Hitchcocks KillerAmeisen
Wer mein Buch "MAMA, BLEIB MAL IM SLIP" gelesen hat, weiß, dass es bei meinen Eltern auf dem Land jede Menge Plagen gibt: Einen Sommer lang campierte dort ein Hornissenstaat im Plumpsklo, im Jahr darauf eine Waschbärenfamilie im Gästezimmer. Danach hatten meine Eltern Last mit einer Horde von Mardern, die nachts über das Flachdach des Schlafzimmers donnerte und Menschlein so den Schlaf raubte.
Das Gute an Plagen: Sie kommen – sie verschwinden auch wieder.
Außer der Großbaustelle vorm Haus war in letzter Zeit wirklich Ruhe daheim und meine Familie begnügte sich mit den Hundertschaften von Mücken und Schnecken, die Sie ja auch alle gut kennen.
So, bis gestern Nacht.
Ich darf Ihnen stolz verkünden: Es gibt endlich eine neue Heimsuchung!
Gegen 21:00 Uhr kam ich gestern ziemlich fertig im malerischen Städtchen an. Eine fast durchgearbeitete Nacht und fünf Stunden stauige Autofahrt lagen hinter mir.
Eigentlich wollte ich nur dringend aufs Klo, mir anschließend von meiner Mutter etwas Gutes zu essen servieren lassen und dann wollte ich meine Ruhe haben.
Ein Loch gucken, oder so.
Konversation mit der Familie hatte bis zum nächsten Morgen Zeit.
Ich hievte meinen Koffer in den Flur und öffnete die Tür zu meiner kleinen Wohnung: Da traf mich fast der Schlag!
Alles schwarz!
Kleine wimmelnde Viecher!
Millionen, was sag ich: Milliarden!
Auf dem Fußboden, der Couch, den Vorhängen, auf dem Klavier … Überall ein lebendiger, krabbelnder Überzug!
Was zu Hölle waren das für Scheißviecher, die sich da in meiner Bude breitgemacht hatte?
Ich bückte mich näher ran.
Ameisen!
Mit Flügeln!
Alles voller geflügelter Ameisen!
Verdammt nochmal, was hatten die in meinem Wohnzimmer zu suchen?
Aber viel wichtiger: Was tat man damit?
Das konnten die jedenfalls vergessen, dass ich mir für die Nacht eine andere Bleibe suchte!
Gar zu lebhaft erinnerte ich mich, als ich den Waschbären mein Bett überlassen hatte und stattdessen auf Mutters unbequemer Couch im Wohnzimmer nächtigte.
Da Ameisen im Gegensatz zu den eingeschleppten kanadischen Bärenviechern nicht beißen, war schon klar, wer am Ende des Abends als Sieger hervorgehen würde.
Kurzentschlossen schnappte ich mir Mutters Staubsauger und rückte der Invasion auf den Leib.
Bei den Vorhängen war es schwierig, die Schnorchel fraß sie und verstopfte.
Da Ameisen keine Widerhaken an den Beinen haben, fielen sie vom Schütteln aus der Gardine.
Nach einer halbe Stunde war die Sache erledigt und meine Wohnung sah aus, wie ich sie in Erinnerung hatte.
Ich stieg also die Treppe rauf und ließ mich von Mutters guter Wurst und den Zwiebeln aus eigener Züchtung verwöhnen.
Als ich satt war, verließ ich meine treusorgenden Eltern. Öffnete unten meine Tür: Krabbelten die dämlichen Viecher wieder auf Sofa, Dielen und Klavier herum!
Wo waren die denn schon wieder hergekommen??
Das konnte doch nicht wahr sein!
Es sah ein wenig so aus, als beamten sie durch die Wand. Deshalb stürmte ich nach draußen und stolperte über die Baustelle, bis ich das Fenster, hinter dem mein Sofas steht, erreichte.
Was ich da sah, das glauben Sie nicht!
Da wogte ein dicker Strom Ameisen geordnet den aufgerissenen Bürgersteig entlang, krabbelte bei uns ein Stück die Mauer hoch und verschwand dort zwischen den wuchtigen Sandsteinquadern.
Jetzt hatte ich aber genug davon!
Ich wollte nicht am nächsten Morgen wie in einem Hitchcock-Film erwachen.
Oder auch nicht wach werden, das weiß man ja vorher nicht, wie es zu Ende geht.
Ich holte aus dem Keller die chemische Keule für Notfälle und sprühte die halbe Flasche in das Einfalltor.
Es stellen sich folgende Fragen:
Wo kamen die vielen Ameisen her?
Was wollten die ausgerechnet in meinem Wohnzimmer?
Ich habe eine Nacht darüber geschlafen und nun eine zweisäulige Theorie:
Zum Einen muss die Population in diesem Jahre enorm sein, denn auch andere aus unserem kleinen Ort beklagen die Invasion. Allerdings rennen die Viecher bei denen draußen herum und nicht im Bett.
Die andere Hälfte meiner Theorie beinhaltet die Großbaustelle. Wanderten die Ameisen jahrhundertelang unter der Straße durch die Kanäle des Städtchens, haben ihnen die Baumaßnahmen ihre Renntunnel genommen. Die gemauerten Abwasserkanäle wurden in den letzten Wochen in der ganzen Stadt zugeschüttet und ständig rumpelt eine Walze auf und ab und verdichtet den Untergrund.
Als Ameise würde ich da auch das Weite suchen!
Darum merke: Keine Aktion ohne Reaktion!
Gerade kommt wieder eine handvoll Ameisen auf meinen Tisch gekrabbelt.
Vielleicht schlafe ich heute Nacht doch besser wieder auf Mutters unbequemem Sofa!
Autor:Anke Müller aus Mülheim an der Ruhr |
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