Spinnen sind auch nur Menschen!

"Meine Spinne und ich sind seit dreißig Jahren ein Paar."
  • "Meine Spinne und ich sind seit dreißig Jahren ein Paar."
  • hochgeladen von Anke Müller

Wenden wir uns heute einer anderen romantischen Herbstweise zu: Spinnen!
Dicke, fette, schwarze Hausspinnenmännchen auf Brautschau. Kennen Sie?

Nur für denn Fall, dass dem nicht so ist: Kinderfaustgroße, lichtscheue Kellerbewohner mit acht dünnrohrigen HochgeschwindigkeitsTentakeln und starker Beinbehaarung.
Nicht zu verwechseln sind die Liebestollen mit den schlaksig, zittrigen Weberknechten. Schon allein deswegen nicht, weil sich die Jungs untereinander nicht grün sind: Der Kleinere schätzt den Größeren als Delikatesse.
Weberknechte gibt es übrigens auch mit Flügeln, da nennt man sie Schneider.
Ja, ja, schon gut, ich höre schon damit auf! Eigentlich will ich eine Homestory erzählen, die Damen können sich also entspannt zurücklehnen. :-)

Versetzen Sie sich in eine beschauliche Mülheimer HausflurSzene:
Zwei Grundschulfreunde besohlen sich ihre Füße, sie wollen nach draußen.
Aus Platzgründen hockt das Mädchen auf der Treppe, der Kumpel lümmelt quer davor.
Die Sache zieht sich, man hat sich viel zu erzählen.
Nach fünf Minuten hat die Maid immerhin schon einen Fuß im Schuh – der Knabe schwingt seine noch am Bandel im Kreis herum, so wie Thor seinen Hammer.

Theoretisch kann mir das egal sein, ich bleibe sowieso drinnen - praktisch aber nicht, denn vor der Tür warten noch zwei Menschlein. Um sich die Zeit zu vertreiben, ernten die derweil meine Tomaten ab. Da sie keinen Lärm veranstalten, ist ihnen die Schändlichkeit ihres Tuns bewusst.

Offensichtlich gönnt uns Thor das Gemüse ebenfalls nicht, denn er wendet sich plötzlich an mich: „Anke, weißt du eigentlich, dass drei Meter entfernt von jedem Menschen eine Spinne lauert?“
„Nein“, antworte ich wahrheitsgemäß, „ist mir neu.“
Weil ich unverwandt entspannt gucke, schickt der Kleine noch eine Info aus dem Kinderfernsehen hinterher: „In jedem Haus leben drei Spinnen.“
Ich nicke. „Kann ich mir gut vorstellen, ich weiß, wo die sitzen.“
Der Kleine starrt mich an. „Hier? In eurem Haus??“
„Zu einer habe ich Blickkontakt.“
Der Junge reißt die Augen auf.
„Willst du wissen, wo sie sich verstecken?“
Der Knabe bewegt sich nicht. So im Gegenlicht kann ich ihn halt schlecht erkennen – und ehe ich da noch dreimal nachfrage, gebe ich lieber bereitwillig Auskunft. Hätten Sie doch auch so gemacht?

Ich lege also los: „Eine ist im Keller in die Badewanne gefallen. Die zweite lauert im Treppenhaus an der Wand hinter dir – und die Dritte bewacht im Küchenschrank die Schokolade ...“

Ich bin mit meiner Schokolade noch nicht fertig - vor allem habe ich noch nicht erwähnt, dass es sich bei der im Schokivorrat um eine Plastikspinne handelt - da wird der Knabe kreidebleich.
Den Farbwechsel sehe ich sogar bei den schlechten Lichtverhältnissen.
Der Junge kreischt los, reißt die Tür auf und stürmt schreiend nach draußen.
Geflügel springt ebenfalls auf: „Warte! Du hast deine Schuhe vergessen!“
„Ich bleib ohne“, bibbert es hinter der Mülltonne.
„Fürchtet der sich etwa vor Spinnen?“ Auf den Schreck muss ich mich erst mal setzen.

Nichtsdestotrotz fiel mir ob des Theaters nun aber endlich wieder die Spinne in der Badewanne ein! Mensch, das arme Vieh hockte da seit mindestens zwei Tagen und kam nicht vor und nicht zurück. Ich war bisher zu busy, um als Kammerjägerjungfer herumzurennen. Genaugenommen hatte ich auch jetzt keine Zeit. Doch zwei Tage ohne Essen und ohne soziale Kontakte ...
„Pubi!“, rief ich ins obere Bad, wo es rumorte: „Schmeiß mal unten die Spinne aus der Wanne!“
„Kannst du vergessen“, gab der mir Bescheid, „die ist mir zu groß.“
„Ja und? Da nimmst du halt ein größeres Glas! Du wirst schon was Passendes finden.“
„Ums Glas geht‘s nicht, Mutter!“ Pubi klapperte hektisch mit dem Föhn.
Der wird doch nicht etwa … „Hast du etwa Angst vor der??“
Keine Antwort.

Eigentlich wäre es nun meine Aufgabe als Mutter gewesen, den Knaben bei der Hand zu nehmen, und mit ihm gemeinsam das Spinnentier an die Luft zu setzen. Eigentlich. Tatsächlich war es aber so, dass ich allzeit gestresste Mutter gleich einen Job hatte und wenn ich davon zurückkäme, die Spinne sowieso längst wieder vergessen hätte. Ich scheute also die Diskutiererei und nahm die Sache selbst in die Hand.

Vom Regal in der Küche schnappte ich mir das größte Trinkglas, das wir haben und von meinem Schreibtisch nahm ich ein DinA4 Blatt mit. Dann stürmte ich zur Spinne. Während ich in die Wanne kletterte, redete ich ihr gut zu: „Gleich erlöse ich dich ...“
Die Spinne fand die plötzliche Nähe gar nicht lustig und nahm erschrocken die Beine in die Hand. Pfeilschnell sauste sie zum anderen Ende der Wanne und versuchte, mit Anlauf die Wand zu erklimmen. Wohl weil sie nicht genug Schwung hatte, rutschte sie nach einem drittel Höhe wieder herunter.
„Armes Ding“, sagte ich mitleidig und wollte das Glas geschwind über den zitternden Leib stülpen - doch in dem Moment drehte sich das Vieh blitzschnell um, und galoppierte mit Lichtgeschwindigkeit auf mich zu. Mich durchzuckte der heftige Impuls, laut zu schreien und die Wanne im Hechtsprung zu verlassen – allein der Gedanke an meinen schadenfrohen Pubi ließ mich tapfer weiterkämpfen.
„Du dusseliges Viech!“, brüllte ich mir Mut an. „Komm her jetzt, ich hab nicht den ganzen Tag Zeit!“
Meine Schallwelle muss die Spinne tierisch eingeschüchtert haben, denn sie verharrte stocksteif. Gerade dass sie sich nicht auf den Rücken fallen ließ und tot stellte.
Das war der Moment, indem ich fix das Glas über das Monstrum stülpte und das Papier darunterschob. Augenblicklich kehrte auch das Leben in die Spinne zurück. Ihre Röhrenbeine trommelten hörbaren Protest.
„Sei froh, dass ich kein Weberknecht bin ...“, beruhigte ich sie und machte mich an den Ausstieg.

Nun ist das aber auf den griplosen Wannenstufen kompliziert, wenn man keine Hand frei hat. Irgendwie schwankte ich, eine Winzigkeit nur, doch immerhin so viel, dass das Blatt, das ich als Deckel über dem Glas hielt, ein wenig lupfte - und Zack: Entschlüpfte mir die Spinne. Mit einem Affenzahn sauste sie über den weißen Fliesenboden und verschwand zwischen den Bodengittern der Heizung.
„Scheiße!“, knurrte ich.

Was macht man denn in so einem Moment?

Kurz überlegte ich, ob ich das Glas hinterherschmeißen sollte.
Dann entschied ich mich für das einzig Richtige: Ich tat nichts.
Pubi, der im Flur an der Haustür auf mich wartete, meldete ich Vollzug.
Sollte der verliebte Achtbeiner wieder auftauchen, würde ich mich über den Informationsgehalt des Kinderfernsehens empören: Das mit den drei Spinnen im Haus stimmt hinten und vorne nicht! Das sind viel mehr!

Autor:

Anke Müller aus Mülheim an der Ruhr

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