Brillenreparatur
„Rechtshänder haben das rechte Schräubchen locker“
Gibt es einen traurigeren Anblick als eine Brille, der gerade ein Bügel weggekippt ist, und der nun einsam danebenliegt wie ein amputiertes Glied?
So musste ich jüngst, vom Mittagsschlaf aufwachend, meine Lesebrille am Bettrand erblicken. Aber mir dämmerte sogleich, dass das Schräubchen nicht weit sein konnte. Und siehe da, als ich meinen erfrischten Leib vorsichtig erhob, rollte ein winziges schwarzes Krümelchen zu Tal. Erleichterung durchströmte mich und ich sprang flugs aus dem Bett und eilte, den winzigen Schraubendreher zu holen, der mir schon oft in solchen Situationen geholfen hatte.
Den Bügel in das Scharnier drücken, Schräubchen draufsetzen, festdrehen! Fertig! So würde es gehen. Auch im Liegen. Die ersten Versuche zeigten mir, dass eine weitere Brille nicht schlecht wäre. Wozu hatte ich nicht eine extrastarke Bastlerbrille? Im weiteren Verlauf vermisste ich zunehmend eine dritte Hand, die das Scheiß-Schräubchen auf dem Löchlein solange festhalten würde,
bis ich den Schraubendreher ansetzen konnte. Im Moment hatte ich aber nur zwei Hände zur Verfügung. Also noch mal.
Ja, man kann so eine monobügelige Restbrille noch aufsetzen, sicher, das geht. Man kann den abgefallenen Bügel auch mit Draht, Leukoplast, Tesafilm oder Montageschaum andocken. Allerdings, wenn der anderen Bügel auch abgefallen ist, wird es schwieriger. Es bleibt am Ende nur noch, die zwei Gläser beherzt in beide Hände zu nehmen und zum Lesen vor die Augen zu halten.
Das Phänomen der akzelerierten Schräubchenlockerung ist seit langem bekannt. Irgendwann werden die beiden Schräubchen in der Brille munter. Bei Rechtshändern in der Regel zuerst das rechte. Nach unzähligen Klappbewegungen der Brillenbügel winden sie sich genervt empor, bis sie aus dem Gewinde fliegen. Dann fliegt Ihnen die Brille um die Ohren!
Wenn Sie keine Bügelschräubchen-Prophylaxe machen, kommen Sie nicht um einen Besuch bei Ihrem Optiker herum. Nehmen Sie zwei Geburtstage ihrer Verwandten, einen am Jahresbeginn, einen in Jahresmitte, mit denen Sie die regelmäßige Schräubchenkontrolle verbinden. z. B. Tante Brigitte im Januar und Onkel Kurt im Juli. Bevor Sie gratulieren, drehen Sie halt ein bisschen an den Schräubchen.
Dass es auch schräubchenlose Scharniere gibt, hilft mir jetzt auch nicht weiter. Nach dem 13. Versuch im Liegen, entschließe ich mich zähneknirschend zu einem Ortswechsel an den Schreibtisch. Dort kullert dann nach einem halben Dutzend weiterer Versuche das winzige Schräubchen vom Schreibtisch herunter und bleibt trotz intensiver Ausleuchtung und zentimeterweisem porentiefem Absuchen mit der extrastarken Bastlerbrille im Teppich verschollen.
Aber zum Glück hat ein Bastler immer eine Sammlung mit kleinen, kleinsten und allerkleinsten Schrauben. Tatsächlich fand sich ein vergleichbarer Winzling darunter. Er war nur um weniges umfangreicher, ließ sich aber widerstandslos auf das Löchlein setzen und mit etwas Mühe auch eindrehen. Das Scharnier krümmt sich seither etwas und die Gängigkeit des Bügels ist leicht suboptimal. Aber ich kann die Brille wieder benutzen.
Mal sehen, ob das bis Tante Brigittes Geburtstag anhält.
Autor:Franz Bertram Firla aus Mülheim an der Ruhr |
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