang getrennt war und es Menschen bei Strafe und unter Lebensgefahr verboten war, frei von Ost nach West zu reisen. Allein an der Berliner Mauer haben rund 150 Menschen ihren Wunsch nach Freiheit mit dem Leben bezahlen müssen.
Spielerischer Geschichtsunterricht
Und genau deshalb setzt sich Wiegand jetzt auch dafür ein, dass das informative Spiel, das von einem Team um die tschechische Wissenschaftlerin Dr. Neela Winkelmann von der in Prag ansässigen Plattform der Europäischen Erinnerung und des Gewissens entwickelt worden ist, nicht nur in Tschechien, sondern in allen der Ländern der Europäischen Union verkauft und gespielt werden kann. „Kinder und Jugendliche sollen so lernen, was damals geschehen ist und dass sich so etwas nie mehr widerholen darf“, erklärt Wiegand seine Motivation. Die weltpolitische Lage zeigt ihm, dass das Spiel, in dem es um Diktatur und Freiheit geht, heute aktueller denn je ist.
Die deutsche Teilung traf ihn persönlich
Deshalb stellt sich Wiegand auch an Schulen und Hochschulen als Zeitzeuge für Gespräche mit der jüngeren Generation zur Verfügung. Und er hat eine Geschichte zu erzählen, die film- und bühnenreif ist. „Ich wusste von Anfang an: Da musst du was tun“, erinnert sich Wiegand an den 13. August 1961. Den erlebte der damals 21-Jährige bei seinen Schwiegereltern in der damaligen DDR.
Und so machte er seinen LKW, in dem er unterschiedlichste Materialien von Westdeutschland in die DDR und die damalige CSSR brachte zu einem Fluchtwagen. Sein erster Einsatz als Fluchthelfer galt der ostdeutschen Freundin eines Arbeitskollegen. Lange ging alles gut. Doch dann war Verrat im Spiel und Wiegand wurde 1972 bei einer Fluchthilfeaktion an der deutsch-tschechischen Grenze verhaftet, als er versuchte eine sudetendeutsche Familie aus der kommunistischen CSSR in die Bundesrepublik zu bringen. Für viereinhalb Jahre musste der Fluchthelfer, wegen vermeintlichen „Menschenhandels“ hinter Gitter. Während seiner Haft, die ihn auch in das berüchtigte Stasi-Gefängnis Bautzen brachte, lernte er unter anderem den tschechischen Schriftsteller und späteren Staatspräsidenten Vaclav Havel kennen. Mit ihm blieb er bis zu dessen Tod (2011) freundschaftlich verbunden.
Geschunden, aber nicht gebrochen
Obwohl er während seiner Haft einen hohen gesundheitlichen Preis bezahlen musste, weil er in den Gefängnissen der kommunistischen Diktatoren auch Folter erdulden musste, ließ sich Wiegand nie brechen. 1976 konnte der damalige Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher beim damaligen Staats- und Parteichef der CSSR, Gustav Husak, Wiegands Freilassung erreichen.
Wiegand kam zurück in den Westen Deutschlands und arbeitete nach einer Erholungsphase weiter als Fernfahrer und Fluchthelfer. Warum? „Das hat mit meinem christlichen Glauben zu tun“, sagt Wiegand. Heute ist er mit einer Frau aus dem diktatorisch regierten Weißrussland verheiratet und engagiert sich in der Flüchtlingshilfe der Caritas. Dort arbeitet auch seine heutige Frau, die aus dem ebenfalls diktatorisch regierten Weißrussland kommt. Doch jetzt muss sich der Mann, der sich gerne und oft um andere Menschen kümmert, um sich selbst kümmern. Denn obwohl Wiegands Leistungen und Leidenswege als Fluchthelfer im Kalten Krieg ausgezeichnet und dokumentiert worden ist, muss der 75-Jährige bis heute um die Anerkennung seiner Opferrente als inhaftierter Fluchthelfer kämpfen. Doch auch heute gilt für Wiegand: „Ich kämpfe und gebe nicht auf.“ Gleichzeitig möchte er auch auf diesem Weg über die Mülheimer Woche und den Lokalkompass an seine Mitmenschen die Botschaft weitergeben: „Wenn unser gemeinsames Leben auf dieser Erde gelingen soll, dürfen wir nicht immer nur an uns selbst denken, sonder müssen auch den anderen im Blick haben.“Thomas Emons
Autor:Thomas Emons aus Mülheim an der Ruhr |
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