Angang
Zeit für Aberglauben

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Die Zukunft zu kennen, den Ausgang einer Sache vorher zu wissen, das war schon immer der heißeste Begehr der Menschheit. Das dies besonders in Krisenzeiten die Gemüter beschäftigt, ist nur zu verständlich. Alle rationalen Hochrechnungen scheinen vergeblich, und selbst die Fachleute tappen im Nebel und können auch nur „auf Sicht", wenn z.B. die weltweit dringlichste Frage geklärt werden soll, ob sich die deutsche Gastronomie erholen wird oder nicht.

Da ist die Versuchung nicht weit, sich dem persönlichen wie volkstümlichen Aberglauben hinzugeben und irgendwelche Zeichen zu erhoffen. Die Schließung der Gastronomie wird den Psychotherapeuten lange Schlangen bescheren.

Das Mülheimer Martinslied „Ssinter Mätes Vögelsche“,das in diesem Jahr noch seltener erklingen wird als sowieso schon, spielt auf einen alten germanischen Volksglauben an, aus dem Vogelflug die Zukunft bzw. das Gelingen oder Nichtgelingen eines persönlichen Vorhabens ableiten zu können:

Der Angang!

Und so wird’s gemacht… 

Stopp! Soviel Zeit muss sein. Erst noch der Beweis, dass es bereits im späten
Mittelalter das Martinsvögelchen (sunte Mertens fogel) als Begriff gab.
Hier aus dem „Reineke Fuchs“ in der hochdeutschen Fassung von Simrock:

„Als er eine Strecke Wegs von da
St Martins Vogelfliegen sah
Heil rief er edler Vogel hehr
Wende deine Flügel hierher
Und laß dich mir zur Rechten nieder
Der Vogel flog und ruhte die Glieder
Auf einem Baume der da stand
Und flog so Hinzen zur linken Hand
Hierüber ward er sehr bestürzt
Und meint er wär am Glück verkürzt
Doch that er wie noch mancher thut
Und machte sich selber beßern Muth.“

Wie hier im „Reineke Fuchs“ für die Figur des Katers Hinze beschrieben, ist der Angang der Anfang eines Unternehmens. Dabei können Tiere, die einem begegnen, ein Omen bedeuten.

- Ich sehe also in einigem Abstand einen umherfliegenden Vogel und rufe: „Komm her, setz dich zu meiner Rechten irgendwo auf einen Baum, einen Zaun, oder die Erde!
- Ich gehe ganz langsam oder bleibe stehen.
Wichtig: Wie im Reineke Fuchs muss das Vögelchen im Flug angesprochen werden, etwa: „Martinsvogel, komm, setze dich zu meiner Rechten nieder!“

D.h. der weissagende Vogel darf nicht schon da sitzen, wenn ich komme, da könnte ich ja evtl. wie gewünscht immer links am Vogel vorbei gehen. Nein, idealerweise sollte  er genau gerade auf mich zufliegen und sich auf meine Aufforderung hin setzen.

In dem Moment, wo er sich setzt, ist er der prophezeiende Martinsvogel! Egal was er sonst noch ist.
- Bitte keinen Hund mitnehmen! Verweildauer des Vogels sonst gegen Null.

Im Falle eines Spechtes kann es auch bedeuten, dass der Vogel sich nicht auf einem Zweig niederlässt, sondern sich am Stamm festkrallt und zu hämmern beginnt.

Falls sich ein Omenvogel in keiner Weise zu setzen bereit erklärt, probiert man es mit dem nächsten. Das kann also mit dem Orakel etwas dauern. Den größten Erfolg hat man morgens und im Frühjahr.
-
Sollte sich endlich einer zuständig fühlen und sich links niederlassen, ohne dass man gewillt ist, das Urteil anzunehmen, bleibt man stehen, geht drei Schritte zurück und setzt seinen Weg in eine andere Richtung fort.

Im Grunde ist jeder Vogel zur Weissagung willkommen. Natürlich sind die mit irgendeinem farblichen Zeichen wie z.B. einem roten Fleck (Birkenzeisig, Goldhähnchen, Kranich, Schwarzspecht) besonders beliebt.

Der Bezug zum heiligen Martin bleibt dunkel. Ich habe alle literarischen Quellen diesbezüglich immer wieder durchgekämmt: es herrscht eine tiefe Ungewissheit, die auch durch mehrere Angänge nicht verschwindet.

Vielleicht ist diese Widmung an den christlichen Ober-Missionar, den Tempelzerstörer, nur eine Tarnung des alten Volksglaubens? Es wurde damals so manches umgewidmet!

Autor:

Franz Bertram Firla aus Mülheim an der Ruhr

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