Zwischen den Jahren
Winterrätselgewinn

Die Oates ist schon ein Phänomen. Ich hab sie abwechselnd mit Fontanes Sturm und Müllers
Einspruch gegen die Evolutionstheorie gelesen. Und was soll ich sagen, sie hat gewonnen. Ihre Kurzgeschichtensammlung „Die Lästigen“ hatte ich von den drei Büchern zuerst verschlungen. Und das lag nicht an der doppelten Seitenzahl von Theodors erstem Roman. Nein, es zog mich immer wieder zu diesen merkwürdig banal daherkommenden amerikanischen Alltagsgeschichten mit mindestens einem Auto, einer Frau, einem Mann und Kindern am Rande. Oft geht es da nur um winzige Schockmomente, die alles verändern. Jede der neunzehn Stories bekommt irgendwann diesen verstörenden Knacks, und die zelebrierten Gedankenspiele der Protagonisten, meist einer Frau, wabern fort und fort und verlieren sich über das offene Ende hinaus im Unterbewusstsein des Lesers. Nie vorher was von ihr gelesen, obwohl Joyce Carol Oates in dreißig Jahren um die 400 Kurzgeschichten veröffentlicht hat!
Zwei dieser drei Bücher, die nichts miteinander zu tun haben, und die ich zwischen den Jahren abwechselnd las, waren zusammen mit noch 11 anderen literarischen Buch-Berühmtheiten Gegenstand eines literarischen Weihnachtsrätsels in der SZ gewesen und ich hatte sie mir bestellt. In der Rätselbeschreibung ging’s bei Oates eigentlich nur um die Schneegestöbergeschichte vom Deputy und dem Schwarzen in Handschellen: „Der feine, weiße Winterdunst“. Die war zwar beeindruckend, aber nicht so wie einige andere ohne Winterambiente.
Der Autor dieses überraschend aufwendigen Rätsels, der Literaturkritiker Burkhard Müller, hatte sich u.a. mal kritisch mit Darwin befasst und plädiert für einen dritten Weg, die Entstehung der Arten zu betrachten, wobei er den Tieren mehr „Eigenleben“, mehr Individualität, zugesteht als nur Vertreter ihrer Art zu sein. Ein ehrenwerter Gedanke, sorgfältig unterfüttert. Das Buch bezieht seinen Reiz aus der glänzenden Formulierkunst, die die Argumente Darwins und seiner Adepten fröhlich auseinandernimmt. Die wissenschaftlichen Wirrnisse um den verschwundenen Penisknochen sind hier nur ein Beispiel für eine ernsthafte Unterhaltung auf höchstem Schmunzelniveau.
Eigentlich fehlte ja noch Patricia Highsmiths „Venedig kann kalt sein“. Das war das Buch gewesen, um das ich lange rätseln musste. Es interessierte mich auch nur deshalb und nicht wegen Venedig im Winter. Den Müller habe ich mehr so nebenbei bestellt, um den Literaturkritiker mal kennen zu lernen. Irgendwie ist der Venedig-Krimi aber nicht angekommen oder ich habe ihn aus Versehen doch nicht bestellt? Jedenfalls war ich mit den drei Büchern über ein paar Wochen bestens unterhalten.
Der Lösungsspruch: „Herbei von allen Seiten aufs glitzerblanke Eis“ war aus „Juche, juche, der erste Schnee“ von Karl Marx. Ja, da kam Weihnachtsstimmung auf! Übrigens war ich nicht unter den drei Gewinnern und konnte so keins der Bücherpakete erringen, in denen sich womöglich Patricias Highsmiths Venedig-Krimi befunden hätte. Was soll’s? Mein persönliches Bücherpaket hatte ich mir längst mit großem Gewinn selbst zusammengestellt. An dem Fontane lese ich wohl noch länger.

Autor:

Franz Bertram Firla aus Mülheim an der Ruhr

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